Reifendruck-Vergehen: Strafmaß steht zur Diskussion
Michelin-Techniker bei der Arbeit: Gerade der Vorderreifen ist ein sensibles Thema in der heutigen MotoGP
In der MotoGP-Saison 2023 wurden die Reifendrücke in den Vorderreifen erstmals mit Einheits-Sensoren von LDL überwacht. Michelin setzte den Mindestdruck für den Vorderreifen bei 1,88 bar an, dieses Limit musste im Sprint (bei 15 oder weniger Runden) über 30 Prozent der Zeit eingehalten werden und im Grand Prix (bei mehr als 15 Runden) über 50 Prozent. Denn der französische Reifenlieferant befürchtet, dass das Unterschreiten des Limits die Haltbarkeit des Reifens gefährde, besonders weil die Aerodynamik-Auswüchse, Devices und Co. den Vorderreifen immer mehr beanspruchen.
Andrerseits bedeutet weniger Druck mehr Grip. Außerdem betonen die Fahrer und Teams immer wieder, man könne und wolle nicht mit zu hohem Druck starten, weil die Reifentemperatur und damit der Luftdruck im Vorderreifen im Pulk schnell ansteigen, was wiederum das Sturzrisiko erhöhe – und der Rennverlauf ist natürlich kaum vorhersehbar. In der Praxis erwies sich die Umsetzung dieser Vorschrift daher als kompliziert, die Einführung wurde mehrmals verschoben, bis die Regelung mit dem Silverstone-GP nach der Sommerpause dann doch in Kraft trat.
Weil das System neu war und während einer laufenden Saison eingeführt wurde, hatte eine Unterschreitung nicht die sonst für technische Vergehen übliche Disqualifikation zur Folge. Stattdessen einigten sich die FIM MotoGP Stewards für 2023 auf ein gestaffeltes Strafmaß in Form von Zeitstrafen, die nach dem Rennen addiert wurden:
1. Vergehen: Verwarnung
2. Vergehen: 3-Sekunden-Strafe
3. Vergehen: 6-Sekunden-Strafe
4. Vergehen: 12-Sekunden-Strafe
Ganze 24 Reifendruck-Vergehen zählten die Regelhüter bis zum Ende der Saison. Vier MotoGP-Piloten kassierten eine Zeitstrafe, darunter Fabio Di Giannantonio, der dadurch in Valencia nach der Siegerehrung noch seinen Podestplatz verlor.
Wie geht es 2024 weiter?
Das Reifendruck-Thema ist auch in der Vorsaison 2024 wieder ein großes Thema, weil nach dem Probelauf im Vorjahr die Verwarnungen wegfallen und eigentlich eine umgehende Disqualifikation als Strafe angedacht war.
Red Bull-KTM-Teammanager Francesco Guidotti ließ am Rande der Teamvorstellung in dieser Woche allerdings durchklingen, dass es beim Strafmaß hinter den Kulissen sehr wohl noch Verhandlungsspielraum gebe: «Wir müssen uns an die Regeln halten, die Erfahrung haben wir schon im Vorjahr gemacht und es war kein Drama. Im Moment ist als Strafe eine Disqualifikation vorgesehen, das stimmt, aber vielleicht gibt es noch Spielraum, wie man mit dieser Strafe umgehen kann – wenn sich Michelin und alle anderen auf einen neuen Vorschlag einig werden.»
Die Kollegen von crash.net erkundigten sich bei Corrado Cecchinelli, «Director of Technology» bei WM-Promoter Dorna, nach dem Stand der Dinge. «Das Strafmaß steht zur Diskussion, es könnte reduziert und von einer Disqualifikation abgesehen werden. Über den Zeitraum des Rennens, in dem das Mindestlimit einzuhalten ist, wird ebenfalls gesprochen. Für die Volldistanz-Rennen könnten es mehr als 50 Prozent werden. Das liegt daran, dass es möglich ist, dass der Mindestdruck niedriger angesetzt wird. Diese Entscheidung liegt beim Reifenlieferanten», verwies er auf Michelin.
Cecchinelli bestätigte außerdem, dass es 2024 keine Verwarnungen für das erste Vergehen mehr geben wird. Welche Strafe anstelle einer Disqualifikation treten könnte, deutete er folgendermaßen an: «Ich bin [in diese Entscheidung] nicht involviert, aber meines Wissens denken sie über eine große Zeitstrafe nach.»
Pit Beirer: «Reifen ein sehr sensibles Thema»
«Natürlich hat das Thema an Schärfe zugenommen», meinte KTM-Motorsportchef Pit Beirer auf das Reifendruck-Thema angesprochen. «Der Reifendruck darf ein weiteres kleinen Stück abgesenkt werden, aber dann wird eben das neue Limit die neue Grenze sein, an der wieder aufgeschrien wird, wenn jemand darunter ist. Das ist so im Rennsport. Wenn die Regeln sich in eine Richtung verschieben, werden wir wieder alle an die absolute Grenze gehen. Die Regeln sind aber für alle gleich und Strafen müssen ausgesprochen werden, weil man sich das Limit sonst sparen kann.»
«Zur Erinnerung: Wir gehen in Mugello mit 366 km/h in die Bremsen, das Hinterrad ist in der Luft und wir bewegen uns mit dem ganzen Paket auf so einem kleinen Stück Gummi. Wenn Michelin dann sagt, hier gibt es Limits und hier wird es gefährlich, sind die zu akzeptieren», unterstrich Beirer. «Wir müssen damit arbeiten, aber natürlich zerbrechen sich die Ingenieure den Kopf darüber, weil die Reifenperformance für das gesamte Motorrad-Paket entscheidend ist. Unbewusst entwickelt man das Motorrad genau für diesen Reifen. Wenn du einen anderen Reifen bekommst, ist die Hölle los, weil nichts mehr funktioniert. Reifen sind daher schon ein sehr sensibles Thema für uns alle.»
Offiziell wegen des Reifendrucks verwarnt wurden 2023:
Maverick Viñales (Aprilia) im GP-Rennen von Montmeló
Dani Pedrosa* (KTM) im GP-Rennen von Misano
Franco Morbidelli (Yamaha) im GP-Rennen von Mandalika
Raúl Fernández (Aprilia) im GP-Rennen von Mandalika
Aleix Espargaró (Aprilia) im GP-Rennen von Mandalika
Marco Bezzecchi (Ducati) im GP-Rennen von Mandalika
Pol Espargaró (KTM) im GP-Rennen von Buriram
Jorge Martin (Ducati) im GP-Rennen von Buriram
Marc Márquez (Honda) im GP-Rennen von Buriram
Pecco Bagnaia (Ducati) im GP-Rennen von Sepang
Luca Marini (Ducati) im GP-Rennen von Sepang
Álvaro Bautista* (Ducati) im GP-Rennen von Sepang
Enea Bastianini (Ducati) im GP-Rennen von Sepang
Iker Lecuona* (Honda) im GP-Rennen von Sepang
Johann Zarco (Ducati) im GP-Rennen von Lusail
Augusto Fernández (KTM) im GP-Rennen von Lusail
Jack Miller (KTM) ein GP-Rennen von Lusail
Alex Márquez (Ducati) ein GP-Rennen von Lusail
Fabio Di Giannantonio (Ducati) im Sprint von Valencia
Brad Binder (KTM) im GP-Rennen von Valencia
*= Wildcard-/Ersatz-Fahrer
Eine 3-Sekunden-Strafe für das zweite Vergehen kassierten 2023:
Aleix Espargaró (Aprilia) im GP-Rennen von Buriram
Luca Marini (Ducati) im Sprint von Valencia
Franco Morbidelli (Yamaha) im Sprint von Valencia
Fabio Di Giannantonio (Ducati) im GP-Rennen von Valencia