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MotoGP-Reifenmanagement: Die große Unbekannte

Von Manuel Pecino
Das optimale Management von MotoGP-Reifen ist so geheimnisvoll wie eine Hieroglyphe. Die Reifenspezialisten der einzelnen Teams sind voll und ganz damit beschäftigt, sie zu entschlüsseln.

Das Management des Reifendrucks ist zu einem entscheidenden Thema in der MotoGP geworden. So sehr, dass ein Fehler in diesem Bereich den Ausgang eines Rennens beeinflussen und über Sieg oder Niederlage entscheiden kann. Die Teams beschäftigen mindestens einen Ingenieur, der auf das Management der Reifen spezialisiert ist. Von außen betrachtet wirkt das übertrieben, doch wenn man alle Parameter kennt, die die Funktion der Reifen beeinflussen können, wird klar, dass dies in der heutigen MotoGP-Klasse unverzichtbar ist.

Folgende Parameter müssen beherrscht werden, Um das maximale Potenzial aus einem MotoGP-Reifen herauszuholen, müssen diese Parameter beachtet werden: Oberflächentemperatur, Hohlraumtemperatur, Innendruck, Innentemperatur des Reifens und Felgentemperatur.

Oberflächentemperatur
Diese bezeichnet die Temperatur auf der Lauffläche. In der MotoGP wird ein Temperatursensor verwendet, der verschiedenste Referenzwerte erfasst. Gemessen wird an fünf Stellen: in der Mitte des Reifens, im 45 Grad-Winkel an den Reifenflanken und bei maximaler Schräglage – jeweils links und rechts.

Erstaunlicherweise ist die Oberflächentemperatur die am wenigsten wichtige Referenz für die Analyse der Reifenfunktion – sie ändert sich ständig; am Vorderreifen ist sie in erster Linie abhängig von den Bremskräften. Beim Hinterreifen hängt sie davon ab, wie stark der Reifen rutscht, was wiederum mit dem Eingreifen der Traktionskontrolle zu tun hat. Je nachdem, wie stark der Reifen rutscht, kann die Temperatur schnell ansteigen, wodurch Bodenhaftung verloren geht. Allerdings sinkt die Oberflächentemperatur schnell wieder, sobald die Rutschphase vorbei ist, und damit kehrt auch das normale Grip-Niveau zurück. Dieser Zyklus wiederholt sich Runde für Runde, solange ein Fahrer im gleichen Rhythmus fährt.

Kurios: Wenn beim Beschleunigen Qualm vom Hinterreifen aufsteigt, beträgt die Oberflächentemperatur des Hinterreifens etwa 200 Grad – doch das ist kein Grund zur Sorge für die Ingenieure, denn selbst wenn der Fahrer unmittelbar darauf an die Box zurückkehrt, ist die Oberflächentemperatur schon wieder niedrig genug, dass man die Lauffläche berühren kann, ohne sich die Finger zu verbrennen.

Hohlraumtemperatur
Diese beschreibt die Temperatur der Luft im Inneren des Reifens. Sie wird von einem obligatorischen Sensor an der Innenseite der Felge erfasst. Für Ingenieure ist die Hohlraumtemperatur viel wichtiger als die Oberflächentemperatur, denn sie ist ein entscheidender Faktor für die Berechnung des notwendigen Reifendrucks – also mit wieviel Bar der Reifen vor dem Losfahren befüllt werden muss. Die Hohlraumtemperatur ändert sich nur sehr langsam, wobei folgende Faktoren eine Rolle spielen:

  • Der Rhythmus: Je schneller ein Fahrer fährt und je besser seine Rundenzeiten werden, desto mehr werden die Reifen belastet. Reifeningenieure sprechen von Walkarbeit oder dem periodischen Einfedern der Reifen selbst. Je mehr sie auf diese Weise durchgeknetet werden und je mehr Walkarbeit sie verrichten, desto öfter wird die Luft im Reifen komprimiert und desto höher wird die Hohlraumtemperatur.
  • Die Temperatur der Felge: Die Bremsscheiben leiten ihre Hitze an die Felge weiter und die Felge heizt damit auch die Luft im Reifen weiter an. Dies gilt nur für den Vorderreifen.

Innendruck
Der Innendruck, der von einem obligatorischen Sensor an der Innenseite der Felge erfasst wird, ist weniger wichtig für die Reifeningenieure, wohl aber für die Fahrer. Denn er hat entscheidenden Einfluss auf das Fahrverhalten des Bikes. Hohlraumtemperatur und Innendruck sind zudem direkt voneinander abhängig. Es gibt allerdings auch Faktoren, die diesen Zusammenhang verfälschen können.

Feuchte Luft im Reifen kann zum Beispiel zu einer Druckinstabilität führen. Die Luftfeuchtigkeit ist deshalb ein Faktor, dem die Reifenhersteller seit jeher große Aufmerksamkeit widmen. Ursprünglich wurde Stickstoff verwendet, um stabilere Drücke zu gewährleisten, doch logistische Probleme führten zum Einsatz von Kompressoren mit 99,9 Prozent trockener Luft.

Um ganz sicher zu gehen, dass keine Feuchtigkeit im Reifen zurückbleiben kann, werden Felgen mit Doppelventilen eingesetzt, so dass die zunächst noch im Reifen vorhandene Luft beim Befüllen entweichen kann. So wird sichergestellt, dass von dem Fett, das bei der Reifenmontage eingesetzt wird, um den Reifen leichter auf die Felge rutschen zu lassen, keine Feuchtigkeit im Reifenhohlraum zurückbleiben kann.

Selbst für die Möglichkeit, dass beim Anpassen des Reifendrucks in der Box Feuchtigkeit in den Innenraum gelangen könnte, ist vorgesorgt: In den Garagen der Top-MotoGP-Teams stehen Flaschen mit ultratrockener Druckluft parat.

Reifeninnentemperatur
Die Temperatur des Reifens selbst ist für Reifentechniker am wichtigsten und der zuverlässigste Indikator für die Performance des Reifens. Wie bei der Oberflächentemperatur, wird auch hier an fünf Stellen gemessen: in der Mitte des Reifens, im 45 Grad-Winkel an den Reifenflanken und bei maximaler Schräglage – jeweils links und rechts.

Die Reifeninnentemperatur steigt in den ersten drei, vier oder fünf Runden leicht an. Anschließend stabilisiert sich die Reifeninnentemperatur, es sei denn, der Reifen hat ein Konstruktionsproblem. In diesem Fall steigt die Temperatur steil an. Wenn der Reifen überhitzt, geht Grip verloren, und wenn die Temperatur des Reifens 150 bis 160 Grad erreicht, kann es zu Problemen mit Blasenbildung kommen. Die gefürchteten Blasen entstehen im Inneren des Reifens und zeigen sich an der Oberfläche in Form von kleinen Brüchen, Rissen oder Löchern in den Deckschichten des Reifens.

Wenn die Reifentechniker wissen, wie sich die Reifeninnentemperatur entwickelt, können sie zum Beispiel Warnungen aussprechen, dass eine bestimmte Reifenmischung eine Renndistanz nicht überstehen wird. Das Team hat dann zwei Möglichkeiten: Entweder es verzichtet auf diese Mischung und wählt einen anderen Reifentyp, oder es modifiziert die Leistungsentfaltung, um einer drohenden Überhitzung des Reifens vorzubeugen. Mit anderen Worten: Man opfert Motorleistung zugunsten einer bestimmten Mischung.

Felgentemperatur
Das Problem einer überhöhten Felgentemperatur besteht nur am Vorderrad, wo sich die sehr hohen Temperaturen, die von den Kohlefaser-Bremsscheiben erreicht werden, auf die Felge und den Hohlraum im Reifen übertragen. Die modernen Winglets an der Frontpartie haben die Höchstgeschwindigkeit der MotoGP-Bikes um 2 km/h erhöht, doch gleichzeitig stieg die Temperatur der gesamten Baugruppe um fast 10 Prozent – in den Augen der Reifentechniker ein schlechter Tausch.

Wenn man sich alle Parameter ansieht, die das Verhalten der Reifen beeinflussen, versteht man, wie kompliziert es ist, das maximale Potenzial der Reifen auszuschöpfen. Es reicht nicht aus, nur mal eben den Luftdruck zu prüfen, bevor der Fahrer auf die Strecke geht.

Warum gibt es mehr Probleme mit dem Vorderreifen als mit dem Hinterreifen?
Das ist eine Frage des Volumens: Je mehr Volumen ein System hat, desto stabiler funktioniert es. Weil er schmaler ist, hat der Vorderreifen weniger Volumen als der Hinterreifen. Da sich das Vorderrad vor dem Motor befindet, wird es weder von den Antriebskräften, noch von der Motorwärme beeinflusst. Dafür ist das Vorderrad anderen Faktoren ausgesetzt, die sich ständig ändern: Mal frische Luft, mal Windschatten, mal kalte und mal glühende Bremsscheiben, dazu der Einfluss der Aerodynamik je nach Geschwindigkeit.

Sensoren und Datenübertragung
Die offiziellen Sensoren der Motorrad-WM stammt von der Firma LDL. Manche Teams montieren auch Sensoren von McLaren, die mehr Informationen liefern, aber als weniger zuverlässig gelten als die von LDL. Wegen ihrer Zuverlässigkeit wurden die LDL-Sensoren von GP-Promoter Dorna ausgewählt.

Die Reifentechniker laden die Innentemperatur- und Druckdaten jedes Mal auf ihre Computer, wenn ein Motorrad in die Box kommt. Die Echtzeitübertragung ist den Druckdaten vorbehalten, die nur während der Rennen an die Rennleitung übermittelt werden. Weder die Teams, noch die Reifenlieferanten erhalten diese Informationen.

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