130.000 KTM auf Lager – was nun?

Licht, Schatten und viel Risiko bei Trackhouse Racing

Von Thomas Kuttruf
Erst vor gut einem Jahr war die Entscheidung der amerikanischen Rennsportunternehmung Trackhouse Racing für einen Einstieg in die Königsklasse gefallen. Das Fazit nach der ersten Saison fällt durchwachsen aus.

Es war ein Schnellschuss. Im Sommer 2023 – während des Österreich-GP am Red Bull Ring – hatte sich Justin Marks als Mastermind von Trackhouse Racing ein genaueres Bild von der MotoGP gemacht. Mit der perfekten Infrastruktur in einer Europa-Bilderbuch-Kulisse gibt es wohl keinen besseren Ort, sich endgültig mit der Motorrad-Weltmeisterschaft zu identifizieren – und zu infizieren.

Von Seiten des MotoGP-Rechteinhabers Dorna gab es zu diesem Zeitpunkt noch keine Signale einer Übernahme durch den amerikanischen Sportvermarkter Liberty Media. Doch als sich im Herbst 2023 die Situation im Fahrerlager dramatisch zuspitzte und sich der Kollaps der Aprilia-Kundenmannschaft anbahnte, wurden auf den höchsten Ebenen in Rekordzeit die richtigen Schlüsse gezogen und Entscheidungen getroffen.

Nur zwei Monate vor den ersten Tests zur Saison 2024 waren die Verträge abgeheftet und Trackhouse Racing steckte mitten in den Vorbereitungen zur MotoGP-Premiere. Ein völliger Neustart war es freilich nicht. Denn die wichtige Basis-Ebene aus Technikern, Koordinatoren und Fahrern blieb dem neuen Team erhalten.

Eine Schlüsselrolle, um die Fäden in der großen Herausforderung zusammenzuhalten, hatte der Niederländer Wilco Zeelenberg übernommen. Der Alleskönner fungierte als Verbindungsoffizier aller Teamelemente und unterstützte auch die Installation von Davide Brivio. Der extrem erfahrene Italiener ließ sich überreden, die Formel 1 hinter sich zu lassen und sich der neuen Herausforderung an vertrauter Wirkungsstätte hinzuzugeben. Mit Brivio an der Spitze war das Trackhouse-Puzzle schnell zusammengefügt.

Trotz kürzester Vorlaufzeiten klappte das Teamwork. Die Amerikaner hatten im Hintergrund ihrem guten Ruf als Organisationskönige Ehre gemacht und dank solidem Budget wurde das scheinbar Unmögliche möglich gemacht. Beim GP-Auftakt in der Wüste von Katar präsentierte sich Trackhouse Racing in optisch bester Verfassung. Wer es nicht wusste, der hätte die Mannschaft in direkter Nachbarschaft zum Aprilia-Werksteam nicht als «Rookie» erkannt.

Auch sportlich verlief das Debüt ohne Fiasko. Miguel Oliveira holte den ersten WM-Zähler, und die neu aufgestellte Mannschaft hielt sich in Losail von jedem Skandal fern. Der vielversprechende Auftakt war kein Zufall. Die routinierte Basis mit Zeelenberg im operativen Kommandostand, eine enge Verbindung nach Noale und die solide Piloten-Paarung sorgten während der gesamten Saison für einen respektablen Auftritt.

Trackhouse Racing darf sich immerhin damit rühmen, im ersten Jahr des offiziellen Bestehens beide Fahrer vor der gesamten Honda-Aufstellung ins Ziel gebracht zu haben. Miguel Oliveira beendete 2024 auf Platz 15 direkt vor Teamkollege Raul Fernandez. Die Frage, ob Trackhouse Racing in der Lage ist in der Königsklasse zu bestehen, lässt sich daher klar mit einem lauten Ja beantworten.

Unbeantwortet blieb dagegen, wenig überraschende im Jahr der Premiere, die Frage: Kann Trackhouse der neue Maßstab unter den Kundenteams der MotoGP werden? Denn so sauber der Einstieg verlief, so sehr hielt man sich ebenfalls von der Spitze fern. Mit Ausnahme, als Miguel Oliveira mit Platz im Sprint am Sachsenring eine Trackhouse-Leuchtrakete abfeuern konnte, gelang Trackhouse während der gesamten Saison kein Top-5-Resultat.

Die Konsequenz: In der Teamwertung musste sich das US-Team mit italienischer Hardware und internationaler Besetzung klar hinter dem Werksteam aus Noale anstellen – und auch Yamaha zog im Finale noch vorbei, Platz 9.

Als es Herbst dieses Jahres um die Weichenstellung für 2025 ging, machte Trackhouse durch zwei Personalien Schlagzeile. Teamdirektor Davide Brivio, der volle Rückendeckung von Teambesitzer Justin Marks hat, gab Portugals GP-Held Oliveira auf und setzte früh in den Verhandlungen auf Ai Ogura. Der erfolgreichere Trackhouse-Racer wurde damit gegen einen vielversprechenden Rookie getauscht.

Weniger öffentlich, aber möglicherweise von größerer Tragweite war die Entscheidung der Trackhouse-Chefetage, die Zusammenarbeit mit Wilco Zeelenberg nicht zu verlängern. Der Posten des Ex-GP-Piloten und Team-Stützpfeilers wurde gestrichen. Eine Entscheidung, die Miguel OIiveira nur mit einem Kopfschütteln kommentieren konnte.

Respekt und Applaus hat sich Justin Marks für die Entschlossenheit und die professionelle Umsetzung eines XL-Projekts verdient. Spannend wird es zu beobachten, ob sich die Risiko-Strategie im zweiten Jahr der Trackhouse-Zeitrechnung nun auch sportlich bemerkbar machen wird.

Bedeutung kommt dabei auch der Verbindung mit Aprilia zu. Noale steht mit dem Austausch der Spitzentechniker (Romano Albesiano geht zu Honda, Fabiano Sterlacchini kommt von Aprilia) vor einer großen Herausforderung, die RS-GP in Richtung Sieg weiterzuentwickeln. Denn in der hochkomplexen Königsklasse kann auch das beste Team ohne Top-Material keinen Blumentopf gewinnen.

WM-Endstand nach 40 Rennen:

1. Martin, 508 Punkte. 2. Bagnaia 498. 3. Marc Márquez 392 4. Bastianini 386. 5. Binder 217. 6. Acosta 209. 7. Viñales 170. 8. Alex Márquez 173. 9. Morbidelli 173. 10. Di Giannantonio 165. 11. Aleix Espargaro 163. 12. Bezzecchi 153. 13. Quartararo 113. 14. Miller 87. 15. Oliveira 75. 16. R. Fernández 66. 17. Zarco 55. 18. Rins 31. 19. Nakagami 31. 20. A. Fernández 27. 21. Mir 21. 22 Marini 14. 23. Pol Espargaro 12. 24. Pedrosa 7. 25. Bradl 2. 26. Gardner 0. 27. Savadori 0.

Konstrukteurs-WM:
1. Ducati, 722 Punkte. 2. KTM 327. 3. Aprilia 302. 4. Yamaha 124. 5. Honda 75.

Team-WM:
1. Ducati Lenovo Team, 884 Punkte. 2. Prima Pramac Racing 681. 3. Gresini Racing 565. 4. Aprilia Racing 353. 5. Pertamina Enduro VR46 Racing Team 318. 6. Red Bull KTM Factory Racing 304. 7. Red Bull GASGAS Tech3 242. 8. Monster Energy Yamaha 144. 9. Trackhouse Racing 141. 10. LCR Honda 86. 11. Repsol Honda Team 35.

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