Tardozzi (Ducati) glaubt: Toprak 2026 in der MotoGP
Am 21. Juni sorgte Toprak Razgatlioglus Manager Kenan Sofuoglu mit seiner Ankündigung, sein Schützling wolle die Superbike-WM nach der Saison 2024 in die MotoGP verlassen, für viel Aufregung.
Ohne Razgatlioglu wäre BMW trotz aller Fortschritte mit der M1000RR auch in der vergangenen Saison nur Mittelmaß gewesen: Der Zweitbeste aus dem Quartett der Weiß-Blauen, Michael van der Mark, kam in der Gesamtwertung auf Rang 6, fuhr in den 36 Rennen zweimal auf Podium (Sieg in Rennen 1 in Magny-Cours) und schaffte es elfmal in die Top-5. Toprak hingegen gewann 18 Läufe, 13 davon in Folge, und war 27 Mal in den Top-3. Obwohl er in sechs Rennen verletzungsbedingt fehlte, gewann er den Titel mit 43 Punkten Vorsprung auf Nicolo Bulega (Aruba.it Ducati). Der Türke hat mehr als doppelt so viele Punkte geholt wie van der Mark und nur einen weniger als die anderen drei BMW-Fahrer van der Mark, Garrett Gerloff und Scott Redding zusammen.
Jeder kann sich an fünf Fingern abzählen: BMW-Chef Markus Flasch war nicht amüsiert, als er bei SPEEDWEEK.com von den Abwanderungsgedanken seiner Lichtgestalt las. Auch wenn Sofuoglu stets gesagt hatte, dass der vorzeitige Wechsel in die MotoGP nur dann ein Thema wäre, wenn BMW Toprak aus seinem bis Ende 2025 laufenden Vertrag vorzeitig entlassen hätte.
«Als mir klar wurde, dass sie nicht glücklich sind, habe ich die Akte MotoGP sofort geschlossen», erzählte Sofuoglu damals dem Verfasser dieses Texts. «Ich erklärte Toprak daraufhin, dass wir diesen Weg nicht beschreiten können, weil wir BMW ein Versprechen gaben und für zwei Jahre unterschrieben haben. Wir wären aus dem Vertrag nur ausgestiegen, wenn sie uns die Freigabe erteilt hätten.»
«Wir lieben BMW, ich sage das nicht nur so dahin», betonte Sofuoglu. «Sie machen einen Diamanten aus Toprak. Er wird zu einem einzigartigen Diamanten, wegen BMW. Mit Yamaha konnten wir dieses Level in der Vergangenheit nicht erreichen. BMW ist eine Marke mit einem herausragenden Motorrad, einem sehr guten Paket, aber niemand konnte dieses Potenzial vorher nutzen. Toprak ist der Fahrer, der der Welt das Potenzial dieses Bikes zeigt. Das macht uns und das Motorrad speziell.»
Razgatlioglu erfüllt seinen Vertrag mit BMW in der Superbike-WM 2025 und geht als Favorit in die Saison, die Ende Februar in Australien beginnt. Vom Tisch ist das Thema MotoGP für den 57-fachen Laufsieger aber nicht, wie er diese Woch im Rahmen des Portimao-Tests erzählte: «Natürlich denke ich darüber nach, ich spreche mit verschiedenen Herstellern. 2026 werde ich ein freier Mann sein, in sechs oder sieben Monaten wissen wir mehr. Bis dahin konzentriere ich mich auf meine Aufgabe. Vielleicht bleibe ich auch danach in der Superbike-WM, vielleicht wechsle ich in die MotoGP.»
Bemerkenswert: Als er von «mehreren Herstellern» sprach, schloss er Yamaha explizit aus. Mit den Japanern hat er 2021 seinen ersten Superbike-Titel gewonnen und testete später sogar mit der MotoGP-Maschine M1, fühlte sich aber respektlos behandelt, weil die Motorradvorbereitung in seinen Augen nicht professionell war.
Stand heute sind die Chancen für einen aufsehenerregenden Wechsel des Türken in die Startaufstellung der MotoGP für nächstes Jahr stark eingeschränkt. Bis Ende 2026 sind alle Positionen in den siegfähigen Werksmannschaften von Ducati, KTM und Aprilia belegt. Erst mit dem Beginn der neuen Ära mit 850 ccm zur Saison 2027 gehen die Türen bei den Spitzenteams wieder auf.
Für 2026 könnte Toprak nur bei einem Privatteam unterkommen, was sein Manager bislang immer ausschloss. Oder beim Honda-Werksteam, wo der Platz von Luca Marini frei werden könnte – was derzeit aber keine erfolgversprechende Option darstellt.
Hinzu kommt: Am 16. Oktober 2025 wird Razgatlioglu 29 Jahre alt. Als Rookie in der MotoGP-Saison 2026 wäre er 29, 2027 schon 30 Jahre alt. Da haben die meisten Werksfahrer bereits ihr Karriereende vor Augen.
In der Superbike-WM hat Ultra-Spätbremser Toprak mit Pirelli-Reifen und Stahlbremsen neue Maßstäbe gesetzt. Ist ihm so etwas auch in der MotoGP mit Michelin-Reifen und Karbonbremsen zuzutrauen?
«Pecco Bagnaia ist auf der Bremse unschlagbar – absolut unschlagbar», holte Ducati-Teammanager Davide Tardozzi im Gespräch mit SPEEDWEEK.com etwas aus. «Wie er bremst kein anderer. Toprak ist nicht in der MotoGP, er hat nicht die gleichen Reifen und Bremsen, auch nicht die gleiche Art Motorrad. Ich bin ein Fan von Toprak, er weiß das auch. Er könnte einer sein, der in der Meisterschaft um die Top-6 kämpfen kann. Top-6 bedeutet von Platz 1 bis 6. Ich glaube nicht, dass er in die MotoGP kommen und sofort gewinnen könnte. Toprak ist ein Showman – aber die besten Fahrer hier, sind die Besten.»
Das Alter des zweifachen Superbike-Champions sieht Tardozzi nicht als Hindernis. «Es gibt da jemanden, der nennt sich Stoppuhr», hielt der Italiener fest. «Er wird dir erzählen, ob er alt ist oder nicht. Ich glaube, dass Toprak körperlich und mental die richtigen Voraussetzungen mitbringt, er hat noch einige Jahre, um in der MotoGP mitzuspielen. Und ich glaube, er wird 2026 andocken.»
Auch, wenn er dann nur in einem Privatteam unterkommen könnte? «Wir haben gezeigt, was in einem Satelliten-Team möglich ist», unterstrich die Teammanager-Ikone in Erinnerung an den Titelgewinn von Jorge Martin im Pramac-Team. «Wir haben gezeigt, dass Spitzenfahrer in einem Satelliten-Team sein können, und dass wir gemeinsam mit ihnen das Motorrad entwickeln. Sie erhalten das identische Material wie unser Werksteam. Wo liegt also der Unterschied, wenn ein Satelliten-Team bezüglich Teilen und Ingenieuren die gleiche Unterstützung wie das Werksteam hat? Wenn ein Manager nicht so denkt, dann denkt er wie früher und ist vielleicht nicht mehr gut für seinen Fahrer. Manager müssen nach vorne schauen, auf 2026. Und nicht zurück auf das Jahr 2000.»