Valentino Rossi: Sein Image hat nicht gelitten
Valentino Rossi
Es war, wenn man die Wahrscheinlichkeitsrechnung zugrunde legte, nur eine Frage der Zeit, wann Valentino Rossi einmal gründlich scheitern würde.
Seine Erfolgsspur führte in der Weltmeisterschaft von 1996 an immer nur nach oben. Bis zu seinem letzten Titelgewinn 2009. Im April 2010 erlitt Rossi beim Motocrossfahren eine langwierige Schulterverletzung. Danach zog er sich beim Mugello-GP noch einen offenen Schien- und Wadenbeinbruch zu. Es war nach mehr als 100 GP-Siegen die erste ernsthafte Verletzung des neunfachen Weltmeisters.
Dazu wurde Rossi 2010 von seinem Yamaha-Teamkollegen Jorge Lorenzo überflügelt. Damals verdüsterte sich die glanzvolle Karriere des populären Italieners. Gleichzeitig wurde Rossi damals vorübergehend von der Fähigkeit verlassen, dauerhaft richtige Entscheidungen zu treffen.
Schon vor seinem Eindringen in die Motorrad-Weltmeisterschaft 1996 war es Valentino Rossi immer gelungen, sich das bestmögliche Material zu sichern. Gut, der Wechsel 2004 zu Yamaha wirkte riskant, aber das Risiko war überschaubar. Der Umstieg zu Ducati sah einfacher aus, denn Stoner hatte mit der Desmosedici im Herbst 2010 noch einige Rennen gewonnen.
Und «Vale» war ja überzeugt, er sei besser als Casey. War es nicht so? Hm, anscheinend nicht. Zumindest fehlten Rossi jene Eigenschaften, die ein Fahrer brauchte, um das Maximum aus der launischen Ducati herauszuquetschen.
Für Rossi ging schon beim ersten Test im November 2010 alles schief, und es wurde nie wirklich besser. Ducati bemühte sich redlich. Aber entweder reichten die Anstrengungen nicht aus, oder sie zielten in die falsche Richtung. Es mag auch sein, dass am ganzen Motorradkonzept grundlegende Mängel vorhanden waren.
Der 90-Grad-V-Motor ist zu lang, das beeinträchtigt den Radstand, die Schwingenlänge, er bringt Nachteile beim Versuch, den Schwerpunkt in die Mitte zu rücken. Dabei erklärt jeder Chassis-Hersteller, die Konstruktion eines brauchbaren Fahrwerks sei im Zeitalter des Computer-unterstützten Designs keine Zauberei mehr.
Doch das Desaster war unvermeidbar. Rossi, Ducati und Marlboro blamierten sich Woche für Woche. Die ganze hoch gelobte Leidenschaft von Ducati fruchtete nichts. Dieser Treibstoff verpuffte nach einem Jahr. Als im November 2011 die fünfte Chassis-Version (oder war es die sechste) aufgetischt wurde, endlich eine aus Aluminium, angelehnt an die japanische Bauweise, hatte Ducati zwar den dritten unterschiedlichen Werkstoff (Stahl, Karbon Alu) innerhalb von vier Jahren, aber die Probleme blieben.
Jetzt ging in der Ducati-Entwicklungsabteilung langsam die Energie zu Ende, auch wegweisende neue Ideen waren 2012 nicht mehr auszumachen. Zumindest nicht mit freiem Auge.
Im Juni 2012 hat sich Audi das Ducati-Werk einverleibt. Konstrukteur Filippo Preziosi wurde inzwischen entmachtet. Ab 1. Januar ist der ehemalige BMW-Motorsport-Direktor Bernhard Gobmeier als neuer General Manager von Ducati Corse am Werk. Für 2014 könnte jetzt sogar eine Abkehr vom V4-Konzept stattfinden. Dann hätte kein einziges typischen Desmosedici-Merkmal die Rossi-Ära überlebt.
Wenn Rossi ein vornehmer Rennfahrer wäre, hätte er seinen Vertrag bei Ducati verlängern müssen. Denn er hat Honda Ende 2003 verlassen, um den Japanern zu zeigen, dass der Fahrer den Unterschied ausmacht. Aber Rennfahrer müssen Egoisten sein. Und wir Journalisten sind über Rossis Rückkehr zu Yamaha genau so froh wie die vielen Fans vor den Fernsehern und auf den Tribünen.
Jetzt müssen wir nicht mehr mit Bedauern zuschauen, wie Rossi im Training langsamster Ducati-Fahrer ist, wie er sich stellenweise von Claiming-Rule-Piloten vorführen liess, wie er sich in den Rennen im Mittelfeld abrackerte und nach Erklärungen suchte und dauernd vom Untersteuern redete. Du über die üble Gasannahme.
Jetzt kann Rossi wieder den reinen Rennfahrer spielen.
Im Gegensatz zu Ducati hat Rossi dieses zweijährige Intermezzo ohne sichtbaren Imageschaden überstanden. Ducati hingegen hat sich blamiert. Genau so wie Ingenieur Preziosi.
Valentino Rossi interessiert sich für Statistiken. Das war schon immer so. Eine Statistik beschäftigt ihn seit vielen Jahren. Er hat 105 GP-Siege errungen, Giacomo Agostini 122.
Mit der Werks-Yamaha könnte Rossi seinen populären Landsmann in zwei, drei Jahren einholen. Wenn er noch schnell genug ist und wenn ihn die jungen Löwen nicht übermannen. Im Februar wird Valentino 34 Jahre alt.
Er legt jetzt noch einmal «seine Eier auf den Tisch», wie die Italiener sagen. Die Konkurrenz ist wesentlich stärker als zu den Zeiten von Biaggi und Gibernau.
Aber mit seinem Biss, seinem Siegeswillen, seiner Motivation und seiner immensen Erfahrung hat Rossi schon oft für Überraschungen gesorgt. Für Abwechslung und Spannung ist gesorgt.