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Casey Stoner: «Die Angst ist immer mitgefahren»

Von Günther Wiesinger
Casey Stoner mit Teamchef Craig Lowndes

Casey Stoner mit Teamchef Craig Lowndes

Casey Stoner rechnet mit seiner MotoGP-Vergangenheit ab und nennt die wahren Gründe für seinen Rücktritt.

Casey Stoner gibt sich zwölf Monate, um in der «Dunlop Development Series» mit seinen V8-Holden Commodore (rund 680 PS stark) die Füsse auf den Boden zu bringen und erste Erfolge einzuheimsen. Das Team Triple Eight Holden (neuer Sponsor: Red Bull) gehört seinem Kumpel Craig Lowndes, mit dem er die Leidenschaft für Motorräder teilt.

Der zweifache MotoGP-Weltmeister aus Kurri-Kurri liess durchblicken, er werde am Saisonende über alle Möglichkeiten für die Zukunft nachdenken, falls ihm das Leben hinter dem Lenkrad nicht behagen sollte.

Stoner wollte schon seit seinem 14. Lebensjahr einen V8-Renntourenwagen lenken. Am 28. Februar beginnt sein Automobil-Renndebüt beim Clipsal 500 in Adelaide. «Ich war schon immer an den V8 interessiert», gestand Casey. «Ich war 14 oder 15 Jahre alt, als ich mich zum ersten Mal damit befasste. Ich wollte seither immer so ein Fahrzeug ausprobieren. Aber ich habe ganz darauf vergessen, weil ich so intensiv mit meiner Motorradkarriere beschäftigt war. Als ich mich zum Rücktritt entschloss, dachte ich zuerst nicht daran, wieder Rennen zu fahren. Ich wollte ein Jahr Urlaub machen und mir die Welt anschauen. Ich wollte Gas wegnehmen, es mir ein bisschen gemütlich machen. Aber bevor das Jahr verstrichen war, befasste ich mich mit der V8 Development-Serie. Es gab erste Gespräche, schliesslich wurde der Deal unterzeichnet.»

Auf einer privaten Piste an der Gold Coast hat Stoner heimlich noch getestet, bevor er sich endgültig zum Umstieg in den Vierradsport entschied. Der 45-fache GP-Sieger steigt jetzt in ein Metier ein, über das er nicht viel weiss.

Aber Casey wird noch einige Zeit in Simulatoren verbringen, um sich mit den für ihn neuen Rennstrecken anzufreunden. «Ich habe auf zwei Rädern begonnen und habe bisher auf vier Rädern so gut wie nichts unternommen», räumt Stoner ein. «Ich muss also sehr viel lernen. Ich habe mein ganzes Leben auf Motorrädern verbracht. Ein Ziel war, die MotoGP-WM zu gewinnen. In Rennautos habe ich bisher nicht viel Zeit verbracht. Vor einem Jahr habe ich ein paar Runden im Driving Centre von Paul Morris gedreht, um ein erstes Gefühl zu bekommen. Aber diese Autos dort unterscheiden sich stark von den echten V8-Renntourenwagen. Dann hatte ich bisher nur einen richtigen V8-Test. Dieser ist gut verlaufen, aber das hat nichts zu bedeuten. Ich habe keine Erwartungen. Mit zwei Ausnahmen: Ich will Freude daran haben und nicht rund um die Uhr damit beschäftigt sein.»

Als Andenken an seine Motorradlaufbahn trägt Casey Stoner auf seinem ganzen Körper Narben. «Ich habe einen Kahnbeinbruch erlitten, dazu mein Handgelenk und meinen Knöchel gebrochen», zählt der 27-jährige Australier auf. «Ausserdem habe ich mir zweimal in einem Jahr das Schlüsselbein gebrochen. Das ist alles, was mit Knochenbrüchen zu tun hat. Einmal habe ich mir den Rücken arg verklemmt, als sich ein Fahrer vor mir verschaltet und mich neben die Piste befördert hat. Ich habe in einem Strohballen eingeschlagen, dabei sind meine Rückenwirbel zusammengestaucht worden. Seitdem habe ich ein Bandscheibenproblem, das immer wieder böse Beschwerden verursacht. Manchmal verklemmen sich die Wirbel, dann kann ich mich eine Stunde lang oder länger keinen Zentimeter mehr bewegen. Dann muss ich einfach hilflos rumliegen.»

Stoner räumte im Interview mit dem «Sunday Telegraph» jetzt erstmals ein, er sei bei allen Motorradfahrten von Furcht begleitet worden. «Die Angst ist immer mitgefahren», erzählte er. «In all den Jahren gab es vielleicht zwei Jahre, in denen ich keine Angst verspürt habe. Es ist keine nette Sache, gegen diese Angst ankämpfen zu müssen. Das ist schrecklich. Die meisten von uns spüren Angst, keiner will stürzen. Gleichzeitig will keiner von uns der Verlierer sein. Du musst eine gewisse Balance finden. Es gehen dir viele Dinge durch den Kopf. Aber du musst dich damit abfinden und die Angst überwinden. Dann hast du das halbe Gefecht gewonnen.»

Casey beteuerte aber, die Verletzungen oder seine Familie seien nicht die Ursache für den Rücktritt gewesen.

Casey Stoner kann sich vorstellen, eines Tages wieder in den MotoGP-Sport zurückzukehren. Das wird nicht von heute auf morgen passieren. Doch der australische Sportheld lässt sich eine Tür offen. «Momentan habe ich nicht die geringste Absicht, wieder Motorradrennen zu fahren. Aber wenn ich im MotoGP-Sport dramatische Änderungen erkenne, wenn wieder interessante Aspekte auftauchen, dann besteht eine grosse Chance. Aber wenn sich die MotoGP-Serie so entwickelt wie jetzt, dann gibt es keine Chance für eine Rückkehr.»

Stoner sei von manchen Fans bespuckt worden, sie hätten ihn im Paddock vom Roller gestossen und respektlos behandelt, Letzteres gelte auch für die MotoGP-Funktionäre, liess der Zweiradstar durchblicken.

«Ich wollte neue Dinge unternehmen, deshalb bin ich zurückgetreten. Ich habe einfach die Liebe zum Motorradsport verloren. Viele Leute im GP-Sport haben uns nicht genug Respekt entgegengebracht. Fans wollten mich vom Roller stossen, als ich vom Motorhome zu den Boxen gefahren bin. Und es macht keinen Spass, im Paddock bespuckt zu werden. Das war aber nur ein Teil, der mich gestört hat. Ausserdem war meine Ehrlichkeit nicht erwünscht. Mir hat nicht gefallen, in welche Richtung sich die MotoGP-WM entwickelt hat. Wir haben 2011 einen Fahrer verloren (Marco Simoncelli), aber ein paar Wochen später verlief wieder alles in den üblichen Bahnen, als sei nie etwas passiert. Sie wollen einfach Spektakel haben und merken nicht, dass wir unser Leben aufs Spiel setzen. Wir sind in dieser Welt zu Puppen verkommen. Mit Rennsport hat das nichts mehr zu tun.»

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