Jorge Lorenzo: «Pilot zu sein, ist ein Glückfall»
Lorenzo gegen Márquez: Was heute nicht gelingt, gelingt morgen
Der Amerikaner André Agassi war ein grossartiger Tennisspieler. Er hat acht Grand-Slam-Turniere gewonnen und war lange die Nummer 1 im Tennis. Extrovertiert und in kein Schema passend, hat André eine eigene Tennisschule eröffnet und eine Biografie geschrieben: Open. Sie hat sich weltweit millionenfach verkauft. Ein schönes Buch, interessant und abwechslungsreich. Es könnte auch zu anderen Sportlern passen – zu MotoGP-Piloten zum Beispiel. Wir haben mit Jorge Lorenzo darüber gesprochen, auch er war beeindruckt von diesem Buch. Gemeinsam mit ihm haben wir einige Passagen daraus besprochen.
Jorge, Agassi schreibt: «Ich spiele Tennis, um zu leben, auch wenn ich es hasse, es ist eine obskure und geheime Leidenschaft, ich habe es immer gehasst.» Du hattest wie Agassi einen Vater, der besessen war vom Sport. Hasst du das Motorrad auch?
Nein, so ist es nicht. Ich hasse die Motorräder nicht, auch die Rennen nicht. Für mich ist es keine Arbeit, es ist ein Glücksfall, Pilot zu sein.
Umso mehr, wenn du schnell bist, in der MotoGP fährst, Rennen und WM-Titel gewonnen hast. So etwas kann man nicht hassen.
Ich habe alles, was ich möchte: Erfolg, ich bin Sportler, verdiene gut, ich bin berühmt. Was will ich mehr?
Klar, kein Job ist perfekt, auch bei uns gibt es negative Seiten, Unfälle zum Beispiel. Oder den Druck, den man aushalten muss. Kein schönes Gefühl, schon gar nicht am Renntag.
Aber mal abgesehen von diesen beiden Dingen, finde ich den Motorsport fantastisch. Und ohne meinen Vater wäre ich gar nicht hier.
Sicher, er war den anderen Vätern um einiges voraus. Er war ein Professor des «motociclismo», er wusste bei jedem Training, wie du dich verbessern konntest. Er war ein Glücksfall für mich, auch wenn er sehr fordernd war und einen harten Charakter hat. Er glaubte eben an die Disziplin.
Als junger Bursche war das für mich nicht immer einfach zu verstehen. Es gab Sonntage, da wollte ich lieber mit anderen Jungs Fussballspielen statt zu trainieren oder Motocross zu fahren. Und das wurde ja nie zum Spass gemacht, denn immer hatte er die Stoppuhr in der Hand. Das ist hart, wenn du 5, 10 oder 13 Jahre alt bist.
Sagen wir es so: Zu 50 Prozent gefällt es dir und zu 50 Prozent ist immer der Druck da, noch schneller zu werden. Oder es zumindest zu versuchen.
Müssten deiner Meinung nach die Väter der Rennstrecke fern bleiben? So wie das zum Beispiel im Fussball beim FC Barcelona gehandhabt wird, wo Väter von auserwählten Nachwuchsspielern nicht ins Training kommen dürfen?
Das darf man nicht pauschalisieren, denn jeder hat seinen eigenen Charakter und seine Persönlichkeit. Trotzdem ist diese Regel nicht falsch. Ich habe mit meinem Vater viele Diskussionen geführt; manchmal war ich nicht ganz aufrichtig. Wir haben beide einen starken Charakter. Ich bin jemand, der eher ein entspanntes Ambiente bevorzugt.
Aus diesem Grund blieb mein Vater der Rennstrecke fern, als ich meine GP-Karriere so richtig begann.
Agassi schreibt: «Tennis ist der Sport, bei dem du Selbstgespräche führst. Im Tennis stehst du Angesicht zu Angesicht direkt deinem Gegner gegenüber, aber du sprichst weder mit ihm, noch mit jemand anderem.» Ist das auch in der MotoGP so?
Es ist schon anders bei uns. Ich rede nie mit mir selber. Wenn du mir während eines Rennens ein Mikrofon in den Helm verpflanzen würdest, käme keine Silbe raus. Wenn ich im Sattel sitze, denke ich zum Beispiel an den Gegner und die Mühe, die ich habe, an ihm dran zu bleiben. Oder dass ich mehr pushen muss, um vorne weg zu kommen. Oder, dass in einer bestimmten Kurve die Gefahr besteht, dass das Motorrad vorne einklappt. Manchmal bist du so konzentriert, fast wie in Trance, dass du dich erst, nach dem du vom Motorrad gestiegen bist, an das erinnerst, was du gemacht hast.
Agassi schreibt: «Zu gewinnen ändert nichts. Ich habe einen Grand Slam gewonnen. Und? Ein Sieg ist nicht so angenehm, wie eine Niederlage schmerzen kann.»
Ja, es gibt Momente, da spürst du dieses Gefühl, dass du von einem bestimmtes Resultat eigentlich mehr Freude erwartet hättest. Deshalb ist es wichtig, immer voraus zu schauen. Und zu lernen, die schönen Momente möglichst ausgiebig zu geniessen. Sonst hat es keinen Zweck, tagtäglich hart zu arbeiten. Streng zu sein. Und dann schmeckt dir der Erfolg nicht mehr. Genau aus dem Grund versuche ich, den Erfolg mehr zu geniessen. Für mich waren bis vor drei Jahren die Schmerzen einer Niederlage enorm. Dann habe ich aber begriffen, dass man das gedanklich verarbeiten muss. Manchmal muss man sich einprägen: Was mir heute nicht gelungen ist, gelingt mir morgen.
(2. Teil am Montag, 13. Mai – auf SPEEDWEEK.com)