Valentino Rossi: Hört er am Jahresende auf?
Kolumne von Günther Wiesinger
© Gold & Goose
Valentino Rossi mit Freundin Linda Morselli
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Kein MotoGP-Reporter dieser Welt, der halbwegs bei Sinnen ist, wünscht sich einen Rücktritt von Valentino Rossi. Ich schon gar nicht. Ich bin vielleicht einer der Letzten, der sich so ein Szenario herbeisehnt. Vielleicht trete ich dann auch gleich zurück. Bevor mich eine journalistische Ausgabe von Marc Márquez alt aussehen lässt oder ich wieder einen Langweiler-Weltmeister wie Alex Crivillé 1999 erleben muss. Jedenfalls habe ich in all den vielen Jahren im Motorsport schon so viele überraschende Wendungen erlebt, dass ich das Wort «unmöglich» bereits 1981 für immer aus meinem Wortschatz gestrichen habe. Ein Rossi-Rücktritt per Jahresende würde mich nicht aus den Socken hauen. Ich vermute: Er fährt nur weiter, wenn sich die Ergebnisse bessern. Und zwar deutlich.
Halten wir uns zuerst einmal an die Fakten. Valentino Rossi hat im Juli 2012 bei Ducati eine Vertragsverlängerung abgelehnt, er hat damit eine Gage von 17 Millionen Euro in den Rauchfang geschrieben und dazu die Aussicht, nach Beendigung seiner MotoGP-Karriere bei Ducati-Eigentümer Audi und beim VW-Konzern eine fulminante Automobilrennkariere zu starten – Sportwagen mit Audi, DTM mit Audi, Rallye-WM mit VW, alles schien denkbar. Oder die Superbike-WM mit Ducati.
Doch Rossi wollte seinen Ruf als Zweiradkönig wiederherstellen. Deshalb unterschrieb er für das Yamaha-Werksteam. Fahrergagen unterliegen der Verschwiegenheitspflicht, es sickern immer nur Gerüchte durch. Im Falle Rossi war zu hören: Fixum 4 Millionen Euro, dafür ein prozentueller Anteil an den Sponsoreinnahmen. Von 5 Prozent war die Rede. Wie gesagt: Genaues weiss man nicht.
Es sah alles rosig aus. Rossi hielt sich bei den Wintertests oft unter den ersten drei, er war fast nie schlechter als Vierter. Erst in Austin/Texas strauchelte er. Die jungen Löwen prägten sich die neue Piste viel schneller ein als der Altmeister.
Die Zischenbilanz ist nicht gerade rosig
Inzwischen sieht die Zwischenbilanz nicht gerade rosig aus: Rossi hat 2013 die Startplätze 7, 8, 5 und 8 erreicht; in den Rennen war er Zweiter, Sechster, Vierter und Zwölfter. Er liegt in der WM nach vier Rennen an fünfter Stelle mit 47 Punkten (auf der viel geschmähten Ducati war er 2013 nach vier Rennen WM-Sechster mit 42 Punkten); Ducati-Pilot Andrea Dovizioso hat 2013 nur acht Punkte weniger eingesammelt als der grosse Valentino.
Das hört sich alles nicht so hinreissend an. Vor allem meinte Rossi nach den Übersee-Rennen: «Jetzt kommen die Pisten, auf denen ich gross geworden bin.»
Manchmal wirkt Valentino bereits ein bisschen grüblerisch. Beim ersten Sepang-Test im Februar sagte er: «Die Zeiten von Márquez sind beängstigend. Denn er hat von uns allen die wenigste Erfahrung. Das heisst: Er wird sich noch gehörig steigern.»
In Katar sah Rossi seine Worte bestätigt. «Wenn ich Marc besiegen will, muss ich es in der ersten Saisonhälfte tun», sinnierte der Yamaha-Heimkehrer. «Wer weiss, ob er in der zweiten Jahreshälfte nicht schon zu stark ist.»
Manchmal wird sich Valentino Rossi vermutlich die Frage stellen: Wie lange soll ich mir das noch antun?
Keine Frage, er verfügt über den nötigen Siegeswillen, über die nötige Einsatzbereitschaft, aber mit 34 Jahren kann er sich nicht mehr so rasch an das neue Quali-Format gewöhnen, in dem in 15 Minuten in je zwei zwei-Runden-Runs alles aus der YZR-M1-Yamaha gequetscht werden muss. Er nützt in diesen zwei Runden den Zusatz-Grip der neuen weichen Bridgestone-Reifen nicht so beherzt aus wie Pedrosa, Lorenzo und Márquez. Deshalb büsst er auch in der Anfangsphase der Rennen wertvolle Zehntel ein. Achte Startplätze erschweren die Aufgabe zusätzlich.
Die Honda sind momentan unschlagbar
Ärgerlich: Rossi ist genau in dem Augenblick zu Yamaha zurückgekehrt, in dem Kontrahent Honda eine überragende RC213V gebaut hat, die erstklassig auf die Bedürfnisse der Bidgestone-Reifen zugeschnitten ist.
Ich habe als Journalist schon Dutzende gewaltige Überraschungen erlebt. Als Barry Sheene einen Suzuki-Werksvertrag ablehnte und 1981 lieber ein Jahr lange eine private Yamaha fuhr, als Mike Hailwood mit 40 Jahren bei Suzuki ein Comeback bei der Tourist Trophy startete, als Honda 1982 mit einem Oval-Kolben-Viertakter in der 500er-WM die Zweitakter von Yamaha, Suzuki und Kawasaki ärgern wollte, als Rossi Ende 2003 von Honda zu Yamaha wechselte, als Ducati-Star Stoner im Juni 2010 seinen Transfer zu Honda kundtat – und als sich dadurch Rossis wechsel zu Ducati anbahnte.
Warum hat Yamaha fünf Fahrer?
Offenbar bin ich mit meiner Vermutung, Valentino könne bei Yamaha bereits Ende 2013 statt Ende 2014 aussteigen, nicht ganz allein. Sein persönlicher Berater Davide Brivio seilt sich zu Suzuki ab und leitet dort künftig das MotoGP-Werksteam. Yamaha-Rennchef Lin Jarvis liess Pol Espargaró einen Vorvertrag für die MotoGP-WM unterzeichnen. Er hat jetzt für 2014 fünf Fahrer (Lorenzo, Rossi, Espargaró und Smith) für vier Plätze, wenn man Cal Crutchlow dazurechnet, den Yamaha nicht kampflos zu Suzuki oder Ducati ziehen lassen wird.
Ich will den Teufel nicht an die Wand malen. Aber auch Dorna-Chef Carmelo Ezpeleta macht sich Sorgen um sein Aushängeschild, sicher nicht von ungefähr. «Valentino wird keine Ewigkeit mehr fahren», sagte Ezpeleta in Le Mans. «Wir müssen auf seinen Rücktritt vorbereitet sein.»
Naja, vielleicht wird alles gut. Wenn der gute Valentino in Mugello eine Show abzieht wie in seinen besten Tagen, wenn er sich in Barcelona, Assen, auf dem Sachsenring und in Brünn und Misano in eine fahrerische Euphorie steigert, dann werden unsere trübsinnigen Rossi-Rücktritts-Gedanken genau so schnell verflogen sein, wie sie gekommen sind.
Dann soll das Yamaha-Problem mit den fünf Fahrern nicht das unsere sein. Wo Crutchlow und Smith nächstes Jahr ihre Kreise ziehen, ist zweitrangig.
Solange uns Rossi erhalten bleibt und er dem Kampf der Titelfavoriten etwas Würze verleiht, bleibt die MotoGP-WM ein Erlebnis der besonderen Art.
Ja, ich bin ein Rossi-Fan. Und ich kann 1000 Gründe dafür aufzählen. Klar, ein Journalist soll objektiv sein. Ich tue mein Bestes. Aber ich mag Rennfahrer, die mehr können, als schnell im Kreis zu fahren.
Und solange man mir nicht vorwirft, ich sei Barbera-Fan, ist alles in Ordnung. Ich mag keine Fahrer, die ihre Schlagkraft am liebsten bei «Diskussionen» mit ihrer Freundin unter Beweis stellen.
Halten wir uns zuerst einmal an die Fakten. Valentino Rossi hat im Juli 2012 bei Ducati eine Vertragsverlängerung abgelehnt, er hat damit eine Gage von 17 Millionen Euro in den Rauchfang geschrieben und dazu die Aussicht, nach Beendigung seiner MotoGP-Karriere bei Ducati-Eigentümer Audi und beim VW-Konzern eine fulminante Automobilrennkariere zu starten – Sportwagen mit Audi, DTM mit Audi, Rallye-WM mit VW, alles schien denkbar. Oder die Superbike-WM mit Ducati.
Doch Rossi wollte seinen Ruf als Zweiradkönig wiederherstellen. Deshalb unterschrieb er für das Yamaha-Werksteam. Fahrergagen unterliegen der Verschwiegenheitspflicht, es sickern immer nur Gerüchte durch. Im Falle Rossi war zu hören: Fixum 4 Millionen Euro, dafür ein prozentueller Anteil an den Sponsoreinnahmen. Von 5 Prozent war die Rede. Wie gesagt: Genaues weiss man nicht.
Es sah alles rosig aus. Rossi hielt sich bei den Wintertests oft unter den ersten drei, er war fast nie schlechter als Vierter. Erst in Austin/Texas strauchelte er. Die jungen Löwen prägten sich die neue Piste viel schneller ein als der Altmeister.
Die Zischenbilanz ist nicht gerade rosig
Inzwischen sieht die Zwischenbilanz nicht gerade rosig aus: Rossi hat 2013 die Startplätze 7, 8, 5 und 8 erreicht; in den Rennen war er Zweiter, Sechster, Vierter und Zwölfter. Er liegt in der WM nach vier Rennen an fünfter Stelle mit 47 Punkten (auf der viel geschmähten Ducati war er 2013 nach vier Rennen WM-Sechster mit 42 Punkten); Ducati-Pilot Andrea Dovizioso hat 2013 nur acht Punkte weniger eingesammelt als der grosse Valentino.
Das hört sich alles nicht so hinreissend an. Vor allem meinte Rossi nach den Übersee-Rennen: «Jetzt kommen die Pisten, auf denen ich gross geworden bin.»
Manchmal wirkt Valentino bereits ein bisschen grüblerisch. Beim ersten Sepang-Test im Februar sagte er: «Die Zeiten von Márquez sind beängstigend. Denn er hat von uns allen die wenigste Erfahrung. Das heisst: Er wird sich noch gehörig steigern.»
In Katar sah Rossi seine Worte bestätigt. «Wenn ich Marc besiegen will, muss ich es in der ersten Saisonhälfte tun», sinnierte der Yamaha-Heimkehrer. «Wer weiss, ob er in der zweiten Jahreshälfte nicht schon zu stark ist.»
Manchmal wird sich Valentino Rossi vermutlich die Frage stellen: Wie lange soll ich mir das noch antun?
Keine Frage, er verfügt über den nötigen Siegeswillen, über die nötige Einsatzbereitschaft, aber mit 34 Jahren kann er sich nicht mehr so rasch an das neue Quali-Format gewöhnen, in dem in 15 Minuten in je zwei zwei-Runden-Runs alles aus der YZR-M1-Yamaha gequetscht werden muss. Er nützt in diesen zwei Runden den Zusatz-Grip der neuen weichen Bridgestone-Reifen nicht so beherzt aus wie Pedrosa, Lorenzo und Márquez. Deshalb büsst er auch in der Anfangsphase der Rennen wertvolle Zehntel ein. Achte Startplätze erschweren die Aufgabe zusätzlich.
Die Honda sind momentan unschlagbar
Ärgerlich: Rossi ist genau in dem Augenblick zu Yamaha zurückgekehrt, in dem Kontrahent Honda eine überragende RC213V gebaut hat, die erstklassig auf die Bedürfnisse der Bidgestone-Reifen zugeschnitten ist.
Ich habe als Journalist schon Dutzende gewaltige Überraschungen erlebt. Als Barry Sheene einen Suzuki-Werksvertrag ablehnte und 1981 lieber ein Jahr lange eine private Yamaha fuhr, als Mike Hailwood mit 40 Jahren bei Suzuki ein Comeback bei der Tourist Trophy startete, als Honda 1982 mit einem Oval-Kolben-Viertakter in der 500er-WM die Zweitakter von Yamaha, Suzuki und Kawasaki ärgern wollte, als Rossi Ende 2003 von Honda zu Yamaha wechselte, als Ducati-Star Stoner im Juni 2010 seinen Transfer zu Honda kundtat – und als sich dadurch Rossis wechsel zu Ducati anbahnte.
Warum hat Yamaha fünf Fahrer?
Offenbar bin ich mit meiner Vermutung, Valentino könne bei Yamaha bereits Ende 2013 statt Ende 2014 aussteigen, nicht ganz allein. Sein persönlicher Berater Davide Brivio seilt sich zu Suzuki ab und leitet dort künftig das MotoGP-Werksteam. Yamaha-Rennchef Lin Jarvis liess Pol Espargaró einen Vorvertrag für die MotoGP-WM unterzeichnen. Er hat jetzt für 2014 fünf Fahrer (Lorenzo, Rossi, Espargaró und Smith) für vier Plätze, wenn man Cal Crutchlow dazurechnet, den Yamaha nicht kampflos zu Suzuki oder Ducati ziehen lassen wird.
Ich will den Teufel nicht an die Wand malen. Aber auch Dorna-Chef Carmelo Ezpeleta macht sich Sorgen um sein Aushängeschild, sicher nicht von ungefähr. «Valentino wird keine Ewigkeit mehr fahren», sagte Ezpeleta in Le Mans. «Wir müssen auf seinen Rücktritt vorbereitet sein.»
Naja, vielleicht wird alles gut. Wenn der gute Valentino in Mugello eine Show abzieht wie in seinen besten Tagen, wenn er sich in Barcelona, Assen, auf dem Sachsenring und in Brünn und Misano in eine fahrerische Euphorie steigert, dann werden unsere trübsinnigen Rossi-Rücktritts-Gedanken genau so schnell verflogen sein, wie sie gekommen sind.
Dann soll das Yamaha-Problem mit den fünf Fahrern nicht das unsere sein. Wo Crutchlow und Smith nächstes Jahr ihre Kreise ziehen, ist zweitrangig.
Solange uns Rossi erhalten bleibt und er dem Kampf der Titelfavoriten etwas Würze verleiht, bleibt die MotoGP-WM ein Erlebnis der besonderen Art.
Ja, ich bin ein Rossi-Fan. Und ich kann 1000 Gründe dafür aufzählen. Klar, ein Journalist soll objektiv sein. Ich tue mein Bestes. Aber ich mag Rennfahrer, die mehr können, als schnell im Kreis zu fahren.
Und solange man mir nicht vorwirft, ich sei Barbera-Fan, ist alles in Ordnung. Ich mag keine Fahrer, die ihre Schlagkraft am liebsten bei «Diskussionen» mit ihrer Freundin unter Beweis stellen.