MotoGP: Das Saisonfinale ist in Barcelona

Marc Márquez: Wo bleibt der Selbsterhaltungstrieb?

Kolumne von Günther Wiesinger
Marc Márquez: Er kennt keine Gnade

Marc Márquez: Er kennt keine Gnade

Wer glaubt, Marc Márquez habe durch die vier Mugello-Stürze sein Mütchen gekühlt, der irrt. Er wird seine fahrerische Gnadenlosigkeit nicht ablegen.

Wenn heute über die fahrerischen Heldentaten von Marc Márquez gefachsimpelt wird, schwanken die Meinungen der Experten und Konkurrenten zwischen Bewunderung, Neid und Missgunst. In Mugello gesellten sich – nach vier Stürzen an drei Tagen – noch Besserwisserei und Schadenfreude dazu.

«Wenn man in der Lotterie spielt, gewinnt man manchmal, manchmal verliert man», ätzte Weltmeister Jorge Lorenzo nach Márquez’ 338-kmh-Crash am Freitag.

Das ist die spannende Frahe zu den Darbietungen von Marc Márquez: Wird er diese von absoluter Furchtlosigkeit geprägte Fahrweise ewig durchstehen?

Oder wird er sich die Hörner abstossen wie andere Senkrechtstarter vor ihm – wir denken an Cecotto, Hansford, Roberts, Spencer, Biaggi, Waldmann, Rossi, Stoner, Simoncelli und andere.

Valentino Rossi ist in der ersten Saisonhälfte 1999, das war seine erste 250-ccm-GP-Saison, viermal in den ersten drei Runden gestürzt. Irgendwann hatte er den Dreh raus.

Casey Stoner galt als «Rolling Stoner», ehe er 2007 mit Ducati Weltmeister wurde. Er wurde den Ruf des Bruchpiloten erst spät los.

Márquez statt Stoner: Starker Honda-Schachzug

Der Belgier Didier de Radigues, ehemaliger 500-ccm-Werksfahrer bei Suzuki und Yamaha, mutmasste in Mugello: «Auch Márquez wird sich irgendwann auf einen etwas niedrigeren Niveau einpendeln. Wir haben schon etliche Fahrer erlebt, die aus der 250er- oder Moto2-WM kamen und in der MotoGP auf Teufel komm raus gefahren sind. Erinnern wir uns an Lorenzo und Simoncelli. Irgendwann normalisiert sich das. Das ist eine unverrückbare Regel. Es geht auch anders, wie Stefan Bradl zeigt. Stefan kämpft sich Schritt für Schritt näher an die Weltspitze heran.»

Wie auch immer: Der Honda Racing Corporation ist mit der Verpflichtung von Márquez ein einmaliger Schachzug gelungen.

Er war natürlich bereits in der Moto2-WM mit den 600-ccm-Honda-Einheitsmotoren unterwegs und stand dadurch dem weltgrössten Hersteller bereits nahe.

Aber die HRC-Manager Nakamoto und Suppo haben nach der Rücktrittsankündigung von Casey Stoner beim Le-mans-GP im Mai 2012 nicht lang den Kopf in den Sand gesteckt.

Für die Nachfolge von Stoner bei Repsol-Honda kamen vier Fahrer in Betracht: Lorenzo, Rossi, Márquez und Bradl.

Lorenzo blieb bei Yamaha. Zu Bradl hiess es bei HRC, er sei bei LCR-Honda 2013 besser aufgehoben. Das HRC-Management ahnte: Das Potenzial von Márquez ist höher. Er ist ein Siegertyp, wie er nicht alle Jahre vorkommt.

Márquez ist mit 20 Jahren besser, als es Rossi in diesem Alter war.

An Rossi hatte HRC für 2013 kein Interesse. «Die Nachfolgerin von Sharon Stone ist nicht Sharon Stoner», erklärte Repsol-Honda-Teamprinzipal Livio Suppo damals ohne Umschweife.

Das heisst: Der Nachfolger von Rossi kann nicht Rossi heissen, er muss aus der nächsten Generation kommen.

Rossi ist heute 34, Hayden 31, Pedrosa ist 27, Lorenzo 26, Dovizioso 26, Bradl 23, Márquez 20. Er kommt aus der übernächsten Generation.

Ein verkümmerter Trieb

Für Marc Márquez sind die 260 PS starken, 160 kg schweren und 342 km/h schnellen MotoGP-Raketen Spielzeuge, er meistert sie, als sässe er immer noch auf einer 125er, er zeigt kaum Respekt vor den Gegnern, er hat sich in einem halben Tag von der Moto2 (sie leistet 128 PS) auf die MotoGP-Maschine umgestellt, er fuhr bei den ersten vier Rennen viermal auf das Podest, er schüttelt sich nach Stürzen amüsiert ab – und kennt keine Gnade.

Der Begriff Selbsterhaltungstrieb existiert in seinem Wortschatz nicht. Er ist beim Texas-GP-Sieger ein bisschen verkümmert.

Márquez ist ein fahrerisches Genie. Das kam nirgends deutlicher zum Vorschein als auf dem Circuit of the Americas (COTA) in Texas, wo ihm Lorenzo, Pedrosa und Márquez keine Streckenkenntnis voraus hatten. Der Moto2-Weltmeister demolierte die Gegner dort schon beiden privaten Tests.

In Mugello erhielt Marc Márquez einen Warnschuss. Er hatte alle Schutzengel auf seiner Seite. Er hat lernen müssen: Eine 338-km/h-Kuppe ist kein idealer Schauplatz für fahrerische Experimente.

Klar, Márquez steht unter Druck.

Pedrosa hat in sieben Jahren keinen MotoGP-Titel gewonnen, Biaggi in acht Jahren nicht, Rossi gelang der Titelgewinn in seinem zweiten Jahr, seinem Landsmann Lorenzo im dritten.

Nach dem fabelhaften Saisonstart schwebte Márquez auf Wolke 7.

Er wird der MotoGP-WM 2013 viel Würze verleihen.

Ich bezweifle nach wie vor, dass Marc Márquez in diesem Jahr Weltmeister werden kann. Denn Lorenzo und Pedrosa machen kaum Fehler. Ihre Erfahrung ist unbezahlbar.

Márquez muss diese Erfahrung mit grenzenloser Risikobereitschaft ausgleichen. Was Márquez in Jerez aufgeführt hat, schon vor dem Zusammenstoss mit Lorenzo, konnte nicht 18 Rennen lang gutgehen.

Aber der 20-jährige Rookie wird auch nach dem Mugello-Desaster nicht klein beigeben.

Die Angst fährt weiter mit. Wenn schon nicht bei Márquez, dann zumindest bei uns Zuschauern.

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