Wilco Zeelenberg: «Ich habe mit Jorge geschlafen»
«Es war meine Idee», sagt Wilco Zeelenberg
Der Niederländer Wilco Zeelenberg ist als Manager des Yamaha-Werksteams für die Abteilung von Jorge Lorenzo (26) verantwortlich. Die Rossi-Crew wird vom Italiener Massimo Meregalli befehligt.
Zeelenberg hat die ganze Lorenzo-Aktion rund um den Assen-GP aus nächster Nähe miterlebt. Hier seine aufschlussreichen Erzählungen.
Wilco, was ist dir durch den Kopf gegangen, als du gehört hast: Jorge will zwei Tage nach dem Sturz und 35 Stunden nach der Schlüsselbein-Operation das Warm-Up fahren und dann eventuell auch das Rennen?
Gut, ich war nicht dagegen... Denn es war tatsächlich meine Idee.
(Er lacht). Du kannst dir ja vorstellen... Ich habe ihm die Naht von meinem eigenen operierten linken Schlüsselbein gezeigt. Das war 1986 in Jugoslawien. Ich bin damals mit meiner 80-ccm-Huvo-Casal im Jugoslawien gestürzt. Ich musste sogar meinen Lkw heimchauffieren. Zehn Tage später bin ich wieder gefahren.
Das Wichtigste, was ich Jorge nach dem Crash gesagt habe: Wenn du jetzt ans Fahren denkst, wo sich das Schlüsselbein in zwei Teilen befindet, kannst du dir das nicht vorstellen. Das Verrückte ist: Wenn die Platte und die Schrauben drinnen sind, sieht alles anders aus, dann ist diese komische Gefühl verschwunden. Nur dein Hirn redet dir ein, das Schlüsselbein ist immer noch gebrochen.
Vor der OP hängt dir der Arm hilflos runter, das Schlüsselbein bewegt sich.
Also habe ich gesagt: Wenn du dich heute am Donnerstagabend operieren lässt, kannst du morgen Liegestütze machen!
Jorge hat entgegnet, das sei unmöglich.
Er hatte vorher nie so eine Operation miterlebt. Und er hatte nach jeder kleinen OP eine lange Zeit für die Genesung.
Eine Operation war aber sowieso nötig. Also habe ich vorgeschlagen: Wenn schon, dann lass dich sofort heute abend operieren, dann besteht eine Chance für die Rennteilnahme am Samstag.
Doch Jorge bekam diese Idee eine Zeit lang nicht in sein System rein.
Aber schliesslich hat sich auch sein Manager Albert auf eine Seite geschlagen.
Ich habe nicht aufgegeben. Ich habe Jorge dann von Reinhold Roth erzählt, der in den 1980er-Jahren am Tag nach einer Schlüsselbein-OP in Hockenheim Dritter geworden ist.
Wilco, das war ein kleiner Schwindel. Roth ist 1987 nicht operiert worden, er hat nur einen Tapeverband bekommen...
Ja, wie auch immer. Ich wusste das nicht mehr so genau.
Irgendwann war Jorge dann also überredet?
Ja, ich habe ihm auch gesagt, dass er im schlimmsten Fall vom zwölften Startplatz wegfahren muss. Dann kam er ins Grübeln. Er dachte: 12. Startplatz, das wäre nicht sooo übel.
Als nächster Schritt kam die Organisation der Operation. Dr. Mir war in Assen, er wollte im örtlichen Krankenhaus assistieren. Aber es war kein OP-Termin frei, wegen zweier Notfälle. Danach haben wir alle anderen Spitäler in der Umgebung abgeklappt, es war nichts frei.
Also machten wir einen Anruf nach Barcelona, es war sofort ein OP-Raum verfügbar.
Dann haben wir beim Dorna-Reisebüro wegen eines Fluges angefragt. Sie hatten einen Privatjet auf dem Airport Eelde bei Groningen stehen, 20 km vom Paddock entfernt.
Um 20 Uhr am Donnerstagabend haben wir uns zur Operation entschlossen. Um 19.30 Uhr hatten wir gesagt, wir warten noch eine Stunde, ob wir die OP in Assen machen können. Aber dann wurde dort ein weiterer Notfall eingeliefert.
Da wussten wir: Wir müssen nach Spanien. In den Niederlanden wird zu später Stunde nur operiert, wenn sich der Patient in einer lebensbedrohenden Situation befindet.
Ich war enttäuscht. Als Niederländer musste ich einsehen: Wir müssen die weite Reise nach Barcelona machen, weil das System in meiner Heimat nicht so gut ist.
Dr. Rodriguez hat in Barcelona Superarbeit geleistet. Acht Schrauben, eine Platte.
Bist du mitgeflogen nach Barcelona?
Ja, wir waren zu sechst. Ich habe diese Nacht im selben Zimmer wie Jorge verbracht. Ich habe in dieser Nacht mit ihm geschlafen!
Am nächsten Tag habe ich mit dem Doktor gesprochen, William Favero hat von mir die Aussagen des Arztes erhalten und das Press Release rausgeschickt.
Jorge hatte Tabletten erhalten, also war er anfangs ein bisschen schwindlig. Aber es hat Freitagfrüh nicht lange gedauert, dann hat er gesagt: Wenn es mit der Beweglichkeit so aussieht wie jetzt, kann ich vielleicht wirklich fahren. Aber wir brauchten noch das grüne Licht des Arztes.
Nach Platz 8 im Warm-Up, hast du da einen Top-5-Platz im Rennen erwartet? Jorge hat ja erklärt, wenn er nicht in die ersten zehn kommt, habe sich der Aufwand nicht gelohnt.
Ja, ich habe das erwartet. Ich wusste inzwischen: Wenn er die Schmerztabletten zum richtigen Zeit einwirft, geht es ihm sehr gut!
Wenn die Wirkung der Beruhigungsmittel ein bisschen nachliess, sah es anders aus. Denn die Wunde schmerzte ihn. Ich dachte: Das Rennen geht über 45 Minuten, das wird hart.
Aber ich dachte, wenn Jorge zehn Runden scharf fahren kann, wenn er einen guten Start hinlegt, dann könnte es klappen. Ich wusste: Die ersten drei, vier Runden werden sehr wichtig. Er hat da einen Superjob erledigt. Er hat dann noch ein paar weitere Runden gepusht. Dann sagte er: Okay.
Du hast im Rennen sofort erkannt: Jorge wird die Distanz durchstehen.
Ja, sofort. Als Jorge nach der ersten Runde siebter hinter Cal Crutchlow lag, sie lagen dicht beisammen. Und als ich nach vier oder fünf Runden seinen Speed sah, war ich überzeugt. Schon im Warm-up hat sich Jorge ständig gesteigert. Nur die Highspeed-Sektion im letzten Streckenabschnitt hat ihm Schwierigkeiten gemacht. Dort hat er eine halbe Sekunde verloren.
Als er Dani Pedrosa vor sich an vierter Position sah, konnte Jorge durchatmen?
Genau. Danach konnte er sich ein bisschen zurücklehnen. Es bestand keine Ursache mehr, richtig zu pushen. Pedrosa war zuerst an dritter Stelle, aber Cal klebte bereits an seinem Hintern. Jorge wusste, mehr konnte er nicht tun. Und er fühlte sich bei diesem Speed sehr sicher. Mir wäre nicht wohl gewesen, wenn ich ihn in einem Duell gegen Dani verwickelt gesehen hätte.
Der Sachsenring hat elf Linkskurven und zwei Rechtskurven. Das sollte gut sein für Jorge. Kann er am Sonntag gewinnen?
Gewinnen ist in dieser Klasse immer schwierig. Aber wenn Jorge fit ist, kann er gewinnen. Ich kann aber vor dem ersten Training nicht einschätzen, ob Jorge hier bereits 100 Prozent seiner Fitness ausspielen kann.
Muss Jorge Lorenzo einfach die nächsten zwei Rennen im Juli heil überstehen, zweimal auf das Podest fahren vielleicht, und dann ab Indy wieder voll attackieren?
Nein, nein, ich denke, wir sind im Moment etwas zu enthusiastisch, wenn wir über die mögliche Performance von Jorge sprechen. Jorge hat in Mugello und Barcelona starke Leistungen gezeigt. Aber wir dürfen die Honda nicht unterschätzen, wenn ihr Paket passt. Hier auf dem Sachsenring werden sie sehr schwierig zu schlagen sein. Ganz sicher. Selbst wenn Jorge fit ist.
Es ist immer eine Herausforderung, um einen Podestplatz zu kämpfen. Wir müssen jetzt den nächsten Schritt machen. Dann können wir versuchen, wieder zu gewinnen.
Im Moment steht das auf unserer Wunschliste.
Wenn du Fünfter werden kannst, bedeutet das nicht, dass du zwei Wochen später locker das nächste Rennen gewinnen kannst.