Die Hailwood-Trilogie

«Mike the Bike» Hailwood
Wenn ich die Ziellinie des modernen Sachsenring heute, 50 Jahre später, betrachte, spüre ich noch immer die Geschichte. Man erinnert sich an all die Schwarz-Weiß-Fotos der selbstgebauten Tribünen, der aufgeregten Menschenmengen und der nebeligen bewaldeten Hügel und alles passt zusammen. Eine der heutigen Zufahrtsstraßen war das Ende der alten Strecke bis zur Ziellinie. Auf dem Weg von der Autobahn zur Rennstrecke fährt man an dem Platz vorbei, wo der britische Pilot Jimmy Guthrie starb. Ein kleines Denkmal an der Straße, das in den letzten Jahren dem Verfall überlassen wurde, erinnert daran.
Dies ist nicht das Einzige, das sich in den 50 Jahren verändert hat, seit Mike Hailwood Geschichte schrieb. Es war der 18. August 1963, als er mit seiner 250er-MZ, nahe des Hauptsitzes des ostdeutschen Herstellers, vor der Vierzylinder-Honda von Jim Redman die Ziellinie überquerte und den dritten Sieg bei nur einen Grand Prix einfuhr. Dieser Triumph konnte weder zuvor erreicht noch danach wiederholt werden.
Doch wie kann das sein? Wer fährt in der heutigen Ära der Spezialisierung in mehr als einer Klasse? In der Regel braucht es mindestens ein Jahr bis sich ein Fahrer an die neue Klasse gewöhnt hat. Außer du heißt Marc Márquez oder Mike Hailwood.
Eine goldene Ära
Die 1960er-Jahre waren eine spannende Zeit im Rennsport. Viele nennen die großartigen Kämpfe mit den Zweitakt-Maschinen in der 500er-Klasse in den 1980er-Jahren ein goldenes Zeitalter, aber es ist nicht das einzige. Die Weltmeisterschaften an sich waren kaum zehn Jahre alt, als eine neue Kraft aus dem Osten aufblühte und die Regeln in einer Ära sich überschlagender technischer Entwicklungen neu schrieb. Dies war, dank MZ, der Anfang der Hochleistungsmaschinen mit Zwei-Takt-Motor.
Nur vier Jahre zuvor nahm Honda erstmals an der Isle of Man TT teil, Suzuki kam ein Jahr später hinzu. Die technischen Festungen Europas wie Gilera und MV Agusta wurden eingenommen. 1961 wurden Tom Phyllis und Mike Hailwood die ersten Weltmeister auf japanischen Konstruktionen und zwar auf 125er- und 250er-Honda. Im Jahr darauf holte der abtrünnige MZ-Pilot Ernst Degner den ersten Titel für Suzuki und gleichzeitig den ersten mit einer Zwei-Takt-Maschine in der neuen 50-ccm-Klasse. Währenddessen schaffte Honda einen Durchmarsch in der 125er-Klasse mit Luigi Taveri, in der 250er- und 350er-Klasse mit Jim Redman. 1963 folgte eine neue Herausforderung: Yamaha erschien ebenfalls auf der Bildfläche.
Nur in der 500er-Klasse war Japan nicht vertreten und so stagnierte der Wettbewerb. MV Agusta dominierte in einem Feld, das Britischen Ein- und Zweizylinder bestand, doch es war die Königsklasse. Das war ein Grund dafür, dass Mike Hailwood für 1963 bei MV Agusta unterschrieb und in der 250er-, 350er- und 500er-Klasse antrat. Doch dann zog sich der italienische Hersteller aus der 250er-Klasse zurück und stellte es dem 23-jährigen Hailwood frei, auf der technisch faszinierenden MZ anzutreten. Dieses Motorrad war der Pionier der Hochleistungsmaschinen mit Zwei-Takt-Motor. Der legendäre Ingenieur Walter Kaaden konstruierte die Maschine mit kleinem Budget in Zschopau, das nicht weit vom Sachsenring entfernt ist.
Rennsport im Kalten Krieg
Nach nur einem Jahr kollidierte der aufkeimende Glamour des Rennsports mit den Entwicklungen in Ostdeutschland. Der Sachsenring, der aus 8,7 Kilometer langen öffentlichen Straßen bestand, zog bereits beim ersten Rennen 1927 140 000 Zuschauer an, lange bevor das kommunistische System der DDR überhaupt bestand. Nach dem Zweiten Weltkrieg befand sich die Strecke hinter dem Eisernen Vorhang, wo ein ganz anderer Lebensentwurf herrschte, aber dieselbe Liebe für den Motorradsport bestand.
Geschätzt 300 000 Menschen verfolgten den Ostdeutschen Grand Prix, der von 1961 bis 1972 stattfand. Die Fahrer genossen die große Unterstützung. Hailwood wurde mit Lob und Zuspruch überschüttet, als er mit seinem gelben Iso-Grifo dort ankam. Doch es war eine schwierige Veranstaltung: Das Passieren der Grenze war problematisch, denn zu diesem Zeitpunkt schritt der Kalte Krieg seinem Höhepunkt entgegen und die Berliner Mauer wurde 1961 errichtet. Ein weiteres Problem war das Preisgeld, das in einer außerhalb von Ostdeutschland nahezu wertlosen Währung ausgezahlt wurde. Zudem war die Ausfuhr der Währung ohnehin verboten.
Die 8,7 Kilometer lange Strecke durch Dörfer, Wälder und Felder war schnell und gefährlich, denn es fehlten jegliche Sicherheitsmaßnahmen. Der Brite Bill Ivy bezahlte dies 1969 mit dem Leben, doch zu dieser Zeit wurde dies nicht als allzu außergewöhnlich angesehen.
Drei Siege in zwei Tagen
Hailwoods drei Siege fanden an zwei Tagen statt: Den ersten holte er in der 350er-Klasse am Samstag, wofür die Leistung seiner Vierzylinder MV Agusta reduziert wurde. Der größte Gegner war Hondas Vierzylinder-Maschine, die im Grunde genommen ein großes 250er-Bike war. Dies gab den Fahrern genug Vorteile, damit Jim Redman den Titel erneut gewann. Doch Jim hatte auf dem Sachsenring einen schlechten Tag und fiel hinter seinem Honda-Teamkollegen Luigi Taveri, der eine alte Zweizylinder Honda fuhr, auf den dritten Platz zurück. Honda hatte insgesamt ein schlechtes Wochenende, denn auch in der 125er-Klasse setzte sich eine andere Marke durch. Hugh Anderson fuhr auf Suzuki seinen ersten Titel ein. Nach dem Rennen lautete eine Schlagzeile: «Die Abrechnung mit Honda.»
Das große Rennen der 500er-Klasse fand am Sonntag statt. Hailwood, der seinen Titel verteidigte, musste sich gegen den früheren Weltmeister Geoff Duke aus dem Gilera-Team durchsetzten. Phil Read war verletzt und John Hartle erlebte einen Albtraum: Sein vorderes Schutzblech machte sich in der ersten Runde selbstständig, blockierte das Vorderrad und verdrehte die Gabel. Derek Minter, der sich vier Monate zuvor den Rücken gebrochen hatte, befand sich wenigstens in derselben Runde wie Hailwood, wie auch der Dritte Alan Shepherd. Es war ein Kinderspiel, aber Mike stellte einen neuen Rekord auf.
Der dritte Sieg folgte im 250er-Rennen. Dieser machte Hailwood zu einem Held, nicht nur weil er damit einen Rekord brach, sondern wegen der Art und Weise wie es ihm gelang. Shepherd, der auf dem Sachsenring ebenfalls in drei Klassen auf dem Podium stand, war Hailwoods MZ-Teamkollege auf der blau-silbernen wassergekühlten Zwei-Takt-Maschine. Die Menschenmenge begrüßte die beiden mit einem Getöse, das nur eine Viertelmillion Fans erzeugen können.
Shepard startete von der Pole, führte und hielt sich Redmans Honda, die Zweit-Takt-Maschine mit der besten Beschleunigung, vom Leib. Mike lag auf dem dritten Rang, doch nach fünf von 15 Runden überholte er Redman. Shepherd lag bereits sieben Sekunden vor ihm, doch Hailwoods Siegeswille war groß. Nach der Hälfte der Distanz hatte er ihn bereits eingeholt. Ein weiterer Jubel der Fans ertönte, als er in Führung ging.
Mike, der stets zurückhaltend war, machte sich nicht viel aus diesem Erfolg. Vielleicht lag er damit sogar richtig, dass er auf seinen Rekord, 1961 drei TT-Rennen in einer Woche gewonnen zu haben, stolzer war.
Hailwoods Erbe
Als Rennfahrer schien der neunfache Weltmeister Hailwood alles zu haben: Hingabe, Talent, Intelligenz, Taktik, technisches Verständnis, grenzenlosen Enthusiasmus und einen unbezwingbaren Geist. Als Mann kam sein gutes Aussehen, das von einem markanten Kinn bestimmt wurde, hinzu. Mit seinem natürlichen Charme gewann er viele Freunde und Bewunderer aus allen sozialen Schichten. Mike war bescheiden und fröhlich, egal ob unter Widrigkeiten oder bei Erfolg.
Seine Karriere war von außergewöhnlichen Taten geprägt. Er erhielt die George Medal, die zweithöchste zivile Auszeichnung des Vereinigten Königreichs, da er sein Leben riskierte, um den befreundeten Formel1-Piloten Clay Regazzoni aus seinem brennenden BRM zu retten. Auch im Rennsport gibt es einige Beispiele, wie seinen Sieg in der TT 1965 bei dem sein großes Kinn, nach einem Sturz, blutete und die Verkleidung seiner MV gebrochen war und er trotzdem seinen Teamkollegen Agostini besiegte.
Auch in der Ära von Valentino Rossi, der vielleicht sein natürlichster Nachfolger ist, wurde Mike Hailwood bei Leserumfragen noch immer auf die Liste der Größten aller Zeiten gewählt. Sein neuster Nachfolger ist wohl Marc Márquez. Aber es gibt mindestens zwei große Unterschiede zwischen «Mike the Bike» und den anderen zwei. Sie haben nie die Isle of Man TT gewonnen. Mike siegte 14 Mal und die letzten beiden gewann er im Alter von 38 Jahren, nachdem er aus dem Ruhestand zurückkehrte und bereits eine nicht so erfolgreiche Formel1-Karriere hinter sich hatte. Und sie sind nie in drei Grand-Prix-Klassen gleichzeitig angetreten.
Es war bitterste Ironie, dass dieser Held der Helden so prosaisch, als ein unschuldiges Opfer an der Seite seiner Tochter bei einem Zusammenstoß mit einem wendenden LKW auf dem Weg Essen mit dem Familienwagen abzuholen, starb.