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Marc Márquez: Ein gnadenloser Grenzgänger

Von Günther Wiesinger
Marc Márquez hat 2013 alle Kritiker Lügen gestraft. Er hat zwar zehn Stürze auf seinem Konto, aber seine Erfolgsbilanz übertrifft alle Erwartungen.

Dani Pedrosa gewann 2012 sechs der letzten acht MotoGP-Rennen. Er startete entsprechend selbstbewusst in die Saison 2013, sein lästiger Rivale Casey Stoner hatte sich mit 27 Jahren vom Motorradsport verabschiedet.

Die Werks-Honda war überlegen, Pedrosa genoss die Favoritenrolle.

Klar, Marc Márquez würde eines Tages ein brauchbarer MotoGP-Pilot werden. Aber dass er bereits 2013 ein Rennen gewinnen würde, das glaubte offenbar nur HRC-Vizepräsident Shuhei Nakamoto. Der Japaner himmelt den Spanier an, er ist seine Erfolgsgarantie für die Zukunft.

Aber Marc Márquez, genannt «der Gnadenlose», ist nicht mit den üblichen Massstäben zu messen.

Es gibt kein Superlativ, das seinetwegen nicht schon bemüht wurde.

Die Statistik spricht Bände: 13 Podestplätze in 14 Rennen, sieben Siege, vier zweite und drei dritte Plätze, sieben Pole-Positions, 39 Punkte Vorsprung auf Jorge Lorenzo.

Was soll jetzt noch passieren?

Márquez wird auf der Repsol-Honda als erster Rookie in der Königsklasse seit Kenny Roberts 1978 Weltmeister werden.

Márquez bricht alle Rekorde

Der Repsol-Honda-Star hat alle Rekorde von Freddie Spencer und Co. gebrochen. Jüngster Sieger in der Königsklasse, jüngster Pole-Setter, jüngster WM-Leader, die meisten Podestplätze eines Rookies, bereits vier Rennen vor Schluss mehr Punkte als jeder Neuling zuvor gesammelt und so weiter.

Marc hat bei 92 GP-Einsätzen nicht weniger als 32 Siege (6 x MotoGP ccm, 16 x Moto2, 10x 125 ccm) und insgesamt 52 Podestplätze erbeutet.

Und wo ist Pedrosa?

Er gewann zwischen Indy 2012 und Le Mans 2013 acht von zwölf Rennen, aber in Le Mans ist der Faden gerissen. Seither geht’s bergab.

Das Schicksal von Dani Pedrosa scheint besiegelt. Er war seit seinem Einstieg in die MotoGP-WM 2006 immer im Honda-Werksteam, aber ein Titelgewinn hat nie geklappt. Nicky Hayden 2006, Casey Stoner 2011 und Marc Márquez standen und stehen ihm im eigenen Team vor der Sonne.

Dani Pedrosa hat seit 2006 folgende WM-Gesamtränge erreicht: 5, 2, 3, 3, 2, 4 und 2. Die Saison 2013 dürfte er Dritter abschliessen.

2014 wird Danis neuntes und vermutlich letztes Jahr bei Repsol-Honda sein. Der Spanier braucht eine neue Herausforderung, vielleicht bei Suzuki. Oder er dankt Ende 2014 ab. Mit 29 Jahren. Er wird dann 225 GP-Einsätze absolviert und unzählige Operationen erlitten haben.

Und wie wird es mit Marc Márquez weitergehen? Wird er sich die Hörner abstossen wie einst Cecotto, Roberts, Rossi, Stoner und Lorenzo? Ich weiss es nicht.

Sturz mit 338 km/h – ein Klacks

Marc Márquez ist ein einmaliger Rennfahrer. In seinem Hirn scheint kein Angstzentrum zu existieren, kein Schmerzzentrum, der Begriff Selbsterhaltungtrieb kommt in seinem Wortschatz nicht vor.

Er stürzte im Mugello-Training am Freitag mit 338 km/h und schrammte knapp an einer Betonmauer vorbei. Er schüttelte sich ab, alles nicht der Rede wert, er brachte es in Italien auf drei weitere Stürze.

Schulterluxation im Warm-up von Silverstone?

Wer wird wegen so einer Bagatelle aufs Rennen verzichten? Am Schluss attackierte er Sieger Lorenzo, aber er musste mit Platz 2 vorliebnehmen.

Unbekümmert, unerschrocken, risikobereit, gnadenlos, lernfähig, aufmüpfig, tapfer mit einem Hang zum Leichtsinn, siegeshungrig und kompromisslos.

Das sind die Attribute, die ich mit Marc Márquez in Zusammenhang bringe.

Manche Experten werfen ihm mangelhaften Respekt für die Gegner vor.

Was sein Dauergrinsen bedeutet, kann ich nicht wirklich entziffern.

Ich vermute: Für ihn ist die MotoGP ein Spiel, er macht keinen Unterschied zwischen einem Pocketbike und einer 260 PS starken und 345 km/h schnellen MotoGP-Rakete. Es sind Spielzeuge.

Márquez fordert das Schicksal und seine Gegner heraus.

Wird er in den nächsten fünf oder zehn Jahren dominieren?

Wenn Mick Doohan fünf Titel hintereinander gewinnen konnte, kann der spanische Grenzgänger Márquez zehn in Serie abräumen.

Denn Doohan brauchte bei Honda die Lernjahre 1989, 1990, 1991, 1992 und 1993 und die WM-Ränge 9, 3, 2, 2 und 4, ehe er sich 1994 erstmals zum Weltmeister aufschwang.

Und dessen Begabung kam nicht annähernd an die Fähigkeiten des spanischen Überfliegers heran.

Márquez wird nicht aufhören, uns sprachlos zu machen.

Sogar Rossi hat ihn fahrlässig unterschätzt. «Ich muss möglichst in der ersten Saisonhälfte Rennen gewinnen», meinte er beim ersten Sepang-Test im Februar. «Denn in der zweiten Saisonhälfte wird Marc schwierig zu besiegen sein.»

Ein Irrtum.

Marcs Siegesserie nahm bereits beim zweiten Rennen in Austin/Texas ihren Anfang.

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