Jan Witteveen: «...sonst sehe ich schwarz für Ducati»
Der in Österreich lebende Niederländer Jan Witteveen war von 1989 bis 2005 Konstrukteur und Renndirektor bei Aprilia Reparte Corse. Unter seiner Regie wurden in den Klassen 125 und 250 ccm 187 GP-Siege und 22 WM-Titel gewonnen, dazu gab es Erfolge in der 500er-WM und in der Superbike-WM.
Seit seinem Abschied bei Aprilia ist Witteveen bei einigen namhaften Firmen als Berater tätig gewesen. Dazu konstruierte er die Maxtra (hiess später Haojue) 125. Witteveen besucht jedes Jahr etliche MotoGP- und Superbike-Rennen und gilt als aufmerksamer Beobachter der Szene.
Er beobachtet auch die Geschehnisse bei Ducati mit grosser Aufmerksamheit.
Jan, es gibt viele Mutmassungen darüber, warum Ducati seit drei Jahren fast immer und überall 1,5 bis 1,8 Sekunden auf Honda und Yamaha verliert. Beim Chassis wurde viel geändert, ohne durchschlagenden Erfolg. Hat auch der 90-Grad-V4-Motor seine Schwachstellen?
Zuerst muss man ja darüber diskutieren, ob das ein L- oder ein V-Motor ist. Bei Rennmotorrädern spricht man von einem L-Motor, wenn eine Zylinderreihe liegend angeordnet ist. Wenn also der oder die unteren Zylinder klar nach vorne gerichtet sind. Dann spricht man von einer L-Form.
Bei Ducati gab es damit immer den Nachteil, dass der Motor damit lang wurde. Dadurch wurde der Radstand länger.
Ducati-Rennchef Gigi Dall’Igna bezeichnet sich bei dieser Frage als «Atheist». Damit meint er, er glaube in dieser Hinsicht weder an den einen noch an den anderen Gott. Er will und kann diese Frage noch nicht schlüssig beantworten.
Ja, er will zuerst die Daten und Ergebnisse der nächsten Tests abwarten.
Offenbar ist an der Ducati GP14 bei der Motorposition schon etwas geändert worden?
Ja, ich denke, es ist keine richtige L-Form mehr. Ich kann mir vorstellen, dass der Motor ein bisschen gedreht worden ist, sodass die unteren zwei Zylinder jetzt ein bisschen nach oben gerichtet sind. Somit kann nicht mehr von einer L-Form gesprochen werden. Man weiss ja, dass Honda einen erstklassigen V4-90-Grad-Motor entwickelt hat, der brillant und kompakt ist.
Ducati hatte mit der L-Form immer wenig Spielraum, um den V-Motor im Chassis je nach Strecke weiter nach vorne und hinten zu positionieren?
Ja, aber das war eher bei den Superbikes der Fall. Bei dem jetzigen MotoGP-Motor spielt das meiner Meinung nach keine Rolle.
Honda hat den V4-Motor so gedreht, dass er eine günstigere Position bekam und der Schwerpunkt günstig verlagert wurde. So haben sie die Möglichkeit, den Motor im Fahrwerk nach vorne oder hinten, nach oben oder unten zu versetzen. Damit ist Honda gelungen, mehr Spielraum zu haben. Ducati ist ein bisschen stärker eingeschränkt im Vergleich zu Honda.
Aber ich bezweifele sehr stark, dass deshalb das Motorrad nicht fahrbar ist. Das ist ein kleines Handicap und kann nicht die Ursache der heutigen Zeitrückstände sein.
Woran liegt es dann? Beim Chassis wurde ja in den letzten drei Jahren alles ausprobiert und geändert, was sich ändern lässt?
Ich habe das schon einmal gesagt. Für mich sind die Reifen der Ausgangspunkt allen Übels. Ducati muss ein Fahrwerk bauen, das sich mit den Reifen verträgt. Wenn ich da nicht die richtigen Entscheidungen treffe, kann ich viel ändern und eiere trotzdem immer rum...
Was hat sich bei den Reifen geändert, seit der Zeit, als Casey Stoner mit Ducati gewonnen hat?
Wir reden von 2008 und 2009. Damals sind die Reifen spezifisch für Ducati entwickelt worden. Diese Reifen gibt es nicht mehr. Das Testteam von Ducati war damals das Testteam von Bridgestone. Brigdestone hat die Reifen spezifisch für Ducati entwickelt.
Als 2009 die Einheitsreifen kamen, musste Bridgestone auch auf die anderen Motorradhersteller Rücksicht nehmen und Kompromisse eingehen. Die wichtigsten Kunden, auch kommerziell gesehen, sind Honda und Yamaha. Ducati kauft ja keine Bridgestone-Reifen für die Erstausrüstung.
Ducati hat deshalb in den letzten Jahren versucht, ein japanisches Motorrad zu bauen. Einen Alu-Rahmen à la Yamaha oder Richtung Honda. So haben sie versucht, den Reifen besser zum Arbeiten zu bringen. Aber bei Ducati ist der Motor immer immer noch tragender Teil des Fahrwerks. Um ein Motorrad zu bauen wie Honda oder Yamaha, dazu fehlt Ducati die Erfahrung, weil der Motor immer selbsttragend war.
Meiner Meinung nach ist das sogar die richtige Philosophie. Aber man braucht die richtigen Reifen dazu. Wenn der richtige Reifen nicht verfügbar ist und ich trotzdem vorne mitfahren will, muss ich ein Fahrwerk bauen, das die Reifen optimal zum Funktionieren bringt. Das hat Ducati versucht. Aber solche Konzeptänderungen und solche Entwicklungen brauchen Zeit. Und diese Zeit hat Ducati nicht, sie brauchen immer sofort Ergebnisse, um die Eigentümer und die Sponsoren bei Laune zu halten. Deshalb hat es nicht funktioniert.
Was ist die Lösung für die Zukunft?
Für mich sind die Einheitsreifen nicht der richtige Weg. Denn normalerweise gibt es für jeden Reifen nur eine Konstruktion, dem dann jedes Werk nacheifern müsste. Das ist aber unsinnig. Denn wenn Bridgestone morgen die Konstruktion des Reifens ändert, stehst du vielleicht auch wieder daneben.
Meiner Meinung nach ist das Reglement nicht in Ordnung. Man kann sich auf einen Reifenhersteller einigen. Aber dieser Hersteller müsste die Möglichkeit haben, auf die Konzepte des Motors und des Fahrwerks der unterschiedlichen Werke einzugehen. Damit von jedem Reifen gewisse Typen entwickelt werden können, die für Honda, Yamaha und Ducati unterschiedlich sind und auf die bestimmten Bedürfnisse eingehen, die konzeptmässig besser zu den einzelnen Motorrädern passen.
Es ist einfacher, neue Reifen zu machen als ein komplett neues Motorrad.
Honda und Yamaha gelingt es aber auch, passende Motorräder zu bauen?
Ja, weil Bridgestone – wie gesagt – in erster Linie Rücksicht nimmt auf Honda und Yamaha. Die sind wichtige Kunden, die ausserdem Rennen gewinnen. Also hat Bridgestone kein Interesse, am System etwas zu ändern.
Du hast als Aprilia-Renndirektor immer eigene technische Philosophien vertreten, mit denen du dich von den Japanern abgegrenzt hast. Du hast bei den Zweitaktern Drehschieber eingesetzt, die Japaner Membraneinlässe. Du bist in der 500er-WM mit dem 420-ccm-Twin angetreten, in der MotoGP mit Dreizylinder-Maschinen. Du hast immer gesagt: Man darf die Japaner nicht nachahmen, man kann sie nur mit anderen udn besseren Ideen und Konzepten übertrumpfen. Hat Ducati in letzter Zeit zu viele Kompromisse gemacht und auf eigene Stärken verzichtet?
Kopieren sollte man sowieso nicht. Ducati sollte die Technologie von Ducati verwenden und das Beste daraus machen.
Aber die Situation hat sich verändert. Als die Michelin oft kaputt gingen, weil sie Löcher bekamen, als keiner mehr mit Michelin fahren wollte, als Casey Stoner mit der 800-ccm-Ducati allen andern um die Ohren gefahren ist, damals ist das so gewesen.
Als sich Michelin zurückzog, weil kein Spitzenteam mehr ihre Reifen haben wollte, blieb nur Bridgestone als Reifenhersteller übrig. So kam es 2009 zu den Einheitsreifen. Wenn die Japaner das ganze Feld beliefern müssen, geht es um Unmengen an Reifen. Also kann man keine so speziellen Entwicklungen mehr machen, als wenn man nur zwei oder drei Teams beliefert.
Ducati befindet sich in einer schwierigen Position.
Deshalb bin ich überzeugt, dass sie 2014 im Open-Format fahren werden. Wenn sie jetzt ein Motorrad bauen, das nicht konkurrenzfähig ist und dann das ganze Jahr unverändert damit antreten müssen, haben sie wieder ein schlechtes Jahr.
Sie müssen also die Open-Klasse wählen, damit sie Weiterentwicklung betreiben können. Sonst sehe ich schwarz.