Wilco Zeelenberg: Warum Jorge Lorenzo 2014 schwächelt
Der Niederländer Wilco Zeelenberg ist Manager des Movistar Yamaha-Werksteams für Jorge Lorenzo. Für die Geschicke seines Teamkollegen Valentino Rossi ist der Italiener Massimo Meregalli zuständig.
SPEEDWEEK.com hat Wilco Zeelenberg zum Interview gebeten und ihm ein paar brisante Fragen zur schwachen ersten Saisonhälfte von Jorge Lorenzo gestellt.
Normalerweise sollte der 27-jährige Mallorquinter der stärkste Gegner von Weltmeister Marc Márquez sein, er war 2010 und 2012 Weltmeister, er hat bei Yamaha sogar den grossen Valentino Rossi entzaubert. Jetzt liegt er in der WM unfassbare 128 Punkte hinter Leader Márquez!
Wilco, dein Schützling hat letztes Jahr acht Rennen gewonnen. 2014 hat er in neun Rennen nur drei Podestplätze erzielt und noch keinen Sieg. Dafpr haben wir von ihm ein paar verblüffende Aussagen gehört. Er erklärte zum Beispiel im Juni, er könne erst seit zwei Monaten richtig trainieren. Aber die Operationen fanden im Dezember statt, nicht im April.
Ja, ja, Und ich denke, Jorge hat auch herausgefunden... Er hatte drei Operationen. Das war keine ideale Situation. Er ging mit einem gebrochenen Bein in den Winter. Er hat also fünf Wochen gar nichts getan.
Trotzdem, seine körperliche Verfassung war dann bei den ersten Tests und Rennen nicht dramatisch schlecht. Aber er fand heraus, dass die 2014-Maschine schwieriger zu fahren ist.
Er fühlte dann in den Rennen eine grössere Müdigkeit als letztes Jahr. Ich würde nicht sagen, er hat weniger trainiert als im Vorjahr und er war auch nicht weniger fit als 2013. Das heisst nicht, dass er nicht fitter sein könnte. Richtig, er hat im Vorjahr acht Siege errungen, er war also fit genug, um Rennen zu bestreiten und sie zu gewinnen.
Normalerweise ist Jorge auch ein Rennfahrer, den du nicht anspornen oder motivieren musst.
Er verfügt dazu über die aussergewöhnliche Fähigkeit, das Motorrad am Limit zu fahren, ohne viel Energie zu verlieren. Er hat einen sehr flüssigen Fahrstil. Bei ihm beruht ein grosser Teil des Erfolgs auf natürlichem Talent. Dadurch braucht er das Motorrad nicht grossteils mit Hilfe des Körpers und der Muskelkraft von links nach rechts zu zwingen. Jorge brauchte bisher nicht viel Kraft fürs Fahren.
Dieses Jahr sieht es ein bisschen anders aus. Das Motorrad darf nur mehr 20 statt 21 Liter verbrauchen. Das Motoren-Mapping ist deshalb anders, um die Renndistanz mit 5 Prozent weniger Sprit durchstehen zu können.
Du kannst dir vorstellen, dass sich am Motorrad dadurch einiges geändert hat. Die Kraft ist immer noch vorhanden. Aber wegen der 20 Liter hat sich die Gasannahme verändert. Und der Charakter des ganzen Pakets ist anders, er ist schwieriger zu handhaben und zu kontrollieren.
Jorge ist damit stärker betroffen als andere Yamaha-Fahrer, wegen seines sanften Fahrstils.
Das hat er gleich beim ersten Test im Februar in Sepang herausgefunden, und zwar in Kombination mit der Tatsache, dass ihm die neuen hitzebeständigen harten Hinterreifen von Bridgestone nicht mehr das gleiche gute Gefühl und die Sicherheit wie 2013 vermitteln.
Die Klagen von Jorge gingen schon beim ersten Sepang-Test los.
Ja, zuerst hat er die ganze Schuld auf die Reifen geschoben. Oder wenigstens den überwiegenden Teil.
Zumindest in Sepang entsprach das Reifenthema der Realität. Der Motor hatte sich auch verändert, wie gesagt, und das war bei dieser ganzen Angelegenheit gewiss nicht hilfreich.
Die Kraftentfaltung liess sich damals im unteren Drehzahlbereich nicht mehr so perfekt dosieren wie 2013. Das ist aber genau der Bereich, in dem Jorge am liebsten fährt, wo er seine Stärken ausspielt. Er liebt die grossen Schräglagen, er liebt das gefühlvolle Beschleunigen.
Er ist kein Fahrer, der brutal in die Kurven reinstürmt, wie es die Honda-Jungs tun können. Das ist sowieso nicht die Stärke der Yamaha. Stop and go, das geht bei uns nicht.
Ja, und die neuen Hinterreifen mit weniger Seitenhaftung und mit weniger Kontrolle in maximaler Schräglage, sie waren für Jorge sicher von Nachteil. Plötzlich war es schwierig, das Motorrad maximal umzulegen, dann die Reifen perfekt zu spüren und sanft zu beschleunigen.
Das sind seine zwei stärksten Punkte. Wenn diese zwei Stärken plötzlich wegfallen, dann versuchst du es mit Gewalt. Dann versuchst du, die Rundenzeiten in einem anderen Bereich rauszuholen.
Das kostet viel Energie, wie Jorge bald herausgefunden hat. Bei den ersten zwei, drei Rennen ist Jorge aufgefallen, dass er für die heutigen Begebenheiten nicht fit genug ist.
Das war auch für ihn selber eine Überraschung.
Deshalb hat er zugegeben: «Ich fühle mich auf dem Motorrad nicht stark genug. Ich muss mehr trainieren und ich muss mich verbessern.»
Er konnte bei den neuen Bedingungen plötzlich nicht mehr 45 Minuten am Limit fahren. Aber das wird heute dringend verlangt.
Früher was es anders. Da wurde in der MotoGP gestartet, dann sind die Asse zuerst einmal die ersten 10 oder 15 Minuten mit der «Cruise Control» gefahren, also mit dem Tempomat. Erst später, in der zweiten Rennhälfte, haben sie begonnen zu pushen.
Das ist üblicherweise nie die Strategie von Jorge gewesen. Er war meistens ein Blitzstarter. Er ist in der Vergangenheit meistens vom Start weg – pufff – 100 Prozent gefahren.