Stefan Bradl: «Rossi ist ein Genie»
Aprilia-Werksfahrer Stefan Bradl in Brünn
Bei seinen ersten zwei Einsätzen im Aprilia Racing Team Gresini hat Stefan Bradl mit respektablen Leistungen überzeugt. Er rechnet mit einem Werksvertrag für 2016 und reist deshalb recht entspannt zum Silverstone-GP.
Der Moto2-Weltmeister von 2011 ist auf dem besten Weg, ein langwieriges Wellental seiner Karriere hinter sich zu lassen.
Nach dem zehnten Platz von Assen 2014 (Sturz in der Besichtigungsrunde) hat Bradl in den nächsten 21 Rennen inklusive Indianapolis 2015 elf Nuller geschrieben: Er stürzte 2014 bei den letzten zehn Rennen dreimal, er landete 2014 in Sachsen nach dem Reifenpoker auf Platz 16, in der Saison 2015 punktete er ?vor dem Brünn-GP nur zweimal (Platz 15 in Las Termas, Platz 8 in Barcelona); dazu kamen vier Stürze (in Austin und Mugello wegen Miller und Hayden unverschuldet) sowie der Verzicht auf den GP von Deutschland nach dem Kahnbeinbruch von Assen.
Bei Aprilia findet Bradl allmählich zu alter Stärke zurück. Er ?spürt dort jenen Rückhalt und jene Nestwärme, die ihm bei LCR-Honda im dritten Jahr abhanden kam und jene Technik, die ihm das Open-Class-Team Forward-Yamaha nicht bieten konnte, weil es bei den Japanern neben Movistar und Tech3 die dritte Geige spielt.
Stefan, man merkt dir an, dass du bei Aprilia wieder die alte Motivation und Angriffslust gefunden hast. Die Elektronik-Problem bei Forward im ersten Halbjahr und die vielen Stürze haben dich zermürbt?
Ja, irgendwie war es im Aprilia-Team Liebe auf den ersten Blick. Von Renndirektor Romano Albesiano war ich bereits beim ersten Meeting auf dem Sachsenring beeindruckt. Er ist sehr ruhig, er beobachtet sehr genau und zieht die richtigen Schlüsse.
Mein neuer Crew-Chief Diego Gubellini ist seit 19 Jahren bei Gresini, er hat dort 1997 mit Alex Barros begonnen. Er ist sehr aufmerksam, er begreift blitzartig, was ich brauche, er macht sich pausenlos Gedanken.
Ich will jetzt Forward auf keinen Fall schlecht machen. Aber dort hat uns die Einheits-Elektronik oft vor unlösbare Probleme gestellt. Die anderen Open-Teams ?klagen ja auch über ähnliche Probleme damit.
Jetzt habe ich wieder eine Factory-Software wie drei Jahre lang bei Honda. ?Sie lässt sich nicht mit der Marelli-Open-Class-Software vergleichen. Das Seamless-Getriebe, das bei iAprilia «Zero-Shift» heisst, funktioniert auch einwandfrei, beim Rauf- und beim Runterschalten.
Aprilia ist ein Werksteam. Das spürt man in jeder Hinsicht. Von der Flugbuchung bis zum Plan für jede Trainingssession.
Dein Ex-Teamchef Lucio Cecchinello hat schon immer klargestellt, dass bei Repsol-Honda für jeden Fahrer doppelt so viele Techniker arbeiten wie bei ihm.
Ja, es sind grosse Unterschiede von den Ressourcen und von der Manpower her.
Wenn ich bei Aprilia heute eine Aussage mache, ich möchte dies oder jenes geändert haben, dann wird das im Handumdrehen verändert, ohne grosse Diskussion. Bei der ganzen Zusammenarbeit ist eine andere Herangehensweise zu erkennen. Durch die zusätzliche Manpower können die unterschiedlichen Tätigkeiten auf mehr Schultern verteilt werden. Jeder Mechaniker und jeder Techniker hat sein spezielles Aufgabengebiet. Da gibt es dann meistens sogar zwei oder drei Leute, die dafür verantwortlich sind.
Bei einem Kundenteam kriegst du beim Februar-Test in Sepang das neue Motorrad, das war's dann. Bei Aprilia wird ohne Unterlass entwickelt, denn als Neueinsteiger-Team besteht Aufholbedarf.
Ja, es wird dauernd etwas Neues probiert. Wenn ich unzufrieden bin, wird sofort etwas Neues probiert. So ein Werksteam kann unheimlich schnell reagieren.
Das habe ich bei Forward vermisst, vor allem was die Motorsteuerung anbelangt. Dort haben wir mit der Elektronik extreme Probleme gehabt; ich bin mit dieser ECU nicht gut klargekommen. Die Software war nicht zeitgemäss, würde ich jetzt behaupten.
Jetzt bei Aprilia ist die Elektronik kein Thema mehr. Also kann man sich mit dem Fahrwerk, mit der Reifenwahl und mit Set-up-Veränderungen beschäftigen. Das ist das, was mir als Fahrer auch mehr Spass macht.
Denn ich bin kein Elektroniker, der eine Software für ein MotoGP-Motorrad entwickelt.
Aprilia-Rennchef Albesiano lobt vom ersten Training in Indy an deine konkreten technischen Aussagen. Von Bautista scheint da nicht viel zu kommen. Aber manche Experten meinen, die Entwicklung werde heute auf dem Computer erledigt, die Fahrer hätten da nichts mehr damit zu tun.
Es gibt ja nicht viele Fahrer, die mit einen MotoGP-Motorrad mit diesen Rundenzeiten um eine Rennstrecke fahren können.
Aprilia will ja an die Spitze, ich auch. In der Theorie kann man am Computer viel designen und entwickeln. Aber wie dann das Gefühl des Fahrers damit ist und wie der Reifenverschleiss damit über mehrere Runden aussieht, das lässt sich am Computer nicht simulieren. Dazu braucht man die Meinung eines Fahrers, die möglichst aussagekräftig sein soll. Das Gefühl des Fahrers ist wichtig. ?Wenn das Gefühl des Fahrers mit dem neuen Teil schlecht ist, bei einer neuen Schwinge zum Beispiel, kann er nicht schnell fahren damit. Weil ihm die Auflagefläche («contact patch») nicht das nötige Gefühl für die Reifen vermittelt.
Und wenn man alles ?mit dem CAD-Design fixieren könnte, ?hätte Ducati im Vorjahr nicht innerhalb weniger Monate die GP14, die GP14.1 und die GP14.2 einsetzen müssen. Sogar Honda hat Márquez und Pedrosa in Sepang im Februar drei unterschiedliche Chassis in die Box gestellt. ?Wenn der Computer alles könnte, könnte man sich ja die Wintertests alle sparen?
Ja, so ist es. Es müssen ja auch die Rundenzeiten passen. Nicht alles, was neu ist, macht das Motorrad auch wirklich schneller.
Natürlich kann man am Computer das Design entwerfen. Aber der Rechner kann nicht ermitteln, wie das Gefühl des Fahrers ist, wenn er dann in Sepang zum Beispiel unter 2 min fahren soll.
Es gibt Fahrer, die holen das Maximum aus ihren Motorrad heraus, sie könnes es aber nicht weiterentwickeln. Yamaha scheint da mit Lorenzo und Rossi zwei schnelle Fahrer zu haben, die auch viel technisches Verständnis mitbringen?
Ja, manche Fahrer sind schnell, können aber vielleicht das Entwicklungspotenzial eines Motorrads nicht ausschöpfen, weil sie keine zielführenden Aussagen machen können.
Und dann gibt es Fahrer, die schnell sind und auch das nötige technische Wissen haben, so dass der Informationsaustausch mit den Ingenieuren perfekt klappt, wodurch die Weiterentwicklung einwandfrei funktioniert.
Ich denke, dass Rossi in dieser Hinsicht ein Genie ist. Erstens hat er sehr viel Erfahrung, zweitens hat er ein gewisses Gespür für das, was er braucht. Und das ist das Wichtige. Man muss den Ingenieuren auch weitergeben können, was man braucht.
?Mann muss den Ingenieuren mitteilen, ob die Schwinge steifer werden muss oder ob sie zu steif ist, das Gleiche gilt für den Rahmen. Als Fahrer kann man nur Anhaltspunkte liefern. Wie es dann von der Steifigkeit oder von der Geometrie her genau ausschauen muss, müssen dann die Experten am Computer berechnen.