Rossi gegen Márquez: Alle Sicherungen durchgebrannt!
Betroffenheit auf dem Siegerpodest: Lorenzo, Pedrosa und Rossi
«Valentino sollte hier genau so viele WM-Punkte bekommen haben wie Marc», forderte Jorge Lorenzo. «Denn ohne diese Aktion von Vale wäre Marc nicht gestürzt. Er wäre Dritter oder Vierter geworden. Wenn Marc wegen Valentino nicht ins Ziel kam, dann sollte Valentino nicht 16 WM-Punkte erhalten.»
Valentino Rossi blieb der Pressekonferenz fern, sein zehnter WM-Titel ist in weite Ferne gerückt.
Er liegt in der WM jetzt sieben Punkte vor Lorenzo, aber er muss wegen der drei Strafpunkte von Malaysia (jetzt hat er insgesamt vier) ausgerechnet beim entscheidenden WM-Finale in Valencia am 8. November aus der letzten Startreihe losfahren.
Eine fast unlösbare Aufgabe. Denn bei einem Sieg von Lorenzo in Valencia muss Rossi Zweiter werden. Und das vom 25. Startplatz weg!
Aussichtlos.
Aber der neunfache Weltmeister hat sich in Sepang heute von Marc Márquez provozieren lassen. 15 Überholmanöver gab es zwischen Rossi und Márquez vor dem Zwischenfall in der siebten Runde, neun einmal in einer einzigen Runde.
Selbstverständlich kann man ein paar Gründe zur Entlastung von Rossi finden, man kann teilweise Verständnis haben.
Man könnte sagen: Márquez hätte sich lieber Gedanken machen sollen, warum sein Teamkollege Dani Pedrosa eine Sekunde schneller fuhr, während er sich mit WM-Leader Rossi anlegte.
Und warum attackierte er den WM-Leader an allen erdenklichen Stellen, wodurch sein Landsmann Lorenzo seinen Vorsprung auf die Verfolger in aller Ruhe ausbauen konnte? Warum liess er Lorenzo nd er Anfangsphase fast widerstandslos vorbei?
Rossi hatte Márquez am Donnerstag vorgeworfen, er habe sich beim Australien-GP in die Dienste Lorenzos gestellt.
Wirklich entkräftet hat Márquez diese Behauptung oder Vermutung des Italieners heute im Rennen von Sepang nicht. Im Gegenteil. Wenn Lorenzo in zwei Wochen Weltmeister wird, kann er sich beim Repsol-Honda-Star bedanken.
Klar: All diese Provokationen rechtfertigen Rossis höchst unsportliches Manöver in keiner Weise. Er hat den aufdringlichen Spanier in Argentinien und Assen mit viel Aufwand in Schach gehalten, er wusste, dass der zweifache MotoGP-Weltmeister niemals klein beigibt. Und Rossi konnte sich ausrechen: Bei einem neuerlichen vierten Platz wäre sein Punktevorsprung auf schmale zwei Punkte zusammengeschmolzen.
Jorge Lorenzo mutmasste, Rossi habe einen zu grossen Namen, jeder andere sei disqualifiziert oder sogar für das nächste Rennen gesperrt worden. «Ich bin für ein ähnliches Vergehen 2006 in der 250er-WM nach dem Motegi-GP für Malaysia gesperrt worden», erinnert Jorge. «Aber es werden in der WM nicht alle Fahrer gleich behandelt.»
Pedrosa erinnerte daran, dass Rossi immer für eine sportliche Fahrweise plädierte, einst Marco Simoncelli zur Rede stellte und auch 2013 oft Kritik an der Fahrweise von Marc Márquez übte.
Carlo Pernat, einst Manager von Simoncelli und jetzt Manager von Iannone, machte einen Vorwurf an die Adresse der Race Direction. «Sie hätte schon in der dritten Runde merken sollen, worauf dieses Duell hinausläuft. Man hätte innerhalb einer Minute eine Durchfahrtstrafe oder eine schwarze Flagge verhängen sollen für Rossi.»
Lorenzo und Pedrosa stimmten zu. «Im Regelbuch existieren zu viele Grauzonen», argwöhnte Sieger Dani Pedrosa. «Solche Manöver wie heute sind darin nicht erwähnt. Deshalb wird dann ewig beratschlagt, wie man vorgehen sollte.»
Wenn kein Wunder geschieht, wird Lorenzo am 8. November wie 2010 und 2012 MotoGP-Weltmeister.
Valentino Rossis hat Mrquez in Runde 7 weit von der Ideallinie abgedrängt und dadurch dessen Sturz heraufbeschworen. Ist Rossis Reputation nach diesem Fauxpas (die Race Direction sprach von verantwortungsloser Fahrweise, manche Experten wollen sogar einen Fusstritt gesehen haben) bis in alle Ewigkeit angekratzt bleiben?
Vermutlich nicht. Auch Michael Schumacher hat sich in seiner Karriere einige zwiespältige Manöver geleistet. Er wurde trotzdem immer als glanzvoller Rennfahrer geachtet.
Der Stachel bei Rossi sitzt tief. Zuerst hiess es, er habe die Rennstrecke wutentbrannt verlassen. Inzwischen befindet er sich auf dem Rückweg, er wird in den nächsten zwei Stunden zu den Vorfällen noch Stellung nehmen.
Der Yamaha-Werkspilot und 112-fache GP-Sieger wird wenige ernstzunehmende Experten finden, die seine Attacke gegen Márquez gutheissen. Da sind bei ihm alle Sicherungen durchgebrannt.
Das passiert beim Fussball, beim Boxen, es kann auch beim Motorradrennfahren mit Tempo 340 passieren.
Valentino Rossi ist mit drei Strafpunkten glimpflich davon gekommen. Lorenzo forderte eine härtere Strafe, verständlich.
Aber die Race Direction nahm auch auf das bisher meist untadelige Verhalten des Superstars Rücksicht. Und man wollte die Weltmeisterschaft zumindest mathematisch offen halten. Es stehen auch kommerzielle Interessen im Vordergrund.
Die MotoGP-WM sollte nicht auf dem grünen Tisch entschieden werden.
Deshalb kam es zu dieser Kompromisslösung.
Alles andere wäre für die Dorna und die TV-Anstalten geschäftsstörend gewesen. Es lebe der Sport.