Pit Baumgartner (Bridgestone): Rossis Reifenzauberer
Peter «Pit» Baumgartner (45) ist beim Reifenhersteller Bridgestone ein Mann der ersten Stunde. Der deutsche Techniker war an der Seite von Valentino Rossi, als der Italiener 2008 am Höhepunkt des Reifenkriegs (gegen Michelin und Dunlop) seinen ersten MotoGP-WM-Titel mit Bridgestone-Reifen gewann.
Und Baumgartner war auch in der Movistar-Yamaha-Box dabei, als Rossi im Vorjahr den Kampf um seinen insgesamt zehnten Titelgewinn gegen Jorge Lorenzo knapp verspielte.
Als Reifentechniker hat Baumgartner bei Bridgestone klein angefangen; er hat sich aus den Tiefen der 125-ccm-Weltmeisterschaft hochgedient bis an die Spitze der Königsklasse.
«Ich bin im November 2001 zu Bridgestone Motorsport gekommen», blickt Baumgartner zurück. «Damals haben der letztjährige MotoGP-Projektleiter Aoki, Thomas Scholz und ich die Fahrer in der 125er-WM betreut. Wir hatten damals Fahrer wie Bautista, Klaus Nöhles, Azuma, Ballerini und Kallio. Ich war dann auch noch 2002 und 2003 in der 125er-WM dabei, quasi als stand-by für unser geplantes MotoGP-Projekt.»
Pit Baumgartner verfügt mit Sicherheit über mehr Wissen und mehr Verständnis für Rennreifen als die meisten anderen Techniker im Fahrerlager. Trotzdem wird seine Expertise 2016 im MotoGP-Paddock nicht mehr gefragt sein.
Denn Michelin löst Bridgestone nach sieben Jahren als Lieferant der Einheitsreifen ab, die Franzosen setzen bei den Teams ihre eigenen Techniker ein.
In zehn Tagen beginnen die ersten MotoGP-Tests 2016 in Sepang. Eine gute Gelegenheit, um mit Pit Baumgartner über seine enge Zusammenarbeit mit Rossi und Lorenzo zu plaudern.
Pit, in der 125-ccm-Weltmeisterschaft gelangen Bridgestone vor 15 Jahren nur ein paar Achtungserfolge. Dunlop war überlegen. Aber ihr habt 2003 beim Australien-GP mit Andrea Ballerini einen Coup gelandet und ganz überraschend durch einen Reifentrick den Regen-GP gewonnen?
Ja, genau. Wir haben im Ajo-Team auf der 125er auf den Hinterrädern MotoGP-Vorderreifen genommen, die wir schon im Test laufen hatten. Wir haben uns diese Regenreifen vom MotoGP-Testprogramm ausgeliehen. Sie haben dann in der 125er-WM in Phillip Island brachial eingeschlagen. Es war der einzige GP-Sieg von Ballerini.
2002 habt ihr das Erv-Kanemoto-Team mit einer Honda NSR 500 als Testmannschaft für die MotoGP-Reifen fahren lassen.
Genau. In der MotoGP-Testphase waren Aoki, Thomas Scholz und ich involviert, wir wussten schon, was da abgeht und haben auch etwas mitgeholfen. Aber eigentlich waren wir in erster Linie noch beim 125-ccm-WM-Projekt engagiert.
Dort sind wir dann Ende 2003 offiziell ausgestiegen. Ich habe nachher meinen ersten offiziellen MotoGP-Test im November 2003 mit Kawasaki gehabt, in Valencia. Das war unser Einstieg in die MotoGP.
Ihr hattet aber 2002 keinen 990-ccm-Viertakter im Testteam. Das war sicher ein Nachteil für die MotoGP-Entwicklung?
Ja, ausserdem haben wir damals noch extrem viel mit 17-Zoll-Reifen getestet. Der Wechsel auf 16,5 Zoll kam bei uns erst ein bisschen spät.
Wir haben bei Proton teilweise noch 17 Zoll-Reifen gefahren. Anfang und Mitte 2004 haben wir dann abwechselnd 16,5 und 17 Zoll verwendet, wir haben viel ausprobiert. Es gab dann in der Anfangszeit einen Übergang zu 16,5 Zoll.
2004 warst du dann Reifentechniker im Kawasaki-Werksteam?
Ja, dort war ich von 2004 bis 2006. Da hatten wir Fahrer wie Andrew Pitt, Alex Hofmann, Nakano, Olivier Jacque und de Puniet.
Du bist aber erst 2008 zum Yamaha-Werksteam mit Rossi gestossen?
Ja, 2007 war ich noch bei Honda-Gresini für Melandri und Elias zuständig. Direkt nachher kam die Info, ich solle 2008 Rossi exklusiv betreuen. Ich hatte damals im Jahr 2008 gar keinen zweiten Fahrer... Denn in der Yamaha-Box fuhr Lorenzo noch Michelin, die Box war durch eine Mauer getrennt.
Du hast dich also innerhalb von sechs, sieben Jahren von der 125er-WM mit Ballerini bis zur MotoGP-WM mit Rossi und Yamaha hoch gearbeitet?
Ja, das war ein guter Weg.
Wie schwierig war es für dich, 2008 das Vertrauen von Superstar Valentino Rossi zu gewinnen? Er war neu bei Bridgestone, aber Casey Stoner hatte die WM 2007 auf Ducati mit Bridgestone gewonnen.
Das Verhältnis mit Yamaha war von Anfang an grossartig. Damals war noch Rennchef Furusawa dabei. Das erste Meeting mit ihm war unglaublich und unvergesslich. Denn Furusawa hat mich in dem Meeting vorgestellt und gesagt: «Willkommen in der Yamaha-Familie, die Informationen werden alle weitergegeben.»
Wenn die einen neuen Rahmen oder eine neue Schwinge gebracht haben, haben sie mich aufgeklärt und eingeweiht, ob die Schwinge weicher oder härter ist. Das war ein Riesenplus bei Yamaha. Ich wusste immer genau, was sie bringen und was sie ändern.
Rossi war unheimlich offen. Ich habe ihn mir gleich von Anfang an auf die Seite gezogen und viel mit ihm gequatscht. Ich wollte wissen, was er will und was er braucht. Das war von Anfang an eine perfekte Konstellation.
Und Rossi war immer wissbegierig und neugierig. Stimmt's?
Du, der hat mich komplett ausgesaugt. Und oftmals hat er mich getestet. Er wollte rausfinden, wo ich mit meinem Knowhow stehe. Das habe ich auch gemerkt. Er wollte wissen, ob ich nur coole Sprüche mache oder ob ich wirklich was drauf habe.
Ihr seid dann 2008 auf Anhieb Weltmeister geworden, 2009 gleich wieder. Aber 2009 fuhr dann bei Yamaha auch Jorge Lorenzo auf Bridgestone, es gab jetzt die Einheitsreifen.
Genau. Ich habe 2009 beide Yamaha-Werksfahrer und dazu Tech3-Yamaha betreut. Denn bei den Einheitsreifen hat nicht mehr so viel Entwicklung stattgefunden. Deshalb haben alle Reifentechniker vier Fahrer betreut. Bei Tech3 war damals Colin Edwards dabei.
Jorge Lorenzo wird wohl anfangs etwas misstrauisch gewesen sein? Du hattest ja mit Rossi schon eine WM gewonnen?
Wenn du damals zu Zeiten des Reifenwettbewerbs mit einem Fahrer gearbeitet hast, zum Beispiel mit Rossi 2008, da haben wir ja 1000 Tests gehabt, also haben wir nach so einem Test 20 Sachen gehabt, die gut waren. Dann habe ich zu Rossi und Yamaha gesagt: «Diese Konstruktion, diesen Gummi, bringe ich beim nächsten Rennen.» Mein Chef bei Bridgestone hat eingewilligt.
Mit diesen Reifenkombinationen haben wir am nächsten Wochenende das Rennen gewonnen. Diese Infos und dieses Wissen hat ein Fahrer wie ein Rossi nie vergessen.
Deshalb hat mich Valentino auch beim letzten Rennen 2015 noch gefragt, wie bei allen Rennen vorher: «Pit, was fahren wir?» Wenn ich ihm von einem Reifentyp abgeraten habe, hat er ihn nicht verwendet.
Wie schwierig war es für dich, die Anliegen von Rossi und Lorenzo unter einen Hut zu bringen? Dein Herz hat ja insgeheim immer ein bisschen für Rossi geschlagen? Aber du hast mit Lorenzo drei Titel gewonnen, mit Rossi nur zwei.
Das Problem war 2009 schon erkennbar. Lorenzo war damals mit seiner runden Fahrweise eigentlich schon einen Tick besser als Rossi, obwohl er immer noch der späteste Bremser war und früh am Gas. Aber im Prinzip war Lorenzo 2009 im Bezug auf Reifen und Reifenverschleiss besser aufgestellt als Rossi.
Wie hat sich die persönliche Zusammenarbeit mit Lorenzo gestaltet? Er ist ja anfangs kein so offenherziger, aufgeschlossener Typ wie Rossi, oder?
Mit Lorenzo musste ich auch viel Zeit investieren, bis er genug Vertrauen hatte.
Rossi wusste natürlich aus der Zeit des Reifenwettbewerbs 2008 genau, was ich damals von Rennen zu Rennen bewegt habe.
Dadurch war die Zusammenarbeit mit Valentino viel einfacher. Bei Lorenzo musste ich mich erst wieder einarbeiten und ihn verstehen lassen, dass ich auch für ihn arbeite und nicht nur für Rossi.
Du musstest sein Vertrauen gewinnen?
Richtig. Das war am Anfang bei Lorenzo ganz schwer, weil er immer noch dachte, er werde vielleicht nicht gleichberechtigt behandelt.
Kann man als Reifentechniker wirklich beide Spitzenfahrer ebenbürtig beraten? Oder bevorzugt man heimlich irgendeinen Fahrer?
Bei uns war immer oberste Priorität, beide Fahrer mit der gleichen Intensität zu getreuen. Aber ich habe 2008 mit Rossi eine gute Zusammenarbeit gehabt, wir haben den WM-Titel geholt... Persönlich war der technische Dialog zwischen Rossi und mir immer angenehmer und einfacher. Bei Lorenzo musste ich viele Dinge mit seinen Chefmechaniker Ramon Forcada besprechen, weil Lorenzo in seinen Aussagen immer unklar war.
Er sagte «Scheisse». So eine Aussage ist zwar auch hilfreich, aber du musst ja arbeiten und die Infos umsetzen.
Es gab später die Phase im Winter und Frühjahr 2014, als Lorenzo übergewichtig zu den ersten Tests kam und lauthals über die neuen hitzebeständigen Reifen schimpfte, die wenig «edge grip» hatten.
Ja, weil die Fahrweise von Lorenzo extrem auf der Reifenkante stattfindet und Rossi immer noch diesen «spät bremsen und früh Gas geben»-Stil hat, bei dem er weniger auf der Kante fährt.
Wir haben die Reifen nach den Problemen beim Australien-GP 2013 modifiziert, klar. Aber für Lorenzo waren diese hitzebeständigen Reifen eher ein Problem als für Rossi. Deshalb gelang Valentino 2014 schliesslich der zweite WM-Rang hinter Márquez.
Aber diesen Weg mit diesen Reifen mussten wir gehen, weil durch die Hubraumerhöhung von 800 auf 1000 ccm die Beanspruchung der Reifen stark zugenommen hat. Das hat uns keiner geglaubt. Aber wir haben ja unsere Daten gehabt. Und das Mindestgewicht ist schrittweise auch um 10 kg erhöht worden, weil man dadurch Kosten sparen wollte.