Romano Albesiano: «Top-10 sind das Ziel für Aprilia»
«In der letzten Saison fuhren wir eigentlich keine Rennen», erklärte mir Alvaró Bautista im Gespräch über die MotoGP-Saison 2015 als Werksfahrer von Aprilia. «Wir haben eigentlich getestet, wir testeten während der MotoGP-Wochenenden alle möglichen Dinge und am Sonntag setzten wir die besten Komponenten zusammen und fuhren das Rennen. Was Suzuki ein Jahr lang mit dem Testteam machte, um ihr Comeback vorzubereiten, haben wir live vor den Augen aller Beobachter getan.»
In der Weltmeisterschaft wird wohl kaum eine Marke mehr mit dem Rennsport in Verbindung gebracht als Aprilia, ich würde sagen, nicht einmal Ducati. In allen Kategorien waren sie am Start, sie gewannen Rennen und Titel. In jeder Klasse außer der MotoGP. Die früheren Erfahrungen des Werks in der Königsklasse sorgten fast für den Untergang der Marke, als die astronomischen Kosten in einem großen Misserfolg endeten.
Nach diesem Fiasko wurde das Unternehmen von der Piaggio Group übernommen, deren Geld half, Aprilia zu sanieren. Mit dem Rennsport in ihrer DNA war eine Rückkehr zu sportlichem Engagement unvermeidbar. Niemand war überrascht, als Aprilia in der Superbike-WM sofort Erfolge feierte, genauso bezweifelte niemand, dass die MotoGP-Klasse früher oder später zur größten Herausforderung für Aprilia werden würde.
Doch die Art und Weise wie das passierte, war eine Überraschung. Als Aprilia 2014 ankündigte, sofort in die MotoGP-Klasse einzusteigen, legten viele ihre Stirn in Falten. In die Königsklasse ohne ein MotoGP-Bike einsteigen? Wie? Wenn Suzuki zwei Jahre brauchte, um halbwegs für eine Rückkehr bereit zu sein, wie konnte es Aprilia wagen, sofort einzusteigen? Die Antwort auf diese Frage findet sich in den Zitaten von Alvaró Bautista vom Anfang dieses Artikels: Die Grands Prix waren ihr Testgebiet.
«Unser erstes Jahr war eine Entdeckungsreise. Dieses Jahr war die Grundlage, wenn man ihm einen Namen geben muss. Das 2015er-Bike war ein Labor auf zwei Rädern. Nun treten wir mit einer richtigen Maschine an.» Diese Worte stammen von Romano Albesiano, dem Verantwortlichen in der Rennabteilung von Aprilia, seit Gigi Dall’Igna den Hersteller verließ und zu Ducati wechselte.
Albesiano hat den Charakter eines typischen Ingenieurs, wenn es darum geht, sich mit ihm zu einem Gespräch zu treffen. Er hört immer genau zu, was gefragt wurde und antwortet mit sehr viel Ruhe, klar und ohne unnötige Ausschweifungen.
Nach diesem «Jahr der Laborarbeit» ist die Saison 2016 das zweite Jahr für Aprilias MotoGP-Projekt. Was bedeutet das genau? «Dies ist nun eine echte MotoGP-Maschine», erklärte er im Hinblick auf die völlig neue Aprilia RS-GP für 2016. «Unsere Philosophie wird es nicht sein, in jedem Jahr ein neues Bike zu bauen, sondern es wie die anderen zu machen. Die erfolgreichen Teams nehmen Verbesserungen auf einer soliden Basis vor. Wir bringen nun diese Basis. Zuerst müssen wir also prüfen, ob es die richtige Basis ist. Wir glauben das, aber wir müssen es noch beweisen. Das ist unsere Philosophie für die erste Saison mit diesem Bike.»
Nachdem Aprilia bei den ersten beiden Vorsaison-Tests nicht vor Ort war, debütierte die neue MotoGP-Maschine bei einem privaten Test in Katar. Das ist kein besonders guter Start für ein völlig neues Bike. Warum liegt ihr mit der RS-GP für 2016 hinter dem Zeitplan zurück? Was ist passiert? «Was passiert ist?», wiederholte der italienische Ingenieur die Frage. «Bei so einem komplizierten Projekt sind ein paar Wochen Verspätung wirklich nicht ungewöhnlich. Ich würde es noch nicht einmal Verspätung nennen. Es ist normal, dass einer der Zulieferer mal ein kleines Problem hat und dann summiert sich das. Am Ende kommt man ein paar Tage oder Wochen in Verzug.»
Wie konntet ihr zu Rennen antreten und gleichzeitig eine erfolgreiche Grundlage für das neue Bike schaffen? Kann Aprilia in diesem Jahr wirklich mithalten? «Ich hoffe es. Ich glaube es. Im letzten Jahr fuhren wir nicht wirklich Rennen, wir testeten. In diesem Jahr wollen wir richtig antreten. Die nächste Frage ist nun sicher, wie unsere Ziele aussehen. Unser Ziel ist es, um die Top-10 zu kämpfen – zumindest ab der zweiten Saisonhälfte. Und zur selben Zeit müssen wir die Basis ausbauen.»
Einheitselektronik: Das große Fragezeichen
In der Vergangenheit, während der Zweitakt-Ära, war Aprilia ein Pionier, wenn es um das elektronische Management ihrer Bikes ging. Der Vorteil, den sie dardurch hatten, verschwand mit ihrem GP-Ausstieg. Für Albesiano und seine Ingenieure ist dies ein Aspekt, bei dem es 2016 viel zu lernen gibt. «Den neuen Motor und das neue Bike zu haben oder nicht zu haben, ist im Moment nicht so wichtig. Das Wichtigste ist nun, echtes Wissen über das Potenzial der Software zu erlangen. Darum geht es. Es gibt hundert Parameter, die berücksichtigt werden müssen, um den Effekt zu verstehen. Ich sollte sagen, wir befinden uns auf halber Strecke. Ich habe ehrlich gesagt erwartet, zu diesem Zeitpunkt schon besser vorbereitet zu sein, aber wir haben manchmal ziemliche Probleme. Wir müssen diese Phase der Entwicklung beschleunigen.»
Wie groß ist der Unterschied zwischen der Einheits-Software und jener, die 2015 eingesetzt wurde? «Ein Beispiel. Wir hatten eine Software und eine Philosophie, um unser Ziel zu erreichen, was den Schlupf des Hinterrads betrifft. Um den Schlupf in unserem System zu definieren, braucht es einen Parameter, welcher Schräglage oder eine Kombination aus Schräglage und Beschleunigung ist. Dann baut man seine Erfahrung aus, findet die richtigen Zahlen und setzt Probleme in Relation zum Schlupf. Im neuen System ist das Ziel, was den Schlupf des Hinterrads betrifft, durch andere Parameter definiert, die du mit deinen Parametern verbinden kannst. Doch es ist nicht dasselbe, also muss man alle Erfahrungen erneut machen. Und das ist nur ein Teil. Denn auch die Kontrolleinheit funktioniert auf andere Weise. Also ist sie nicht besser oder schlechter, aber jedes Team muss erneut zur Schule gehen. Wir bildeten eine Gruppe von Elektronik-Ingenieuren. Wir sind eine große Gruppe, aber wir befinden uns noch in der Lernphase.»
Albesiano erklärt in Bezug auf die Zusammenwirkung der Elektronik mit den anderen technischen Komponenten: «Das Wichtigste ist, dass wir die Vorsaison-Tests nutzen, um das bestmögliche Wissen über die Art und Weise anzuhäufen, wie die Elektronik arbeitet.»