Andrea Iannone: Der Schatten von Valentino Rossi
Vor der Erfindung des elektrischen Lichts waren die sich im Schein von Kerzen oder Fackeln bewegenden Schatten für die Menschen besonders beeindruckende und mystische Erscheinungen. Der Schatten galt nicht nur in der Literatur als Symbol der menschlichen Seele, sondern auch als Sinnbild der Vergänglichkeit. Im Schatten eines Konkurrenten zu stehen, kann zu Beginn einer Karriere durchaus förderlich sein. Der Druck minimiert sich, die Lichtgestalt zeigt Möglichkeiten und Ziele auf.
Diese Funktion erfüllt Valentino Rossi für die jungen Italiener in der Moto3-Klasse, die zum Großteil in seiner VR46 Academy gefördert werden. «Wir haben wirklich sehr starke junge Fahrer. In dieser Hinsicht haben wir uns Jahr für Jahr verbessert», betonte Andrea Iannone im Gespräch mit SPEEDWEEK.com. «Nun gelang ein weiterer großer Schritt, denn in der Moto3-Klasse haben sich viele italienische Fahrer deutlich gesteigert. Das ist wichtig für Italien und auch für mich, denn ich glaube fest an ein paar dieser Moto3-Jungs und bin sehr froh, wenn sie um Spitzenplätze oder die Weltmeisterschaft kämpfen. Denn vor drei oder vier Jahren befanden wir uns noch in einer sehr schwierigen Situation, was den Nachwuchs aus Italien betrifft.»
In Assen siegte mit Francesco Bagnaia ein Rossi-Schützling vor vier weiteren Italienern: Fabio Di Giannantonio, Andrea Migno, Romano Fenati und Niccolò Antonelli. Mit Nicolò Bulega und Lorenzo Dalla Porta schafften es zwei weitere Italiener in die Top-10. In der Gesamtwertung der Moto3-Weltmeisterschaft liegen derzeit sechs Italiener unter den ersten Zehn: Romano Fenati (3.), Francesco Bagnaia (4.), Nicolò Bulega (5.), Enea Bastianini (6.), Niccolò Antonelli (7.) und Fabio Di Giannantonio (8.). Fenati, Bagnaia, Bulega und Antonelli sind Teil der VR46 Riders Academy. «Valentino hat auf sehr gute Weise gearbeitet, um die Fahrer der VR46-Academy zu fördern. Alle seine Fahrer konnten sich durch die Arbeit mit ihm verbessern und sind der Spitze nun sehr nah», würdigt Iannone die Leistung seines Landsmanns.
Kannst du dir auch selbst vorstellen, einen jungen Italiener zu fördern? «Im Moment nicht. Ich muss mich auf mich selbst konzentrieren. Es wäre noch zu früh für mich, mit einer solchen Aufgabe zu beginnen. Was die Zukunft betrifft, weiß ich es nicht, aber im Moment habe ich andere Prioritäten. Es ist sehr wichtig, meine Arbeit an mir selbst fortzusetzen, um meine Zukunft in den nächsten beiden Jahren zu gestalten. Ich glaube fest am meinen Erfolg in der Zukunft. Bald will ich an der Spitze der MotoGP-Klasse stehen und um den Titel kämpfen», erklärte Iannone in sehr bestimmter Art und Weise seine Ziele, seine Köperhaltung wurde aufrechter, er lehnte sich in seinem Sessel in der Ducati-Hospitality weiter nach vorne und drückte sich auch auf Englisch pointierter als gewohnt aus.
Ab dem Zeitpunkt, an dem man sich in einer Liga, im Fall von Andrea Iannone in einer WM-Klasse, mit dem alles überstrahlenden Star befindet, kann das Dasein als Schattengewächs zur Last werden. Fühlst du sich von Rossis Erfolgen und seiner Beliebtheit in den Schatten gestellt? «Nein, nein. Ich denke... Ja klar, Vale ist sehr stark. Ich denke, er ist der beste Fahrer der Welt und hat viele Fans. Er ist aber einer meiner Freunde, ich spreche oft mit ihm. Meiner Meinung nach ist es auch sehr wichtig für mich, eine gute Beziehung zu ihm zu haben», antwortete Iannone auf die ihm zunächst sichtlich überraschende und unangenehme Frage. «In der Vergangenheit habe ich oft mit ihm auf der Ranch trainiert. Nun kommt das seltener vor, denn ich habe viele Termine und Arbeit nach den Rennen, also kann ich nicht immer von Vasto nach Tavullia reisen. Es ist schwierig, weil wir ohnehin schon viel reisen.»
Nach einer kurzen Pause fuhr Iannone in einem sanfteren und weniger abwehrenden Ton fort: «Ich denke, dass Vale für die italienischen Fahrer, auch für mich, ein sehr gutes Beispiel ist. Er konnte sich nämlich Jahr für Jahr weiter steigern. Und er lernte immer mehr. Dadurch lerne auch ich. Doch ich glaube schon, dass ich in der Zukunft eine sehr gute Chance habe, an der Spitze der MotoGP-Klasse zu stehen. Ich habe mich in den letzten Jahren Schritt für Schritt gesteigert. So habe ich es nach vorne geschafft, nun ist es sehr wichtig, den letzten Schritt zu machen. Für diesen letzten Schritt sind alle Details entscheidend: das Bike, das Team und die Beziehung zu den Menschen im Box. Alles. Ich denke, dass ich mit Suzuki in den nächsten beiden Jahren die Möglichkeit haben werde, diese Lücke – auch zu Vale – zu schließen.»