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Sachsenring-GP: Zum tragischen Tod von Enrico Becker

Von Günther Wiesinger
Der deutsche Motorrad-GP auf dem Sachsenring wurde am Samstagabend vom Todessturz des Seitenwagen-Beifahrers Enrico Becker überschattet. Im Zuge dieses Dramas kam es zu einer bedauerlichen Kommunikationspanne.

Ein tragischer Unfall im zweiten Qualifying zum Seitenwagen-WM-Lauf auf dem Sachsenring im Rahmen des Motorrad-GP von Deutschland überschattete gestern das traditionelle Zweiradfest.

Im Abschlusstraining zwischen 18.15 und 18.45 Uhr donnerte das deutsche LCR-Suzuki-Duo Kurt Hock/Enrico Becker in Kurve 12 bei hoher Geschwindigkeit ins Kiesbett, danach kam es zu einem fürchterlichen Aufprall gegen die Leitplanken.

Den Augenzeugen des Unfalls war sofort klar, dass dieser Crash schwerwiegende Folgen haben würde.

Hock/Becker waren sechsmal deutsche Vizemeister, in dieser Saison wollten sie endlich den Titel gewinnen und rechneten sich auch für den WM-Lauf auf der Heimstrecke viel aus – sie lagen im ersten Zeittraining auf Platz 3.

Wegen des späten Zeitpunkts des zweiten Seitenwagen-Trainings und weil die Gespanne hier beim GP Deutschland wie der Red Bull Rookies-Cup und der ADAC Junior-Cup nur zum Rahmenprogramm zählen, fand das Geschehen in Kurve 12 am frühen Abend im Umfeld der Rennstrecke vorerst wenig Aufmerksamkeit.

WM-Promoter Dorna fühlte sich für die Kommunikation nicht zuständig, weil die Seitenwagen nicht zum offiziellen GP-Programm gehören.

Und der ADAC sowie Deutschland-GP-Promoter SRM hätten den tragischen Unfall offenbar am liebsten unter den Tisch gekehrt.

Trotzdem wurde gegen 20 Uhr von offizieller Seite gemeldet, Kurt Hock und Beifahrer Enrico Becker seien ihren Verletzungen erlegen.

Diese Nachricht verbreitete sich in Windeseile im Seitenwagen-Paddock. Es hiess dann, es werde um 21 Uhr eine offizielle Information des Veranstalters dazu geben. Diese wurde allerdings erst nach 22 Uhr veröffentlicht.

Informationssperre

Auch der offizielle Streckensprecher Bernd Fulk wurde über den Unfall nie informiert, er moderierte danach in bester Laune noch die Fahrerpräsentation in der Karthalle mit Marc Márquez, Stefan Bradl und Co.

Schwer zu sagen, ob die Veranstalter den Fans die Partylaune nicht verderben wollten oder ob man warten wollte, bis die letzten Journalisten das Media Centre verlassen hatten, um die tragische Nachricht aus den Abendnachrichten fernzuhalten.

Pietätvoll war die Vorgangsweise des Veranstalters gegenüber dem Verunglückten Enrico Becker und den tief betroffenen Fans auf keinen Fall. Denn die Auswirkungen des Unfalls hatten sich rund um die Strecke längst wie ein Lauffeuer verbreitet. Und: Wo die Nachrichten fehlen, wachsen die Gerüchte.

Jedenfalls wurde erst nach 22 Uhr offiziell kommuniziert, dass die Ärzte im Klinikum Chemnitz noch um das Leben des schwer verletzten Fahrers Kurt Hock kämpfen. «Hock wurde ins künstliche Koma versetzt. Er ist jetzt stabil, aber man wird erst in drei oder vier Tagen Näheres über seinen Zustand sagen können», erklärte ein FIM-Funktionär am frühen Sonntagmorgen gegenüber SPEEDWEEK.com.

Der Veranstalter hält weiter eine Nachrichtensperre zum Zustand des Schwerverletzten aufrecht.

Nach diesem Unfall kamen natürlich im Fahrerlager sofort wieder Diskussionen über die Sinnhaftigkeit der Seitenwagen-Rennen auf. Diese WM wurde 1992 aus dem offiziellen GP-Programm genommen und fristet seither auf Nebenschauplätzen ein Schattendasein, obwohl ausgezeichneter Sport geboten wird, von lupenreinen Amateuren, die nie im Fernsehen zu sehen sind und ohne Mitwirkung der Industrie und meist ohne nennenswerte Sponsoren ihr Dasein fristen. Es gibt mit der Schweizer Firma LCR nur noch einen namhaften Chassishersteller, gefahren wird grossteils mit 1000-ccm-Suzuki-Superbike-Motoren.

Einmal im Jahr dürfen sie im Glanzlicht eines Grand Prix auftreten – auf dem Sachsenring. Denn in Deutschland haben die Gespanne nicht erst seit den Glanzzeiten des sechsfachen Weltmeisters Klaus Enders Tradition, wie in England und in der Schweiz und wenigen anderen Ländern.

Sachsenring-GP: Nie wieder Seitenwagen

Für die Fans auf dem Sachsenring bilden die Seitenwagen eine reizvolle Attraktion, sie gehören zum Standard-Repertoire dieses WM-Laufs.

Aber durch ihre drei Räder und das hohe Gewicht brauchen die Gespanne andere Auslaufzonen als die Zweiräder. Ein Motorradpilot legt die Maschine im Kiesbett einfach um und springt aus dem Sattel, wenn er sich der Leitplanke zu nähern droht. Im Seitenwagen besteht diese Möglichkeit nicht, es gibt auch keine Knautschzonen und keine Sicherheitsgurte wie in einem Rennwagen.

Jetzt wird sich der Weltverband FIM endlich wieder einmal Gedanken über die Sicherheit der Dreiräder machen müssen.

Bei den besten Solofahrern sind Lederkombi-Airbags und die teuersten handgemachten Sturzhelme im Einsatz. Die Seitenwagen-Asse tragen oft zehn Jahre lang die gleichen Lederoveralls, es ist einfach zu wenig Geld im Spiel.

Aus dem Strassenverkehr sind die Gespanne weitgehend verschwunden. In den Aufbaujahren nach dem Zweiten Welkrieg galten sie als Arme-Leute-Auto, viele Familien fuhren damit sogar in den Urlaub. Auf der Rennstrecke werden sie als Relikte der Vergangenheit betrachtet. Sie führen ein Mauerblümchendasein und werden von der Öffentlichkeit nur bei tragischen Unfällen wahrgenommen.

Wir sind mit unseren Gedanken heute bei den Familien von Enrico Becker und Kurt Hock und hoffen auf eine baldige Genesung des kampfstarken und populären deutschen Seitenwagen-Piloten.

Dieser Unfall wird weitere Auswirkungen haben. Man muss kein Prophet sein, um vorauszusagen: Im Rahmen eines Motorrad-GP werden wir nie wieder ein Seitenwagenrennen erleben. Auch auf dem Sachsenring nicht.

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