Istanbul: 50.000 Türken feierten wie beim Fußball
Formel 1 und MotoGP sind in der Türkei aufgetreten. Die beiden wichtigsten Rennserien der Welt haben dem «Istanbul Park» aber 2011 und 2007 den Rücken gekehrt, obwohl die Strecke von den Fahrern gelobt wird, die Anlage atemraubend schön ist. Orientalisches Flair trifft auf Hightech.
Als die Rennstrecke 2004/2005 gebaut wurde, lag sie außerhalb der Metropole Istanbul, der nahegelegene Flughafen Sabiha Gökcen (benannt nach der ersten Kampfpilotin der Welt) war eben erst eröffnet worden. Inzwischen ist der Airport zu einem zweiten wichtigen Knotenpunkt neben dem Atatürk-Flughafen im europäischen Teil Istanbuls geworden. Es gibt Direktflüge in viel größere europäische Städte. Die Stadt hat sich bis fast zur Rennstrecke hin ausgedehnt, moderne 5-Sterne-Wohlfühloasen wie das Crowne Plaza und das Miracle Asia wurden aus dem Boden gestampft.
Antike Prachtbauten und McDonald’s
Die Türkei begrüßte den Superbike-Zirkus mit offenen Armen: warmherzig, freundlich, erstaunlich viele Leute sprechen englisch. Istanbul, Konstantinopel, Byzanz: Die Metropole hatte schon einige Namen. Eine weltläufige, moderne Stadt: bildhübsche Frauen, McDonald’s und Burger King, antike Prachtbauten und – in letzter Zeit immer mehr – Dönerbuden prägen das Stadtbild.
Was für eine Tragik, dass die anspruchsvolle Rennstrecke so wenig genützt wird. Am Freitag und Samstag hatten wir arge Zweifel, ob die Superbike-WM Anklang finden wird. Das Fahrerlager war so leer, wie wir es bislang nur im Wüstenstaat Katar erlebten. Die Hospitalitys der Teams, auf dem Seeweg quer an Europa vorbei nach Asien geschippert, glichen Geisterhäusern. Die Teams hatten kaum Gäste, Enttäuschung über das Desinteresse wich Galgenhumor.
Als am Donnerstag das Media Center öffnete, gab es keinen Strom. Die Schließfächer mussten von Spinnweben befreit werden, wir fanden eine angebrochene Flasche Carpe Diem mit Ablaufdatum von jenem Tag – vor zwei Jahren.
Der heilige Kenan
Am Sonntag präsentierte sich uns eine andere Welt. Die Haupttribüne war voll, riesige türkische Fahnen wurden gehisst. Für Kenan Sofuoglu, den türkischen Motorrad-Gott. 50.000 Fans kamen in drei Tagen, 49.000 waren lediglich am Sonntag da. «Das ist die türkische Mentalität, sie kommen immer in der letzten Sekunde», verriet Kenan Sofuoglu SPEEDWEEK.com. Und fügte ohne Arroganz hinzu: «Sie kamen wegen mir.»
Erstaunlich: Es waren fast doppelt so viele Fans da wie bei den Rennen zuvor in Silverstone und auf dem Nürburgring!
Was nach dem Sieg des dreifachen Supersport-Weltmeisters abging, kann nur mit der Stimmung nach dem Endspiel bei der Fußball-WM verglichen werden. Sofuoglu wurde gefeiert, verehrt, angebetet, gehuldigt, um ein Haar heilig gesprochen. «Dieser Sieg zu Hause bedeutet mir gleich viel wie ein WM-Titel», sagte er mit wässrigen Augen. «Die Türken wissen, dass Superbike die Hauptklasse ist. Aber es interessiert sie nicht.»
Wie wahr. Kaum hatte Eugene Laverty auch den zweiten Superbike-Lauf als Sieger beendet, leerte sich die Haupttribüne vollends, alles war wieder so leer wie in den Tagen vor der Euphorie. Wir freuen uns auf nächstes Jahr und kommen gerne wieder. Istanbul hat einen Drei-Jahres-Vertrag bis inklusive 2015.