Bilanz Rallye Deutschland: Tage der Entscheidung
Mit Glück WM-Führung gefestigt – Hyundai-Pilot Thierry Neuville
Die Rallye Deutschland läutet als – derzeit – neunter von 13 WM-Läufen meist die sogenannte «silly season» ein. Die Zeit des Jahres also, in der ein Gerücht über einen bevorstehenden Fahrerwechsel das nächste zum Kalender des kommenden Jahres jagt.
Fakt ist, dass momentan lediglich Ott Tänak (Toyota) und Andreas Mikkelsen (Hyundai) fixe Verträge für 2019 haben. Während der eine – Tänak – der Überflieger der zweiten Jahreshälfte zu sein scheint und im ersten Jahr bei Toyota sogar noch Außenseiterchancen auf den WM-Titel hat, tut sich der andere – Mikkelsen – schwer mit seinem neuen Arbeitsgerät.
Nur eine Umstellung des Fahrstils, alles andere als eine einfache Aufgabe, könnte dem Norweger helfen. «Mit dem VW Polo habe ich tief in Kurven hinein gebremst. Mit dem Hyundai muss ich den Bremsvorgang vor der Kurve abgeschlossen haben», beschrieb Mikkelsen seine Experimente während der Rallye Deutschland. Wie auch immer, derzeit sieht es nicht danach aus, als könnte er 2019 die Rolle des Nummer-1-Fahrers bei Hyundai erfüllen.
Teamchef Michel Nandan täte also gut daran, den Vertrag mit Thierry Neuville zu verlängern. Der ist zwar nicht gerade happy mit dem derzeitigen Stand des i20 WRC, der zumindest gegenüber dem Toyota Yaris WRC ins Hintertreffen zu geraten scheint. Aber ein Fortschritt wäre wohl nur ein Wechsel zu Toyota. Neben Tänak? Schwer vorstellbar.
Schon erstaunlich, wie sich das belächelte Außenseiterteam aus den finnischen Wäldern innerhalb von zwei Jahren zur begehrten Adresse gewandelt hat.
Möglicherweise hat Neuville der zweite Rang bei der Rallye Deutschland den Titel gesichert. Ogier hat noch einmal zwei Punkte verloren, statt wie geplant den Rückstand zu verringern. 23 Punkte muss er bei noch vier ausstehenden Rallyes aufholen. «Das wird hart», weiß der Titelverteidiger. Und Ott Tänak fluchte, nachdem Tabellenführer Neuville durch die Ausfälle von Dani Sordo und Jari-Matti Latvala zwei Plätze sowie sechs WM-Punkte geschenkt bekam, was seinen Rückstand bei 36 Zählern zementierte: «So viel Glück möchte ich auch mal haben. Jedenfalls denke ich bis auf weiteres nicht an den Titel.»
Eine Alternative für Nandan wäre zweifellos Weltmeister Sébastien Ogier. Aber der hat während der Rallye Deutschland erneut betont, dass für ihn ein siegfähiges Auto und nicht das Geld entscheidend sei. «Möglicherweise fahre ich nur noch ein Jahr. In dem will ich um den Titel kämpfen», sagte der Franzose.
Nach dem derzeitigen Stand der Dinge wäre Hyundai unter diesem Gesichtspunkt keine Alternative. Stattdessen Citroën? Für Ogier schwer zu beurteilen. Die aktuellen Werkspiloten Craig Breen und Mads Østberg sind für einen fünfmaligen Weltmeister kein Maßstab. Ich würde mich nicht wundern, wenn sich Ogier deshalb erst nach der Rallye Spanien entscheidet – wenn Amtsvorgänger Sébastien Loeb zum ersten Mal den jüngst gründlich modifizierten C3 WRC gefahren ist.
Da Ogier so etwas wie die Königsfigur im Cockpit-Schach ist, werden sich auch einige Kollegen noch eine Weile gedulden müssen. Jüngstes Gerücht: Esapekka Lappi, der momentan stärkste Nachwuchsfahrer, wechselt von Toyota zu Citroën. Zusammen mit Ogier – und möglicherweise Breen und Østberg abwechselnd im dritten Auto – hätte Teamchef Pierre Budar zweifellos eine schlagkräftige Truppe zusammen.
Ein solcher Move würde wohl auch die kurzfristige Zukunft von Jari-Matti Latvala sichern. Der Finne hat zwar immer wieder Pech mit der Technik, weswegen sich sogar Konzernchef Akio Toyoda gerade öffentlich bei ihm entschuldigt hat. Aber so richtig glaubt wohl niemand mehr daran, dass der 33-Jährige noch mal Weltmeister werden kann. Ein Weggang von Lappi würde seinen Platz wohl sichern.
Noch so ein Wackelkandidat ist die Rallye Deutschland. Vorausgesetzt, sie machen bei der als Bewerbung durchgeführten Rallye Shinshiro Anfang November keinen Fehler, haben die Japaner nach neun Jahren 2019 wieder einen WM-Lauf. Der findet dummerweise auf Asphalt statt. Die Hersteller fordern aber für jeden Neuling einen Aussteiger, zumal sie wohl die Schotter-Rallye Chile als 14. WM-Lauf schlucken müssen. Als abzuschießende Asphalt-Rallye bleiben da nur Frankreich/Korsika und Deutschland. Fragt man Teams und Fahrer, fiele die Wahl ganz klar auf Korsika. Aber solange Jean Todt Präsident der FIA ist, ist am WM-Status seiner Heimrallye eher schwer zu rütteln . . .
Mit einer Super-Special auf einem Parkplatz – Zitat Sieger Tänak: «Die Schlechteste aller Zeiten.» – und kaum mehr als einer Handvoll Zuschauern bei Start und Ziel in der – Entschuldigung – Provinzstadt St. Wendel hat sich die 2018er Auflage der Rallye Deutschland nicht unbedingt mit Ruhm bekleckert. Dazu kommt, dass noch kein neuer Vertrag mit dem Promoter unterschrieben ist, ohne den es keinen Platz im Kalender gibt. Dabei geht es natürlich um Geld.
Der Motorsportverband FIA entscheidet bei der Weltratssitzung am 12. Oktober in Paris über den WM-Kalender 2019. Bis dahin liegt noch eine Menge Arbeit vor Rallyedirektor Friedhelm Kissel und seiner Mannschaft.