Simonsen-Desaster: War es wirklich ein Fahrfehler?
So absurd wie es ist, mit einem Formel-1-Boliden durch die Gassen von Monte Carlo zu rasen oder im IndyCar mit 400 km/h in Indianapolis an Betonwänden vorbei, genau so wahnsinnig ist es, mit 320 km/h Tag und Nacht über französische Landstrassen zu brettern. Vielleicht sind der Grand Prix von Monaco, das Indy 500 und die 24h von Le Mans gerade deswegen die drei berühmtesten Autorennen der Welt. Alle drei sind Dinosaurier des Motorsports, ein ständiger Ritt auf der Rasierklinge.
Schwere Unfälle haben uns in Le Mans in den vergangenen Jahren in trügerischer Sicherheit gewogen. Doch Le Mans ist so gefährlich wie eh und jeh. Im vergangenen Jahr landeten Anthony Davidson, und Guillaume Moreau nach schweren Unfällen im Rennen oder beim Vortest im Hospital. Bei Davidson dauerte die Genesung Wochen, Moreau hat sich von seinen Verletzungen immer noch nicht erholt.
Die drei und ein gutes Dutzend weiterer schwerer Unfälle in den Vorjahren gingen glimpflich aus. Allan Simonsen hatte am Samstagnachmittag nicht so viel Glück wie seine Kollegen in den Vorjahren.
Tertre-Rouge-Kurve ist kein Unfall-Hot-Spot
Die Tertre-Rouge-Kurve in Le Mans, ausgangs derer der fatale Unfall geschah, ist nicht gerade als Unfallschwerpunkt bekannt. In der schnellen, Vierte-Gang-Rechtskurve knallt es eher selten. Es kommt allenfalls zu Verbremsern, die im Kiesbett am Kurveneingang aufgefangen werden. Für einen grösseren Abflug sorgte dort zuletzt nur Mike Rockenfeller 2007 im Audi R10 TDI.
Zuletzt wurde die Tertre Rouge im Winter 2006/2007 umgebaut, aus Sicherheitsgründen. Das Kiesbett wurde deutlich vergrössert. Da direkt hinter der Kurve eine Strasse und eine Tramlinie verläuft, veränderte der ACO seinerzeit den Kurvenradius und zog die Kurve weiter nach vorn, denn nach hinten war ein Ausdehnen ausgeschlossen. Das Kiesbett wurde deutlich grösser, allerdings wurde die Kurve durch die Umbaumassnahmen auch schneller.
Spielraum für weitere Umbaumassnahmen hat der ACO an der Stelle kaum. Hinter den Dreifachleitplanken, an denen Simonsen sein Leben liess, ist ein kleiner Abhang, dahinter verlaufen Gleise der Strassenbahn, die zum hinter der Kurve liegenden Tram-Depot führen. Die Bäume hinter der Leitplanke, die dort seit den 1960er Jahren wachsen, dürften dort allerdings nach diesem Wochenende nicht mehr lange stehen.
An den Leitplanken eine oder zwei Reihen Reifenstapel aufzustellen, dürfte auch keine Lösung sein. Simonsen hätte das kaum geholfen. Ausserdem sind Reifenstapel bei Sportwagenrennen nicht unproblematisch, denn gerade die Prototypen vergraben sich gerne einmal komplett unter Reifenpaketen.
War ein Fahrfehler die Ursache?
Der Unfall von Simonsen mutet seltsam an. Dass die Fahrer Ausgang der Kurve über die sehr flachen Kerbs kommen und die asphaltierte Fläche mit in ihre Ideallinie einbeziehen, ist keine Seltenheit, selbst bei feuchter Strecke.
Auch zu Beginn des ersten Qualifyings am Mittwochabend, als Loic Duval im Audi R18 auf die Pole fuhr, war die asphaltierte Zone noch feucht und wurde von problemlos von allen passiert. Wenn auch teilweise in höchst haarsträubender Manier, wovon sich der Autor dieses Artikels selbst überzeugte.
Unfallhergang wirft Fragen auf
Eigenartig: Das Heck des Simonsen-Aston Martin brach beim Abflug erst übersteuernd nach links aus, als der Aston Martin auf der bemalten Fläche des Asphalts ins Rutschen geriet. Es schien dann, als habe sich der Vantage stabilisiert, bevor er schlagartig nach links in Richtung Leitschiene ausbrach. Selbst wenn der erfahrene Simonsen nach dem Schlenker gegenlenkte: Der Winkel, in dem der Aston Martin abbog, wäre nicht so stumpf gewesen.
Der Unfall von Frédéric Makowiecki im Schwesterauto am Sonntagmorgen um 09:51 Uhr wies eine erschreckende Parallele auf. Auch der Mako-Aston kam mit dem linken Hinterrad auf den Randstreifen, auch beim Mako-Aston Martin brach das Heck leicht nach links aus, bevor es anschliessend schlagartig nach links Richtung Leitplanke ging. In dem Moment, bevor Makowiecki fast im rechten Winkel in Leitplanke abbog, zuckten Flammen aus den Sidepipes des Aston Martin. Nur: Das passiert im Regelfall nicht unter Volllast beim Beschleunigen, sondern beim Zurückschalten. Spielte etwa die Elektronik verrückt?
Die Unfallursache ist noch nicht geklärt, es läuft eine offizielle Untersuchung der französischen Behörden.
Der ACO sagte noch 2007 bei der Vorstellung seines niemals in Kraft getretenen 2010er LMP1-Reglements. «Wir peilen mit den neuen Fahrzeugen Rundenzeiten von 3:30 Min an. Bis zum diesem Tempo halten wir die Strecke noch für sicher. Zeiten unterhalb von 3:30 Min. würde so tiefgreifende Umbaumassnahmen erfordern, dass der Charakter der Strecke komplett verloren geht.»
Die Pole-Zeit in diesem Jahr: 3:22,349 min.
Der ACO hat in den vergangenen Jahren viel für die Sicherheit der Strecke getan. Nicht nur die Tertre-Rouge wurde umgebaut, sondern auch die Dunlop-Schikane. Kiesbetten wurden neu angelegt, zum Teil vergrössert. Zäune wurde erweitert, ergänzt und vergrössert. Die Strecke wurde in Teilen neu asphaltiert. Alle neuralgischen Punkte, also alle schnellen Kurven und Stellen nach den ultra-schnellen Passagen, sind mit Kiesbetten ausgestattet.
Ein Restrisiko kann man niemals ausschliessen. Le Mans besteht Grossteils aus öffentlichen Landstrassen; das Restrisiko ist dort noch erheblich grösser.