Porsche: Persönliches Siegerbild für alle Mitarbeiter
Fritz Enzinger mit Technikchef Alex Hitzinger
Vier Jahre Aufbauarbeit mit Beginn bei null und mit drei Mitarbeitern, zwei Jahre Vorbereitung, davon die letzten Monate intensiv, ständige Weiterentwicklung bis zum entscheidenden Moment: So gestaltete sich das Comeback von Porsche in Le Mans mit großen Prototypen im Werkeinsatz. Die schmerzliche, knappe Niederlage im Rückkehrjahr 2014, als ein 919 in Führung eineinhalb Stunden vor dem Ende ausfiel, hatte die Mannschaft noch akribischer werden lassen – in Vorbereitung und Umsetzung. Doch genauso wuchs dabei auch die Erwartungshaltung – intern wie extern.
Als die letzte Runde knapp vor 15 Uhr am 14. Juni zur Triumphfahrt wurde und der 919 Hybrid mit Nummer 19 eine halbe Wagenlänge vor dem Schwesterauto mit Nummer 17 schon fast wie auf einer Ehrenrunde unterwegs war, da brachen in den Porsche-Boxen und in der Hospitality alle Dämme. Gestandene Männer und Racer, die viel erlebt hatten, hatten Tränen in den Augen, und weder Aufsichtsratschef Wolfgang Porsche noch Mark Webber im 17er-Wagen schämten sich dafür.
LMP1-Projektleiter Fritz Enzinger schildert den Moment der erfüllten Mission so: «Wolfgang Porsche fiel mir um den Hals, und das ist schon ein besonderes Gefühl. Und dann sagte er noch zu mir: ‚Der Prototyp brachte den Geist zu Porsche zurück, der bisher weg war.‘»
«Als ich dann mit den erstplatzierten Teams auf dem Podium stand und auf die Massen der Fans hinunterblickte, verstand ich erstmals die Bedeutung dieser Leistung», sagt der Steirer rückblickend. Der die 24 Stunden von Le Mans einfach als «24 Stunden unter Hochspannung, ständig unter Strom» charakterisiert. «Es ist verwunderlich, aber wenn die Anspannung so groß ist, spürst du keine Müdigkeit. Die letzten zwei Stunden waren dann einfach brutal, zum Zeitpunkt des Ausfalls im Vorjahr denkst du nur noch, ‚hoffentlich kein Regen, kein Defekt, keine Kollision‘. Dann kamen die Meldungen vom Regen in der Mulsanne-Kurve, doch es blieb bei einigen Tropfen. Du bemerkst, wie in den letzten Minuten dein ganzes Umfeld nervöser und nervöser wird. Das Finish wird zur Qual – zum Glück dann mit der Erlösung.»
Nicht nur, dass die Mannschaft von Enzinger und seinem Teamchef Andreas Seidl mit dem Doppelsieg durch Hülkenberg/Tandy/Bamber vor Webber/Bernhard/Hartley den 17. Le-Mans-Erfolg für Porsche 17 Jahre nach dem letzten Sieg 1998 einfuhr, gab es bei allen drei Autos nicht einen gröberen Defekt. Und man darf annehmen: Hätte der trainingsschnellste 919 von Jani/Dumas/Lieb nicht Samstagabend zwei Ausritte in den Schotter mit entsprechenden Zeitverlusten zu verkraften gehabt, wäre ein Dreifachsieg durchaus möglich gewesen. Doch darüber wollte niemand im Porsche-Lager spekulieren.
Enzinger rekapituliert: «Im Finish wechselten wir die Frontpartie am 18er-Wagen und die Motorhaube am führenden 19er – als reine Vorsichtsmaßnahme, die im Nachhinein betrachtet nicht nötig gewesen wäre. Aber wir gingen auf Nummer sicher.» So blieb die einminütige Stop-and-go-Boxenstrafe für Hartley am Samstagabend wegen Überholens bei Gelb, die später Webber «absitzen» musste, das einzige Missgeschick – das aber möglicherweise rennentscheidend war, denn dabei verlor der 17er die bis dahin gehaltene Führung. Enzinger: „Unsere Taktik war, defensiv zu beginnen und uns zu positionieren. Doch die Audi-Teams wurden bald sehr aggressiv. Aber erst in der Nacht haben wir ‚Feuer frei‘ gegeben.»
Dass Langstreckenrennen von Teamgeist geprägt sind, merkten die Sieger sofort nach dem Triumph: Aus dem Audi-Lager kamen Vorstandschef Rupert Stadler, Technikvorstand Ulrich Hackenberg und Sportchef Wolfgang Ullrich sofort zur Gratulationstour. Und schon am Tag danach schaltete Audi in Frankreichs Tageszeitungen ein ganzseitiges Inserat: «Porsche hat das Rennen gewonnen. Und unseren Respekt» - konzerninterne Fairness.
Dass ausgerechnet der nur für die Generalprobe in Spa und für Le Mans eingesetzte dritte Wagen mit drei Neulingen gewann, «bestätigte doch unserer Fahrerwahl, die vorher auch von manchen Fachleuten angezweifelt worden war», wie Enzinger bestätigt. Die Le-Mans-Rookies Nico Hülkenberg und Earl Bamber machten genauso einen Riesenjob wie Nick Tandy, der immerhin schon zwei Mal im GT-Porsche dabei war. Enzinger: «Sie haben uns bei den Tests so überzeugt, dass wir volles Vertrauen hatten. Es hat sich ausgezahlt.» Ob es auch 2016 ein drittes Auto und wenn ja in welcher Besetzung geben wird, ist offen. Vom aktuellen Fahrerkader haben einige Verträge bis nächste Saison, einige können durch Option verlängert werden.
In der Porsche-Hospitality wurden die 24 Stunden endgültig zum Marathon – die «kleine Feier» ging erst um Mitternacht zu Ende, mitten drin Vorstandschef Matthias Müller, Technikvorstand Wolfgang Hatz und natürlich Wolfgang Porsche.
Schon Dienstag nach dem Rennen gab es eine «Info-Veranstaltung“ für alle Mitarbeiter in Weissach. Enzinger erzählt: «Der Siegerwagen war schon da. Und dann kam ein Porsche-Traktor, Baujahr 1951, mit einem Hänger, auf dem der Siegerpokal angeliefert wurde. In den nächsten drei Stunden bekam jeder Mitarbeiter sein Foto mit der Trophäe.»
Bis Mitte Juli hatten alle Mitarbeiter Urlaub. Außer Nico Hülkenberg, der schon vier Tage später auf dem Red Bull Ring in seinen Hauptjob Formel 1 zurückkehrte. Und dabei von vielen Kollegen über sein Le-Mans-Abenteuer ausgefragt und ordentlich beneidet wurde.
«Das war der tollste Tag meines Lebens», sollte der 27-Jährige aus Emmerich an der niederländischen Grenze später sagen.
Es werden ihm wohl alle bei Porsche Motorsport zugestimmt haben.