Alex Zanardi: Sein völlig verrücktes DTM-Debüt
Alex Zanardi
Alex Zanardi ist ein völlig untypischer Rennfahrer. Glatt gebügelte Aussagen? Von wegen! Kurze, nichtssagende Antworten? Auf keinen Fall. Gespräche mit dem Italiener sind so besonders wie die Geschichte, das Schicksal des 51-Jährigen. Denn es kann gut sein, dass man 20 Minuten Zeit hat, in diesen Rahmen aber nur drei Fragen passen. Denn Zanardi erzählt gerne. Er erzählt gerne viel. Man hört ihm allerdings auch gerne zu.
Vor allem dann, wenn er über seine Emotionen, seine Gefühle spricht. Wenn die Augen leuchten. Wenn er schwärmt nach einem fünften Platz im 14. DTM-Saisonrennen, der sich wie ein Sieg anfühlt. Wenn er ihn humorvoll den «Witz des Wochenendes» nennt. Klar: Zanardi weiß, dass er in dem irren Regenchaos von Misano eine Menge Glück hatte. «Man ist aber auch für sein Glück verantwortlich. Die Entscheidungen müssen richtig sein. Und das waren sie.» Wie die, länger auf Regenreifen draußen zu bleiben. Eine Entscheidung, die ihn durch den Einsatz des Safety Car entscheidend nach vorne spülte. Und ein völlig verrücktes Wochenende abrundete. Irgendwie perfekt und besonders machte.
Denn für ihn war alles dabei: Sonne, Hitze, Regen, widrige, wechselnde und knifflige Bedingungen, dazu die ersten Nachtrennen. Flutlicht. Eine Herausforderung. Man kann es so deutlich sagen: Es war für sein Debüt das wohl schwierigste Event, das er sich aussuchen konnte. Aber Zanardi ist Zanardi. Schaut man sich das Leben des beinamputierten Italieners an, musste dieses Wochenende wohl exakt so sein, damit der 51-Jährige beweisen kann, wie außergewöhnlich er ist. Als ob er das noch müsste.
Doch er selbst dachte vor allem an sein Team. «Alle haben sehr leidenschaftlich an meinem Auto gearbeitet, das habe ich am ganzen Wochenende gespürt. Das hat mich auch überrascht. Wenn ich einer der Jungs gewesen wäre und für einen alten Furz wie mich gearbeitet hätte, hätte ich gesagt: „Hey, ich bin hier um zu gewinnen. Nicht für so einen Kerl, der nur für das Marketing da ist.“ Doch das Auto war so wundervoll vorbereitet wie die anderen Autos. Ich habe hier nichts geleistet, außer dass ich Alex Zanardi bin. Ich habe die spezielle Atmosphäre aufgesogen. Ich bin glücklich, dass ich es ihnen zurückzahlen konnte», meinte er.
Die Gefühle während des Wochenendes fuhren Achterbahn. Denn: «Es ist ein unglaublich schwieriges Spiel. Die Spannung, die man vor dem Rennen spürt, wird multipliziert. Du weißt, was du tun musst. Aber es gibt 1000 Dinge, die du falsch machen kannst. Und ein Fehler kann die Arbeit kaputtmachen, die das ganze Team investiert hat», sagte Zanardi. «Dieser Moment vor dem Rennen ist durchaus magisch. Alle Fahrer erleben ihn, egal wie viel Erfahrung sie haben. Um es deutlich zu sagen: Du machst dir in die Hose.»
Hinzu kommt, dass er Alex Zanardi heißt. Beinamputiert nach seinem Horrorcrash 2001. Aber er ist nun mal der personifizierte Wille. Es scheint nichts zu geben, was er nicht kann. Was er nicht erreichen kann. Doch Zanardi hatte außerordentlichen Respekt vor der Aufgabe. «Du willst niemandem im Weg stehen. Du willst nicht als der letzte Idiot dastehen. Aber du willst dich auch beweisen, du bist immerhin Rennfahrer. Und dann sind alle Augen auf dich gerichtet. Das erhöht den Druck», sagte er. Stellte aber auch klar: «Wenn man in meinem Alter nicht die Möglichkeit entwickelt hat, damit umzugehen, wird man das auch nicht mehr. Mein Alter hilft mir, aber wenn ich Mitte 20 wäre, würde mir das auch helfen.»
Hieß: Er ließ es etwas behutsamer angehen, robbte sich langsamer ans Limit heran, auch aufgrund der Bedingungen. Denn er weiß: «An einem normalen Wochenende wäre es sicher besser gewesen.» Obwohl er immer wieder Highlights setzen konnte. Platz fünf im dritten freien Training zum Beispiel. Der Sonntag war wesentlich stärker als der Samstag, die Verbesserungen nicht zu übersehen.
Das Problem: Er hatte in Vallelunga im Vorfeld erfolgreich getestet, fast 300 Runden absolviert im für seine Bedürfnisse umgebauten BMW M4 DTM. Er fuhr in Misano erstmals ohne Beinprothesen, er beschleunigte, lenkte, schaltete und bremste mit seinen Händen. Beeindruckend war der Blick ins Cockpit, wie er mit dem ganzen System überhaupt klarkommt. Alles war vorbereitet.
Doch dann kam das Wetter. Zanardi: «Die ganze Vorbereitung ging zum Teufel, als das Wetter plötzlich so bizarr wurde.» Er tat sich schwerer als gedacht, konnte sich nicht so verbessern wie er wollte. Konnte die Erfahrungen nicht mit in die nächste Session nehmen, weil im Grunde fast jede anders als die vorherige war. «Jede einzelne Session war anders, nicht nur wegen des Wetters, sondern wegen des Lichts. Wenn man alles lernen muss, ist es so noch schwieriger. Ganz klar: Mit mehr Erfahrung hätte es noch besser werden können.»
Dann kann er jetzt ja durchstarten. Keine Lust auf ein Stammcockpit in der DTM? Die Verantwortlichen würden sich freuen, er bescherte der Serie, die um ihre Zukunft kämpft, positive Schlagzeilen. Zanardi muss lachen. Andere hätten freundlich abgelehnt, auf andere Aufgaben verwiesen, eine Floskel rausgehauen.
Zanardi verpackte es humorvoll. «Ich kann dir meinen Zeitplan zeigen. Als ich ihn gesehen habe, habe ich gefragt: „Wollt ihr mich verarschen?“ Ich habe nicht mal die Zeit zu furzen, denn normalerweise hältst du dann die Luft an. Ich hatte aber nur die Zeit zu furzen oder zu atmen. Ich war unglaublich beschäftigt. Ich bin ein alter Mann, ich schaffe das nur an einem Wochenende pro Jahr», so Zanardi.
Er scherzte: «Wenn sie mich haben wollen, müssen sie einen anderen Zeitplan machen. Wenn ich nur fahren muss: Liebend gerne!» Das Ziel ist ja sowieso ein anderes: Daytona 2019. Der Gaststart war auch eine Vorbereitung darauf. Das neue System funktioniert: „Ich bin sehr ermutigt. Mit dem M8 haben wir eine gute Möglichkeit, gut abzuschneiden.“ Man glaubt es ihm sofort.