DTM: Nicht-Angriffspakt bei Audi Betrug am Fan?
René Rast und Nico Müller
Die Reaktionen kamen sofort. „Verarsche“, „Schande“ oder „Märchenstunde“ hieß es in den sozialen Netzwerken nach dem zwölften Saisonrennen in Brands Hatch. Die DTM unter dem Beschuss der Fans. Der Grund? Die Audi-Stallorder. Beziehungsweise der Nicht-Angriffspakt zwischen Tabellenführer René Rast und Nico Müller.
Man muss klar sagen: Dass Audi die Qualifying-Dominanz mit acht Autos auf den ersten acht Startplätzen ausspielt, ist nachvollziehbar. Und damit auch, dass man Müller von Startplatz sechs nach vorne durchwinkt. Geschenkt.
Nicht nachvollziehbar
Dass dann aber Müller einem Zweikampf mit Rast aus dem Weg geht, ist nicht nachvollziehbar. Immerhin sind das im Titelrennen der Spitzenreiter und der erste Verfolger. Mehr geht eigentlich nicht. Leider nur auf dem Papier.
Müller hatte nach einem verpatzten Boxenstopp einen Rückstand von mehr als drei auf bis zu 0,2 Sekunden zugefahren, griff dann aber in der finalen Phase des Rennens nicht an, nutzte auch DRS kaum, den Überholknopf Push-to-Pass, der kurzfristig 30 PS zusätzlich bringt, gar nicht.
Audis Motorsportchef Dieter Gass machte keinen Hehl daraus, dass man kein Risiko eingehen wollte: «Dass wir unsere beiden Titelkandidaten nicht in einen Fight schicken kurz vor Schluss, ist klar.»
Für Audi zweifellos, für die Zuschauer weniger.
Push-to-Pass sei ein anderes Thema, so Gass. Denn die Motorenzuverlässigkeit ist in dieser Saison aufgrund der neuen Vierzylinder-Turbos kritischer als früher. «Deshalb gilt die Maßgabe, es nur dann zu nutzen, wenn man es wirklich braucht. Gegen den eigenen Teamkollegen wäre es eine Verschwendung.» Kann man auch anders sehen.
Müller räumte ein, konservativ gewesen zu sein. Man müsse in solch einer Situation sowieso sensibel sein, sagte er: «Wenn ich deutlich schneller gewesen wäre, hätte ich die Chance ergriffen. Aber wir haben viel Zeit beim Boxenstopp verloren. Das musste ich erstmal zufahren. Dabei habe ich dieses kleine Extra, was man hier braucht, verschossen. Ein Angriff wäre eine Harakiri-Aktion gewesen. Wenn das Risiko zu hoch ist, sollte man das in der Situation lassen.»
Kein Ausrufezeichen
Anstatt ein Ausrufezeichen zu setzen und den Rückstand zu verkürzen, liegt er also vor den letzten sechs Rennen der Saison 37 Punkte hinter Rast.
Müllers Abt-Sportdirektor Thomas Biermaier spielte ebenfalls auf das Risiko an, nannte als Beispiel den Norisring, als es zur Kollision zwischen Rast und Müller kam. «Wir möchten gewinnen, aber man muss aufpassen, denn man möchte keinen Zweikampf haben, bei dem beide im Kiesbett liegen.»
Er gibt zu: «Ein fader Beigeschmack von außen ist verständlich. Aber man muss verstehen, dass man das Risiko dann nicht so eingeht.»
Keine Frage ist: Stallorder ist in der DTM ein sensibles Thema. Schon immer gewesen, weil schon immer praktiziert. Die Fragen waren stets: Wie extrem macht man es? Wie früh in der Saison fängt man damit an? Und wie kommuniziert man es? Oft wurde die Praxis unter den Teppich gekehrt, um den heißen Brei geredet, schlicht gelogen.
Konservative Klüngeleien
Die Krux: Dem Fan ist es vollkommen egal, ob Audi im Titelkampf kein großes Risiko eingehen will. Der will echtes und hartes Racing sehen, keine konservativen Klüngeleien.
Sat.1-Experte Timo Scheider hatte das Stallorder-Thema im Vorfeld des Rennwochenendes in seiner ran-Kolumne bereits angeschnitten, hatte erklärt, dass Priorisierungen bereits jetzt stattfänden.
Auch nach dem Rennen fand er klare Worte. Vor allem monierte er, dass man es nicht klar genug kommuniziere. Und: «Nico war schneller, er hätte es probieren können, hat es aber nicht, weil er nicht durfte. Wenn wir aber schon so weit sind, dass der Erste nicht mehr gegen den Zweiten kämpft, ist das schlicht langweilig. Die verkaufen uns freies Racing, und das ist es nicht.»
Das merkt vor allem der Fan. Und um den geht es am Ende. Leider wird das in der DTM manchmal vergessen.