DTM-Finale: Wenn der smarte Schwiegersohn ausrastet
Nico Müller
Zuletzt in Zolder zeigte Nico Müller mal seine andere Seite. Sie kommt selten durch, in der Regel hat sich der smarte Schweizer im Griff, ist eloquent, freundlich und zuvorkommend. Typ perfekter Schwiegersohn.
Als ihm Audi-Markenkollege Jamie Green das Leben auf der Strecke schwer machte, äußerte Müller über Funk allerdings seinen Unmut über das Fahrverhalten des Briten, das böse F-Wort war auch dabei.
«Das passiert bei Nico nicht oft, aber wenn ihm etwas nicht passt, dann sagt er es auch», weiß Thomas Biermaier, Chef des Audi Sport Team Abt Sportsline, für das Müller seit 2016 in der DTM an den Start geht.
Auch Kumpel Robin Frijns weiß, dass solche Tiraden eher die Ausnahme sind. Frijns beschreibt Müller als «sehr korrekt, immer pünktlich. Das ist wohl eine typische Schweizer Eigenschaft. Er bleibt auch fast immer gelassen, flippt nahezu nie aus, auch wenn er dazu einen Anlass hätte. Da ist er anders als ich. Die Situation mit dem Funk in Zolder war da wohl eher eine Ausnahme, das war eher untypisch.»
Frijns über seinen Abt-Teamkollegen: «Er hat einen recht trockenen Humor, was er vielleicht ein bisschen von mir gelernt hat. Es braucht eine Weile, aber wenn man ihn kennt, kann man wirklich Spaß mit ihm haben!»
Keinen Spaß verstand Müller aber nicht nur mit Green, sondern auch mit Harrison Newey, der ihm im Weg stand, oder aber mit der Rennleitung, die er wegen einer Safety-Car-Entscheidung anpampte. Den smarten Schwiegersohn sah man zuletzt in Zolder seltener als sonst.
Keine Frage: Man merkt, dass der Titelkampf in die finale Phase geht, und nachdem Müller die ganze Saison über die Gesamtwertung anführte, hat er sie in Zolder an René Rast verloren, der jetzt mit 19 Punkten Vorsprung in die letzten beiden Rennen geht. Müller sieht seine Felle davonschwimmen. «Es läuft alles gegen uns», haderte er.
Es ist das zweite Jahr in Folge, dass sich Müller im Titelkampf befindet. 2019 verlor er die Meisterschaft frühzeitig gegen Rast, Fehler am Nürburgring brachten ihn um die noch verbliebenen Titelchancen: Frühstart am Samstag, verpatztes Qualifying am Sonntag. «Aber auch dann setzt er sich hin, analysiert, und versucht, daraus zu lernen», weiß sein Teamchef.
Frijns bestätigt: «Er verbringt sehr viel Zeit vor dem Computer, während ich mir diese Kurven und Grafiken nie länger als eine Stunde ansehen kann.»
Gut möglich aber, dass es erneut nicht reicht für den ganz großen Wurf.
«All in» ist deshalb das Motto Müllers für das Finale. Helfen könnte ihm dabei Frijns, der als Dritter zwar auch noch rechnerische Chancen auf den Titel hat, 41 Punkte Rückstand bei 56 noch möglichen Zählern sind dann aber doch sehr viel.
Aus eigener Kraft kann keiner der beiden Kandidaten ausreichend Punkte gutmachen, nur 16 sind bei voller Ausbeute in den beiden Hockenheim-Rennen gegenüber dem theoretisch jeweils Zweitplatzierten maximal möglich. Als Duo jedoch, ließe sich das Blatt durchaus aus eigener Kraft wenden – etwa, wenn die «Äbte» jeweils die beiden Top-Platzierungen in Qualifyings und Rennen sichern und Müller dabei jeweils den Spitzenplatz einnimmt.
«Ich glaube, es hat auch etwas Positives. Es gibt nur eine Richtung. Man kann voll angreifen und einfach alles geben, um das Ding nochmal umzudrehen», so Müller. «Das wird nicht einfach, aber wir haben noch eine sehr gute Chance. Zwei starken Leistungen, wie wir sie sechs der acht DTM-Wochenenden abliefern konnten, werden uns sicherlich noch einmal in die Lage bringen, René stark unter Druck zu setzen. Und bei einem Finale kann alles passieren.»
Und wie schlimm wäre es, wenn es dann doch nicht klappt?
Müller: «Solche Gedanken macht man sich im Moment nicht. Man fokussiert sich nur auf das große Ziel. Ich hoffe, ich muss darauf keine Antwort geben.»