Leben für den Norisring: Zum Tod von Gernot Leistner
Der Name Gernot Leistner ist mit der Geschichte des Norisrings so eng verbunden wie die Rennstrecke selbst mit der Stadt Nürnberg. Wie die Familie erst jetzt mit vierwöchiger Verspätung bekanntgab, ist «Mister Norisring» bereits am 29. September 2021 im Alter von 87 Jahren nach längerer Krankheit verstorben. Als einer der langjährigen Wegbegleiter blicke ich wehmütig zurück auf seine einmalige Laufbahn als Rennleiter, Organisationschef und Vorstand des Norisring-Veranstalters MCN.
Kein anderer Rennleiter in Europa hat die Geschicke eines Rennens und einer Rennstrecke so geprägt wie Gernot Leistner. Bis 2011 liefen alle Fäden des Nürnberger Traditionsrennens bei ihm zusammen. Zwar hatte der große Macher und Manager den Kommando-Stand schon drei Jahren zuvor auf eigenen Wunsch endgültig verlassen, «um einer jüngeren Generation Platz zu machen», aber übergangsweise blieb er den «200 Meilen von Nürnberg» noch als Ratgeber erhalten. Sein Name aber wird über den Tod hinaus für alle Zeiten mit dem Norisring verbunden bleiben.
55 Jahre lang war Gernot der uneingeschränkte Herrscher an der Noris, 51 Mal in Folge war er Rennleiter. Gern erinnert er sich an die große Zeit der Sportwagen auf seinem Norisring, Ferrari und Porsche, Lola und Lotus, Alfa und Abarth, McLaren und March, BMW und BRM versammelten sich ab Mitte der 60er Jahre bis 1989 regelmäßig auf der Stadtrennstrecke. Aber es gab auch einen Tiefpunkt, als 1971 Pedro Rodriguez in einem Ferrari 512 M am Ende der langen Gegengeraden tödlich verunglückte. «Das war unser schlimmstes Erlebnis», hat mir Gernot mal mit belegter Stimme gesagt, «wir waren damals tagelang alle wie gelähmt. Ich hatte einen Freund verloren und die Zukunft der Rennstrecke stand plötzlich auf dem Prüfstand. Lange Zeit blieb völlig unklar, ob es unser Rennen überhaupt noch mal geben würde.»
Logische Konsequenz aus dem Rodriguez-Unfall war ein radikales Umdenken in Sachen Sicherheit. Der Kurs wurde durch Wegfall der beiden langen Geraden entschärft und mit dem Wendepunkt am Grundig-Haus auf überschaubare 2.3 km eingekürzt. Der Norisring war damit gerettet, und die Sportwagen donnerten noch bis 1989 an den Steintribünen vorbei, bevor diese Ära endgültig zu Ende ging und durch die DTM mit ihren Rahmenrennen ersetzt wurde.
Gernot Leistner und sein Lebenswerk Norisring – was er und seine treuen Weggefährten im Laufe von mehr als 50 Jahren geschaffen haben, hat längst in den Geschichtsbüchern des deutschen und internationalen Motorsports seinen Platz gefunden. Unter Leistner und seiner Mannschaft wurde der Norisring zu einer Kult-Veranstaltung in Deutschland, vergleichbar mit Monaco und seinem F1-GP. Nur das in Nürnberg alles viel unkomplizierter und menschlicher war, Verträge noch per Handschlag abgeschlossen und Probleme höchst unkompliziert gelöst wurden.
Als ganz besonderer Clou galt zwischen 1970 und 1980 der berühmte Porsche-Parkplatz auf dem Zeppelinfeld hinter der Rennstrecke. Als Prokurist, Verkaufsleiter und Geschäftsführer des Porsche Zentrums Nürnberg ließ der clevere Leistner alle im Porsche anreisenden Besucher schon im Vorfeld kanalisieren und auf die Wiese der US-Army lotsen. Bis zu 1.500 Porsches aller möglichen Typen und Farben gaben so ein grandioses Marketing-Bild ab. «Für unsere Porsche-Besucher haben wir auch das erste Verpflegungszelt aufgebaut. Die Bewirtung war einfach und preiswert - Brot, Butter, Käse, Wurst und Bier.»
Seit der hochdekorierte Ex-Rennleiter Ehrenpräsident des Norisring-Veranstalterclubs MCN war, gab es alljährlich zum Rennen eine «Leistner Lounge» oberhalb der Boxenanlage. Eingeladen waren jeweils gute Freunde und langjährige Wegbegleiter, die der Club großzügig bewirtete. So sehr sich Gernot auch über seine ungebrochene Popularität freute und sie auch genoss – es wurde für ihn immer anstrengender, alte Freunde zu begrüßen und sich mit ihnen zu unterhalten. Man merkte ihm von Jahr zu Jahr immer mehr an, wieviel Kraft ihn die fortschreitende Krankheit kostete. Sein letzter Besuch in seiner «Leistner Lounge» war 2019.
Mit viel Liebe und Aufopferung umsorgte seine Monika ihn in den letzten schweren Jahren und Monaten. Sie war fast 40 Jahre die Frau an seiner Seite, sie sorgte für alles, vor allem dafür, dass es ihrem Gernot immer gut ging. Beiläufig sei noch erwähnt, dass er 1997 für seine Verdienste vom damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet wurde und von der Stadt Nürnberg erhielt er die Bürgermedaille.
Nie werde ich zwei Momente mit Gernot Leistner vergessen. Einmal, als er mich Anfang Juli 1964 als neuen Streckensprecher am Norisring mit der ihm eigenen Herzlichkeit begrüßt hat und mir die Chance gab, als junger Berufsstarter mit 24 Jahren eines der wichtigsten deutschen Rennen zu kommentieren. Immerhin bin ich fast 40 Jahre an Bord geblieben. Den zweiten Moment 55 Jahre später empfand ich als eher traurig, als er mir bei unserem letzten Zusammentreffen 2019 in seiner Leistner-Lounge nochmal fest die Hand gedrückt und „Danke für alles“ gesagt. Da war er schon sehr geschwächt und ich bin seitdem nie das Gefühl losgeworden, dass dies schon eine Art Abschied war.
Mach’s gut Gernot, du warst uns allen ein lieber Freund und hast der Motorsportwelt jedes Jahr das schönste Rennen mit der besten Atmosphäre beschert.