6h Silverstone: Analyse des ersten FIA-WEC-Rennens
José María López fügte den Toyota TS050 Hybrid ordentliche Blessuren zu
Am Abend des 6-Stunden-Rennens in Silverstone traft sich SPEEDWEEK.com noch kurz mit Fritz Enzinger (dem Leiter LMP1 bei Porsche). Und trotz einer knappen Niederlage im Rennen, legte der Österreicher sein für ihn so typisches Strahlen auf. «Da haben wir mit unserer Strategie doch alles richtig gemacht», freute er sich über das Ergebnis beim FIA-WEC-Saisonauftakt. Eigentlich wollte Porsche das Rennen ja 'herschenken', da das Aero-Paket für Le Mans auf die beiden 919 Hybrid geschraubt wurde. «Wir haben jetzt noch viele Monate Zeit, das Hi-Downforce-Kit fertig zu entwickeln und können ab dem Rennen am Nürburgring dann damit voll angreifen», erklärt Enzinger, dessen Team durch den Ausfall des zweiten Toyotas sogar mit 6,5 Punkten Vorsprung in der Hersteller-WM aus England abreiste. Wahrhaftig: Alles richtig gemacht.
Was Enzinger aber ebenfalls erquickte, war die im Rennen gezeigte Performance seiner beiden LMP1-Wagen. Denn trotz falscher Aero zeigten sich die 919 den beiden Toyota TS050 im Renntrimm ebenbürtig. Das macht Porsche-intern natürlich Mut für die beiden anstehenden Rennen in Spa-Francorchamps und Le Mans, wo die Weissacher in einer für die jeweilige Strecke passenden Karosserie Variante auflaufen werden.
Toyota hätte sich im Rennen beinahe selbst geschlagen. Natürlich büßte der am Ende siegreiche Wagen von Sébastien Buemi, Anthony Davidson und Kazuki Nakajima viel Zeit in der Safety-Car-Phase ein. Doch mit etwas mehr als sechs Sekunden war der Vorsprung nach sechs Rennstunden jedoch recht knapp. Mit verantwortlich dafür zeigte sich auch die Leistung in der Box. «Da haben die Porsche-Jungs über den Winter ordentlich nachgelegt. Das hat uns etwas überrascht», meint ein Toyota-Fahrer nach dem Rennen. Für die Rennentscheidung zugunsten der Japaner sorgte am Ende der Komandostand. Denn während des kurzen Schauers zu Rennmitte wurden die beiden TS050 Hybrid (im Gegensatz zu den Porsche) mit Slicks auf der Strecke gelassen. Die riskante Strategie zahlte sich letztendlich aus, da es schnell wieder abtrocknete. Dennoch: Dass Toyota überhaupt das Risiko eingehen musste, um am Ende oben zu stehen, konnte nach den Leistungen aus den freien Trainings und der Qualifikation absolut nicht erwartet werden.
Der Ausritt von Sportwagen-Neuling José María López hatte einige fragende Blicke (oder auch sich selbst bestätigende Gesichter) im Paddock hinterlassen. Der dreimalige Tourenwagen-Weltmeister hatte gerade seine dritte Rennrunde als Toyota-Werksfahrer absolviert, bevor er den TS050 Hybrid in die Reifenstapel schmiss und das Rennen nicht nur für sich, sondern auch für Mike Conway und Kamui Kobayashi wegwarf. «Ja, natürlich hatte der Wagen zu dem Zeitpunkt einen kaputten Stabi, doch es war tatsächlich ein Fahrfehler», war ein Toyota-Mann gegenüber SPEEDWEEK.com offen.
Der Vorfall beweist, dass gerade im LMP1-Bereich Erfahrung durch nichts wett zu machen ist. Da kann ein südamerikansicher Heißsporn noch so gute Rad-an-Rad-Duelle in der WTCC geleistet haben; auf der Langstrecke sind neben dem puren Speed aber auch noch andere Qualitäten gefragt.
In der GTE Pro hatte Ford das Rennen ganz klar dominiert. Und hätte der Wagen um Stefan Mücke in der Safety-Car-Phase nicht seinen ganze Vorsprung eingebüßt, wäre wohl sogar ein Doppelsieg für die amerikanischen Wagen herausgesprungen. Der parallel zur Serienentwicklung entstandene Rennwagen ist schon vom Konzept her das beste Auto in der Klasse. Da beim nächsten Rennen in Spa-Francorchamps (6. Mai) mit der selben BoP gefahren wird wie in Silverstone (und in Le Mans der Ford GT sowieso unschlagbar ist), wird sich an der Klassen-Spitze bis Mitte des Sommers auf jeden Fall nichts groß ändern. Ob dann die neue Computer-BoP ab dem Nürburgring (16. Juli) einen engeren Wettbewerb bescheren wird, bleibt abzuwarten. Letztendlich zeigt sich die Rangfolge in der GTE wie folgt: Ford (dann lange nichts), dann Porsche, Ferrari und Aston Martin.
Ach ja, dann war da ja noch der Auftritt von WEC-Boss Gérard Neveu. Der charismatische Franzose hatte für Samstagmorgen einen auserwählten Journalisten-Kreis zu einem Saisonauftaktfrühstück eingeladen. Natürlich hatten sich eine stattliche Anzahl von Schreiberlingen noch bei Dunkelheit auf den Weg in Richtung Strecke gemacht, um der Audienz beizuwohnen. Als ca. 45 Minuten nach Beginn des Termins Neveu jedoch immer noch nicht aufgekreuzt war, leerten sich die Stühle der WEC-Hospitality wieder. Wie es heißt, war der gute Herr tatsächlich irgendwann noch erschienen, doch eines ist gewiss: Um eine WM wie die FIA WEC anzuführen, sind neben großen Worten ab zu zu auch Umgangsformen gefragt.