Neue Formel-1-Ära: Vermeintliche Fan-Nähe
Eine sogenannte Presserunde: Wer Glück hat, versteht was
Zu abgehoben, zu kompliziert und zu teuer – die Formel 1 wurde in den letzten Jahren oft und in vielerlei Hinsicht kritisiert. Die Statistik beweist, dass Handlungsbedarf besteht: Im vergangenen Jahr sanken die TV-Zuschauerzahlen zum sechsten Mal in Folge.
Weltweit schalteten 10 Millionen Fans weniger ein, wenn die GP-Stars um WM-Punkte kämpften. Der Blick auf die spärlich besetzte Haupttribüne am Circuit de Barcelona-Catalunya, auf dem die Teams ihre Vorsaison-Testfahrten absolvieren, bestätigt den Negativ-Trend.
Kein Wunder wollen die neuen Machthaber der Königsklasse neue Wege gehen, um den GP-Sport wieder an den Mensch zu bringen. Als erste Massnahme wurde den Teams die Veröffentlichung kurzer Videos aus dem Fahrerlager und der Boxengasse in den sozialen Medien erlaubt. Bisher durften nur die Lizenznehmer, die teures Geld dafür bezahlt haben, solche Aufnahmen publizieren.
Die Lockerung der Regeln ist zu begrüssen, vor allem, weil die Teams rege von ihrer neuen Freiheit Gebrauch machen. Sie selbst geben sich aber zugeknöpfter denn je. In der Boxengasse wurden in der ersten Woche die GP-Renner mit hohen Stellwänden und im Notfall auch durch die Mechaniker selbst vor neugierigen Blicken geschützt – wohlwissend, dass die Konkurrenz gleich nach der ersten Ausfahrt über alle nötigen Bilder der gegnerischen Renner verfügte. Hinzu kommt, dass die Fotografen und Journalisten aus dem Pressezentrum über den Boxen einen freien Blick auf das Geschehen hinter den Stellwänden genossen.
«Wir machen uns da vielleicht etwas lächerlich», räumte Haas-F1-Teamchef Günther Steiner auch ein, als er auf das Stellwand-Ballett der Spitzenreiter-Teams angesprochen wurde, das offensichtlich nur einen Effekt hatte: Die wahren Stars der diesjährigen Saison – die neuen Formel-1-Autos – wurden vor den wenigen treuen Zaungästen versteckt. Fan-Nähe geht anders.
Und damit nicht genug: Nicht nur die Autos werden abgeschirmt, auch die GP-Stars sind kaum zu sehen. Zahlreiche Teams beschränken die sogenannten Presserunden, die diese Bezeichnung längst nicht mehr verdienen, auf kurze TV-Auftritte hinter der Box.
Die schreibende Gilde wird im besten Fall als Zuhörer geduldet. Wer Glück hat schafft es, die kurzen Wortspenden der Formel-1-Fahrer mitzubekommen. Oft ist das Gedränge aber so gross, dass nur die Journalisten in den ersten beiden Reihen verstehen, was die Helden des Volants in die Mikrofone flüstern.
Wer in der Menschentraube weiter hinten steht, hat Pech und ist auf die Gnade der Pressesprecher angewiesen, die jedes Wort ihrer Schützlinge zwar aufnehmen, diese Bänder aber oft nur widerwillig und erst nach mehrmaliger Bitte herausrücken. Speziell enttäuschend ist, dass ausgerechnet die Spitzenreiter des Feldes in Sachen Medienarbeit so gar keinen weltmeisterlichen Eindruck hinterlassen.
Gerade sie müssten wissen, dass die Formel 1 kein Sport ist, dessen Faszination in kurzen Video-Clips vermittelt werden kann. Wer die Medien aussperrt und glaubt, deren Rolle durch direkte Kommunikation zu den Liebhabern des GP-Sports übernehmen zu können, hat den Wert des unabhängigen Blicks auf das Geschehen nicht begriffen. Die GP-Fans sind nicht dumm. Sie merken durchaus, wenn man sie nur mit Informationen aus den PR-Abteilungen abspeist – und schalten ab.