Interview Max Verstappen: Der Mensch unter dem Helm
Max Verstappen
Jüngster Formel-1-Pilot der Geschichte, Jüngster auf dem Podest, jüngster Sieger und so weiter. Der Niederländer Max Verstappen (20) zertrümmert Rekord um Rekord. Sein Vater Jos Verstappen, selbst Formel-1-Rennfahrer, hat seinen Sohn gezielt auf diese Aufgabe vorbereitet: Zeig der Welt, dass du besser bist als der Rest! Wie funktioniert einer, der schon als Teenager Champions verzweifeln ließ und sich bei Tempo 330 genüsslich mit den Arrivierten anlegt? Was steckt für ein Mensch unter dem Helm? THE RED BULLETIN hat sich mit dem Niederländer unterhalten.
Du hast einmal gesagt, du bist nicht in der Formel 1, um dir Freunde zu machen.
Jeder, der es bis in die Formel 1 schafft, will gewinnen. Wenn du am Weg dorthin Freunde unter den Fahrern findest – fein. Man verbringt ja auch viel Zeit gemeinsam in den kleineren Kategorien. Aber nicht alle schaffen es bis nach oben, und natürlich gibt es Konkurrenz.
Wie viele gute Freunde hast du?
Vielleicht zehn.
Und wie viele dieser zehn haben einen Rennhintergrund?
Etwa die Hälfte.
Zählst du aktuelle Formel-1-Fahrer zu deinen Freunden?
Nicht zum engsten Freundeskreis. Aber mit Pierre Gasly, Stoffel Vandoorne oder Brendon Hartley bin ich in freundschaftlichem Kontakt. Wir senden einander regelmäßig WhatsApp-Nachrichten.
Wenn dich ein Freund im Rennauto schlägt: Wie reagierst du?
Ich unternehme alles, damit ich beim nächsten Mal schneller bin. Klar kann ich mich für ihn freuen, aber niemand verliert gern. Mein Job ist es, Rennen zu gewinnen und alles zu unternehmen, um dieses Ziel auch tatsächlich zu erreichen.
Haben dich Freunde besiegt?
Ist passiert, aber nicht allzu oft. Ich erinnere mich an ein Kart-Wochenende, wo ein Freund von mir das erste Rennen gewonnen hat, obwohl ich mich als den Schnelleren von uns beiden gesehen habe. Für mich war das die Extra-Motivation, die ich gebraucht habe, um die beiden restlichen Rennen zu gewinnen.
Wo dürfte ich dich überholen?
Auf der Straße.
Auf der Kart-Bahn?
Nein.
Was dürfen Freunde, was andere Menschen nicht dürfen?
Das Gespräch ist persönlicher. Und sie können mir selbstverständlich ihre Meinung sagen.
Viele Menschen würden gern einen Formel-1- Fahrer in ihrem Freundeskreis haben. Wie entscheidest du, wer wie nahe an dich ran darf?
Meine engen Freunde kenne ich ohnehin. Wenn ich jemand Neuen kennenlerne, verlasse ich mich auf mein Gespür. Ich bin einfach ich selbst.
Gibt es in der Formel 1 Fairness?
Das Leben ist generell nicht immer fair. Man kann das nicht auf die Formel 1 beschränken. Ich stehe aber auf dem Standpunkt, dass sich auf lange Sicht alles ausgleicht.
Wie reagierst du, wenn du das Gefühl hast, unfair behandelt worden zu sein?
Idealerweise bleibst du ruhig und sprichst das Thema an. Aber es hängt auch immer vom konkreten Anlass ab. Gerade als Rennfahrer kommst du ständig in Situationen, wo du dich unfair behandelt fühlst. Mit den Jahren wird es leichter, da ruhig zu bleiben.
Du bist erst 20 Jahre alt.
Ja, aber ich habe 14, 15 Jahre Erfahrung mit fair/unfair. So lange fahre ich schon Rennen.
Und im normalen Leben?
Sagen wir, jemand verschafft sich einen unfairen Vorteil. Drängelt sich beim Security-Check am Flughafen vor, so was in der Art… Selbstverständlich schicke ich ihn wieder zurück an seinen Platz und bitte ihn, zu warten wie alle anderen auch. Es sei denn natürlich, er hat einen guten Grund, dass er sich vordrängt.
Dein ehemaliger Teamchef Franz Tost von Toro Rosso sagt: «Formel-1-Fahrer müssen Egoisten sein. Alles andere als sie selbst darf sie gar nicht interessieren.» Stimmt das?
Wenn du Erfolg haben willst, musst du deinen Platz behaupten, ganz klar. Und nicht jeder wird dich ausschließlich lieben dafür. Ohne Egoismus gibt es keinen Erfolg.
Schafft man es ohne Egoismus überhaupt in die Formel 1?
Tausende Rennfahrer weltweit wollen dorthin, und es gibt nur 20 Plätze. Ich würde das nicht auf die Formel 1 beschränken. Egal wo: Wenn du der Beste sein willst, wenn du die anderen schlagen willst, darfst du dir nicht ihre Köpfe zerbrechen. Nimm Fußball: Der Trainer stellt nur einen Stürmer auf, und das willst natürlich du sein. Du verzichtest nicht auf dein Trikot und gibst es einem Kollegen, weil er dir leidtut. So funktioniert das nicht.
Wo endet gesunder Egoismus, und wo fangen schlechte Manieren an?
Wenn du mit dem Team zu Abend isst und nicht alle haben ihre Teller bekommen: Beginnst du trotzdem zu essen? Mich stört nicht, wenn jemand früher beginnt. Ist doch besser, wenn jeder zu essen beginnt, bevor sein Essen kalt wird. Ich finde nicht, dass man schlechte Manieren darauf reduzieren kann. Man fragt, ob es okay ist, wenn man schon beginnt, und damit hat es sich.
Wenn du mit den Mechanikern isst: Bist du der Chef am Tisch?
Nein, ich bin bloß einer der Jungs. Da gibt’s auch keinen Wortführer oder so. Das geht reihum.
Wie würdest du dein Verhältnis zu ihnen beschreiben?
Sie leben den Sport so leidenschaftlich wie ich. Das verbindet. Sie unternehmen alles, damit ich ein schnelles Auto habe und wir gewinnen. Und wenn wir nicht gewinnen, stehen wir das gemeinsam durch. Auch schlechte Zeiten schweißen zusammen.
Im Grunde bist du ihr Boss. Immerhin bist du der, der 300 km/h schnell fährt, und nicht sie.
Sie geben mir das Auto, um 300 km/h schnell zu fahren. Ohne ihre Arbeit kann ich das nicht. Da ist wechselseitiger Respekt vor der Arbeit des anderen.
Wie reagierst du, wenn du merkst, dass jemand besonders fehleranfällig ist?
Fehler gehören zum Geschäft. Jeder macht Fehler. Ich mache Fehler. Ich zerstöre ein Auto. Beklagen sich die Mechaniker? Nein. Du versuchst gemeinsam, wieder aufzustehen, das Auto fit zu kriegen und wieder auf die Strecke zu gehen.
Mit 80 Prozent Leistung hast du in der Formel 1 nichts verloren. Einverstanden?
Mit 80 Prozent hast du nirgendwo etwas verloren. Du musst immer 100 Prozent geben. Außer vielleicht, dein Auto ist so gut, dein Team so perfekt, dass ausnahmsweise 99 Prozent reichen.
Wie bedankst du dich beim Team?
Mit Resultaten. Wir alle leben in der Formel 1, weil wir gewinnen wollen. Zum letzten Saisonabschluss machte ich ein Buch für die Jungs, um uns alle daran zu erinnern, was wir gemeinsam durchgestanden hatten. Ich gebe ihnen Modellautos. Kleine Aufmerksamkeiten, die helfen.
Stimmt der Eindruck, dass dir völlig egal ist, wie dich die Umwelt sieht?
Die Formulierung ist zu stark. Ich muss mich auf mich selbst konzentrieren, und das geht eben am besten, wenn ich neutral bleibe.
100.000 Italiener buhen dich in Monza aus. Das lässt dich kalt?
Ich gebe die Antwort auf der Strecke. Ich kenne meinen Job und lasse mich nicht ablenken.
Ich würde ausflippen.
Ganz so leicht lasse ich mich nicht aus der Ruhe bringen.
Genießt du es, exponiert zu sein?
Das gehört zum Job.
Ich stelle dich mit einer Gitarre in ein ausverkauftes Stadion.
Keine gute Idee. Ich kann nicht Gitarre spielen, und dann noch vor so vielen Menschen… Da wäre ich höllisch nervös – genau wie ich auf einem MotoGP-Bike verdammt langsam wäre. Selbstvertrauen kommt vom Wissen um deine eigenen Fähigkeiten. Vor Millionen TV-Zusehern im Rennauto: kein Problem. Das kann ich, das ist mein Leben. Eine Ansprache vor der kompletten Belegschaft von Red Bull Racing in Milton Keynes halten: kein Problem. Da weiß ich, worüber ich rede.
Du wurdest oft in deinem ureigenen Terrain kritisiert, nämlich für zu harten Fahrstil. Trifft dich das?
Natürlich habe ich diese Kommentare gelesen. Aber das war hauptsächlich in den Jahren 2015 und 2016. Seither ist viel Zeit vergangen.
Das komplette Gespräch finden Sie in der jüngsten Ausgabe von THE RED BULLETIN, einem internationalen Magazin, das Monat für Monat atemberaubende Stories aus der Welt rund um Red Bull erzählt.