Umbau Hockenheim: Eine Kastration als Notlösung
In loser Reihenfolge gehen wir in Form von «SPEEDWEEKipedia» auf Fragen unserer Leser ein. Dieses Mal will Peter-Paul Berger aus Olten wissen: «Es tut mir leid, ich kann es nicht anders sagen – der Hockenheimring ist beim Umbau kastriert worden. Ich finde es schade, dass wir die tollen Waldgeraden nicht mehr haben und die atemraubende Ostkurve. Wieso war das alles eigentlich nötig?»
Die brasilianische Rennlegende Ayrton Senna hat die Waldgeraden von Hockenheim geliebt. Zu McLaren-Zeiten schwärmte der dreifache Champion: «Es gibt keinen Ort, wo du dich in deinem Rennauto wohler fühlst. Du bist ganz alleine in diesem Wald, du riechst die frische Luft. Dann tauchst du aus dieser grünen Leere ins prallvolle Motodrom ein – das ist ein unfassbares Gefühl.»
Leider ist dieses Gefühl verloren gegangen, denn zu Beginn des neuen Jahrtausends schien diese Pistenführung nicht mehr zeitgemäss. Der damalige Formel-1-Promoter Bernie Ecclestone fand: Wenn die Autos so viel Zeit im Wald verbringen und nur selten im Motodrom zu sehen sind, das sei für die Fans zu wenig attraktiv. Der Brite wollte, dass die Rennwagen im Fernsehen 67 Mal an den Werbeplakaten vorbeifahren und nicht nur 45 Mal.
Ergebnis: Flora und Fauna erhielten ihren Hardtwald zurück, die nördliche Waldgerade wurde komplett renaturiert, nur aus der Luft ist der Pistenverlauf noch zu erkennen. Die südliche Gerade ist zum Forstweg geworden.
Die Umbauten stiessen bei Fans und Fahrern grossteils auf Ablehnung, die Piste war noch zwei Drittel lang. Viele zeigten damals mit dem Finger auf Formel-1-Rennstreckenarchitekt Hermann Tilke – zu Unrecht. Denn der Olpener sagt: «Der Hockenheimring hatte etwas ganz Besonderes, das Layout war einzigartig, also wollten wir so viel wie möglich von der alten Strecke behalten. Die ursprüngliche Idee war daher, die bestehende Strecke gemäss der aktuellen Sicherheitsbedingungen breiter zu machen, die originale Länge aber zu behalten. Die Einschränkungen waren zu diesem Zeitpunkt nicht ganz klar, und die Idee erwies sich letztlich zu meinem grossen Bedauern als undurchführbar.»
Eines der grössten Hindernisse bestand darin, dass kaum Bäume abgeholzt werden durften und die umzäunten Baumsektionen mit dem anschliessenden Wald hätten verbunden werden müssen. Zudem mussten die Bauarbeiten zwischen den Rennen 2001 und 2002 abgeschlossen sein, was einen immensen Zeitdruck erzeugte. Nochmals Hermann Tilke: «Der neue Kursverlauf resultierte aus dem Auftrag, etwas Neues am alten Schauplatz zu bauen, ohne die existierenden Wälder zu reduzieren und gleichzeitig eine phantastische Strecke zu bauen, die Fahrer und Besucher gleichermassen zufriedenstellt.»
Ebenfalls im Pflichtenheft: Einfachere Nutzung der Rennanlage und Raum für mehr Zuschauer. Hermann Tilke: «Durch das neue Layout bauten wir eine neue Tribüne, von der aus man 90 Prozent der neuen Sektion einsehen kann, mit fantastischer Sicht auf die Parabolika, die Haarnadel und die Schikane. Im Vergleich zum Originaldesign sind 37.000 zusätzliche Plätze entstanden.»