Sauber vor Alfa Romeo: Wiederholt Ärger mit Partnern
In Italien wird gejubelt: Alfa Romeo ist offiziell wieder in der Formel 1 und tritt 2019 mit einem eigenen Rennstall an, erstmals seit 1985. In der allgemeinen Euphorie wird unter den Teppick gekehrt, dass Sauber drin ist, wo Alfa draufsteht – der Rennwagen der Mailänder ist ein Rennwagen der Hinwiler, das Auto wird von Sauber gebaut. Das war 1985 ein wenig anders.
Es schmerzt nicht nur Schweizer Rennfans, dass der Name von Peter Sauber aus der Formel 1 verschwindet. Alfa Romeo ist Titelsponsor und Namensgeber, doch kein Teilhaber. Nicht einmal als BMW den Rennstall von Peter Sauber übernahm, wurde der Name Sauber ausradiert. So viel Takt hatten die Münchner dann doch.
Beim Fiat/Chrysler-Konzern (FCA) wird von «einer langjährigen Partnerschaft» gesprochen. Keiner enthüllt, was das in Jahren ausgedrückt heissen soll. Das Beispiel BMW hat bewiesen, dass sich die Dinge sehr schnell ändern können bei einem Autokonzern. Von einem Verkauf an Alfa Romeo ist derzeit nicht die Rede. FCA betont, dass Inhaber und Management des umbenannten Rennstalls die gleichen bleiben sollen. Alfa Romeo geht also einen anderen Weg als etwa Renault oder Mercedes: Renault übernahm Ende 2015 den am Rande des Ruins taumelnden Lotus-Rennstall, um wieder einen Werksrennstall einzusetzen. Mercedes schluckte Ende 2009 das BrawnGP-Team.
Sauber ist in Sachen Partner ein gebranntes Kind. Hochstapler sind in diesem Geschäft regelmässige Fahrerlager-Besucher, und mit Broker, Lighthouse und Qadbak ging man vermeintlichen Geldgebern auf den Leim, deren angebliche Sponsoren- oder Investoren-Millionen sich in Luft auflösten – trotz positiver Expertisen von Firmen, die von Mercedes-Benz und BMW beauftragt worden waren, die angeblich potenten Firmen unter die Lupe zu nehmen. Das Börsenmagazin Broker war ein Fall für die Altpapiersammlung, leider wanderten keine 30 Millionen D-Mark zu Sauber, sondern die Broker-Hintermänner in den Knast. Die Schriftzüge der Finanzfirma Lighthouse verschwanden ebenfalls recht schnell vom Wagen.
Enttäuschung mit BMW
BMW liess Sauber fallen wie eine heissen Kartoffel, weil die Münchner Nachhaltigkeit suchten, wie das der damalige BMW-Chef Norbert Reithofer formulierte. Und dies, obschon sich Rennchef Dr. Mario Theissen mit all seinem Herzblut für eine Fortsetzung des Formel-1-Engagements ausgesprochen hatte, nicht zur Freude des Vorstands.
Mitte September 2009 verkündete BMW, eine in der Schweiz angesiedelte Stiftung namens Qadbak Investments übernehme den Rennstall. In Wahrheit handelte es sich um eine Investmentfirma mit Sitz auf den Jungferninseln. Es kam heraus, dass der Handlungsbevollmächtigte von Qadbak im Gefängnis gesessen hatte, wegen Versicherungsbetrugs. Später wurde klar: BMW hatte das Team nie an Qadbak verkauft, der Rennstall ging zurück an Peter Sauber.
Einen Formel-1-Rennstall in der Schweiz zu betreiben, war von Anfang an «ein vernünftiger Schritt in die Unvernunft», wie Peter Sauber den Schritt als Mercedes-Partner in der Sportwagen-WM in den Grand-Prix-Sport einmal so treffend bezeichnet hat.
Peter Sauber hat 2009 den Rennstall nach drei Jahren von BMW zurückerworben, als die Münchner aus der Formel 1 ausstiegen. Sauber wollte sein Lebenswerk nicht zugrunde gehen sehen. Das zeugt von menschlicher Grösse, auch dafür geniesst der Zürcher in der Schweiz grösste Verehrung. Rennstallgründer Sauber wusste 2009 genau: Es geht nicht nur um mehrere hundert Arbeitsplätze im Hinwiler Rennwagen-Werk, sondern auch um Dutzende kleiner und mittelgrosser Unternehmen im Zürcher Oberland, die am Tropf von Sauber hängen. Wirtschafts-Experten sprechen von mehr als 1000 Arbeitsplätzen.
Kühle Rechner warnten schon 2009: Betriebswirtschaftlich war das (vor dem Hintergrund einer weltweiten Finanzkrise) ein kühner Schritt hinaus auf sehr brüchtiges Eis. Sauber musste von 388 Mitarbeitern auf 260 abbauen. Die finanziellen Hintergründe des Rück-Schrittes BMW zu Sauber sind nie kommuniziert worden.
Wo bleiben die Sponsoren?
Potente Sponsoren waren danach Mangelware bei Sauber. Der malaysische Konzern Petronas wurde von Mercedes abgeworben. Sauber fuhr 2010 mit dem Logo des «Sauber Club One» auf der Motorverkleidung, einem Konzept der Agentur Publicis: Wer anonymes Mitglied in diesem exklusiven Zirkel wurde, erhielt die Vorteile eines Sponsors – vorwiegend zur Kontaktpflege auf den Rennplätzen mit wirtschaftlich Gleichgesinnten. Wie erfolgreich dieses Konzept war, wurde nie bekannt. Bei Sauber wird nicht darüber gesprochen.
Ebenfalls 2010 stellte sich Sauber personell neu auf: Peter Saubers Sohn Alex kam anfangs des Jahres als Marketing-Direktor ins Team und trat in die Geschäftsleitung ein. Das verblüffte Fachleute: Jahrelang hatte Peter Sauber beteuert, seine Söhne hätten kein Interesse an der Formel 1.
Die seit dem Jahr 2000 für Sauber tätige gelernte Anwälting Monisha Kaltenborn wurde zur Geschäftsleiterin ernannt, im Mai 2012 wurden ihr ein Drittel der Anteile am Rennstall übertragen, im Sinne der Kontinuität. Am 11. Oktober 2012 übernahm sie offiziell von Peter Sauber den Posten des Teamchefs.
2011 schien es wirtschaftlich aufwärts zu gehen: dank der Verbindung zur reichsten Familie der Welt. Der Mexikaner Carlos Slim Helú (heute 79 Jahre alt), Herr des Telmex-Imperiums (Telekommunikation), war damals mit einem Vermögen von mehr als 80 Milliarden Dollar einer der reichsten Menschen der Welt. Helús Sohn Carlos Slim Domit (51) untersteht das Rennfahrer-Förderungsprogramm von Telmex. Dank Telmex kam Sergio Pérez für zwei Jahre zu Sauber. Telmex hatte gewiss auch nichts gegen die Verpflichtung von Esteban Gutiérrez für 2013.
Schon bald kursierten Gerüchte, wonach die Mexikaner es mit der Zahlungsmoral nicht so genau nähmen. Einen Beweis für diese Unterstellung gibt es bis heute nicht, es gilt die Unschuldsvermutung. Seitens Sauber ist das Zahlungsverhalten von Telmex nie kommentiert worden, über Verträge oder deren Einhaltung äussert sich das Unternehmen grundsätzlich nicht.
Eine 2012 eingegangene Partnerschaft mit dem Fussballklub FC Chelsea erzeugte im Formel-1-Fahrerlager Verblüffung. Was genau sollte damit bezweckt werden? Monisha Kaltenborn damals: «Fussball und Formel 1 sind wahrscheinlich die zwei populärsten Sportarten weltweit, gemeinsam erreichen wir eine riesige Fangemeinde. Das öffnet für unsere Partner Zugänge zu potenziellen Fans und Kunden, für kommerzielle Aktivitäten. Und wir können auch gemeinsam mit kommerziellen Arrangements an Unternehmen herantreten.»
Wenn der Hintergedanke des Deals darin bestand, Chelsea-Besitzer Roman Abramowitsch (zwölffacher Milliardär) zu einem Einstieg in die Formel 1 zu bewegen, ist leider nie passiert. Und wie viele neue Finanzpartner hat Sauber dank Chelsea gefunden? Eben.
Ein Reinfall war auch die 2013 angekündigte Kooperation mit einer Reihe von russischen Partnern (Investment Corporation International Fund, State Fund of Development of Nortwest Russian Federation sowie National Istitute of Aviation Technologies). Mit deren Hilfe sollte die langfristige Zukunft des einzigen Formel-1-Rennstalls mit Sitz in der Schweiz gesichert werden. Als Gegenzug sollte der junge Russe Sergej Sirotkin aufgebaut werden. Rein optisch war von den angekündigten Partnerschaften aber nie etwas zu sehen. Sponsorenlogos aus Russland? Fehlanzeige. Über die wahren Hintergründe zum Scheitern dieses Bündnisses wurde nie gesprochen.
Ins Leere liefen auch Verhandlungen mit dem steinreichen Lawrence Stroll. Der Kanadier wollte seinen Sprössling Lance mittelfristig in der Formel 1 unterbringen, der talentierte Junge wurde Mitglied der Ferrari-Fahrerakademie. Stroll wollte mehr, Ferrari wollte nicht, Stroll suchte neue Partner, Sauber wollte keine Anteile abgeben, daraufhin zogen Papa und Sohn Stroll zu Williams.
Formel-1-Preisgeld: Im gefährlichen Strudel
In der Formel 1 wird Erfolg belohnt und Misserfolg postwendend bestraft: Sauber schloss die Saison 2010 (das Jahr 1 nach BMW) auf Gesamtrang 8 im Markenpokal ab, 2011 steigerten sich die Schweizer auf Platz 7, 2012 dann auf den sechsten Rang (Mercedes als Fünfte wären sogar in Reichweite gewesen). Gemäss des Preisgeld-Schemas des früheren Formel-1-Promoter Bernie Ecclestone bestand ein Platz besser oder schlechter aus mindestens zehn Millionen Dollar mehr oder weniger. Es folgten die WM-Platzierungen 7 (2013), 10 (2014, erstmals überhaupt eine Saison ohne Punkte) und 8 (2015), dann folgten zwei bittere zehnte Schlussränge 2016 und 2017 (mit zusammen peinlichen sieben Pünktchen), 2018 die Erholung auf WM-Rang 8 mit 48 Zählern.
Gleichzeitig musste Sauber für die neuen Turbo-Motoren ab 2014 rund 15 Mio Dollar im Jahr zahlen, die V8-Sauger kosteten pro Saison rund 9 Millionen. Nicht nur Sauber geriet wegen der sündhaft teuren Antriebseinheiten in Finanznöte: Das ging auch Force India und Lotus so. Caterham hatte zu diesem Zeitpunkt bereits aufgegeben, aus Marussia wurde gewissermassen fünf vor zwölf Manor, was letztlich auch nicht reichte, um das Team zu retten.
Kalte Schulter aus der Schweiz
Seit Jahren fragen sich nicht nur Schweizer Fans: Wieso zeigen Schweizer Grossunternehmen dem Sauber-Rennstall mit wenigen Ausnahmen die kalte Schulter? Die Antwort lautet brutal: Weil sie Sauber selten brauchen. Das jahrelange Engagement der Credit Suisse ging auf die Freundschaft zwischen Peter Sauber zum Banker Oswald Grübel zurück. Als Grübel von der CS zur UBS wechselte, versuchte er, den Vorstand von einem Engagement zu bewegen – in Form eines UBS-Sauber. Der Vorstand fand die Idee der Formel 1 prachtvoll, stieg jedoch in Form von Bandenwerbung ein. Hintergrund: Dank Bandenwerbung sind die Logos der Grossbank viel länger im Bild zu sehen als mit dem eigenen Rennwagen.
Genau dies ist auch der Grund, wieso es keinen Sauber in Rolex-Farben gibt. Das Wirtschafts-Schwergewicht Nestlé (der grösste Nahrungsmittel-Unternehmer der Welt) war nie an der Formel 1 interessiert, das Gleiche gilt für die Schweizer Pharma-Industrie, Oerlikon (Maschinen- und Anlagenbau) hat ein Sponsoring-Abkommen nicht verlängert.
Personelle Probleme
Ein kluger Mann hat einmal gesagt: «Jedes technische Problem ist im Grunde ein menschliches Problem.» Nicht alle Mitarbeiter sind in Hinwil glücklich geworden. Der vielgepriesene James Key löste im April 2010 das Sauber-Urgestein Willy Rampf als Technischer Direktor ab. Von da an ging es bei Sauber aufwärts. Doch der Engländer fühlte sich in der Schweiz eingeengt und wechselte zu Toro Rosso. Danach machte Toro Rosso grosse Fortschritte, Sauber nicht.
Für die Saison 2013 wurde der Mut von Chefdesigner Matt Morris und seinen Mitarbeitern bestraft. Sauber hatte sich dazu entschlossen, eine radikale Neukonstruktion zu wagen, statt auf der Basis des erfolgreichen 2012er Modells weiterzumachen. Das erwies sich als ebenso grosser Fehlschlag wie der radikal neue McLaren. Der Sauber-Renner büsste seine grösste Stärke ein: Er war kein Reifenflüsterer mehr, mit dem beispielsweise Sergio Pérez meisterhaft umzugehen wusste. Wie sehr ist das mit dem Verlust von Pierre Waché (an Red Bull Racing) verbunden? Der Leiter der Abteilung Performance arbeitete jahrelang für Reifenhersteller Michelin ... Vor dem Hintergrund eines stabilen Reglements erwiesen sich die gegnerischen Weiterentwicklungen als konkurrenzfähiger. Matt Morris nahm im Juni 2013 ein Angebot von McLaren an und verliess das Unternehmen.
Generell tut sich Sauber nicht leicht, gute Techniker nach Hinwil zu holen. Dieses Problem kennt Toro-Rosso-Teamchef Franz Tost auch. Viele englische Spezialisten wollen nun mal nicht umziehen.
Monisha Kaltenborn war Ende 2014 davon überzeugt, dass sie damals das Richtige getan hatte: Die Sponsoren des Brasilianers Nasr und des Schweden Ericsson sollten das Überleben des Rennstalls ab 2015 sichern.
Rückblickend gibt es im Fahrerlager zwei Parteien: Die einen argumentieren, dass Kaltenborn mit finanziellen Drahtseilakten das Sauber-Team am Leben erhalten habe. Andere kreiden ihr den schleichenden Niedergang des Rennstalls an. Im Juli 2017 konnten die Sauber-Fans aufatmen: Der GP-Rennstall aus dem Zürcher Oberland wurde gerettet. Peter Sauber und Monisha Kaltenborn verkauften ihre Anteile, Kaltenborn blieb Teamchef – bis sie im Juni 2017 verabschiedet wurde.
Die Sauber-Holding (mit dem Rennstall Sauber Motorsport AG) ging zu hundert Prozent in den Besitz der Schweizer Investmentfirma Longbow (Langbogen) über. Das Team gehörte davor zu zwei Dritteln Peter Sauber und zu einem Drittel der gelernten Juristin Kaltenborn.
Die Schweizer Investment-Gesellschaft Longbow Finance S.A. hat 100 Prozent der Sauber Holding AG übernommen. Die Sauber-Gruppe besteht aus drei Geschäftsbereichen – aus der Sauber Motorsport AG (zu welcher der Formel-1-Rennstall gehört), aus der Sauber Engineering AG (Prototypen-Entwicklung und –Fertigung) sowie aus der Sauber Aerodynamik AG (mit einem erstklassigen Windkanal).
Im November 2017 wurde in Hinwil die Islero Investments AG gegründet. Im Verwaltungsrat sitzt neben Sauber-Verwaltungsratspräsident Pascal Picci und Teamchef Frédéric Vasseur auch Finn Rausing, dazu der Fahrer-Manager und Anwalt Alessandro Alunni Bravi sowie der Anwalt Ernst Walch, früherer liechtensteinischer Aussenminister. Islero trat an die Stelle von Longbow. An der Unabhängigkeit des Teams änderte sich nichts. Finn Rausing ist Erbe der Verpackungskonzerns Tetra Laval (bekannt durch die Getränkekartons namens Tetra Pak). Die Söhne von Tetra Pak-Erfinder Ruben Rausing haben das Unternehmen ihres Vaters zu einem Weltkonzern ausgebaut, der 2017 11,5 Milliarden Euro umsetzte.
Mit Longbow (oder Islero) und Fred Vasseur ist Ruhe eingekehrt: Es geht wieder aufwärts mit dem Schweizer Rennstall, der jetzt Alfa Romeo heisst. Für 2019 wird der sechste Schlussrang in der WM angestrebt. Um das zu erreichen, müssen von den fünf Rennställen Haas, McLaren, Force India, Toro Rosso und Williams vier geschlagen werden.