Niki Lauda: Motten in der Geldbörse und andere Storys
Wenn man als Motorsport-Journalist und Landsmann fast vier Jahrzehnte lang immer wieder mit einer Persönlichkeit wie Niki Lauda zu tun hatte, muss man nicht tief in seinen Erinnerungen graben, um aus dem Stegreif etliche unvergessliche Vorkommnisse, Szenen und kesse Sprüche wiedergeben zu können.
Nikis letzter Leidensweg begann am 21. Juli 2018 auf Ibiza. Damals wurden die letztlich fatalen Lungenprobleme akut, die zwei Wochen später an die Öffentlichkeit drangen, als im AKH Wien erstmals über die Lungentransplantation geredet wurde. Anfangs wurden die Beschwerden gegenüber den Medien noch als «Sommergrippe» abgetan.
Seit dem Herzinfarkt vor dem 70. Geburtstag im Januar hing Niki an der Dialyse. Sein Immunsystem war nach zwei Spendernieren und der Lungentransplantation stark geschwächt, es zeichnete sich ab, dass es mit dem dreifachen Weltmeister zu Ende gehen könnte.
Am vergangenen Sonntag flog die gesamte Familie zu ihm, auch Ex-Frau Marlene. Die erwachsenen Söhne Lukas und Matthias wichen sowieso seit Juli kaum noch von seiner Seite. Am gestrigen Montag gegen 21 Uhr schloß der Champion in der Uniklinik in Zürich für immer die Augen. Eine der populärsten Persönlichkeiten der Welt ist nicht mehr.
Niki Lauda war immer ein zielstrebiger, vorbildlicher, geradliniger Kämpfer, auf der Rennstrecke, als Geschäftsmann und im Privatleben. Jedes Treffen mit ihm war eine Bereicherung.
Er wollte den 24. Dezember 2018 unbedingt noch einmal mit der Familie auf Ibiza verbringen. Er verwirklichte dieses Ziel, er sprach damals mit fester Stimme, seine Familie und seine Freunde schöpften Hoffnung. Doch bald darauf machte die Herzschwäche alle Hoffnungen zunichte.
Man weiß gar nicht, wo man mit den Erzählungen über diesen Titan des Sports anfangen soll. Ich habe Niki Lauda als schmächtiges Bürschchen 1968 bei den Bergrennen in meiner oberösterreichischen Heimat kennengelernt. Er lenkte einen weitgehend serienmäßigen gras-grünen Porsche 911; bald war zu hören, er stamme aus einer sehr wohlhabenden Wiener Unternehmerfamilie, er wurde bürgerlich-streng erzogen, die Begeisterung fürs Rennfahren war ihm nicht in die Wiege gelegt worden, Vater und Großvater waren strikt dagegen. Zum 18. Geburtstag schenkte ihm die Oma einen biederen VW Käfer, der wurde versilbert und dank damals schon beträchtlicher Geschäftstüchtigkeit bald gegen ein viel sinnvolleres Fahrzeug getauscht – den 911er.
Niki Lauda wurde nicht nur wegen seiner motorsportlichen Erfolge weltweit respektiert. Er war zudem ein pfiffiger Geschäftsmann mit einer goldenen Nase, Flugunternehmer, Berater und Manager in Sachen Formel 1. Zuerst nahm er nach der aktiven Laufbahn eine Beraterrolle bei der Scuderia Ferrari an, dann wurde er Teamprinzipal bei Jaguar Racing, man sprach von einem Golden Handshake (Begrüßungsgeld) in der Höhe von 6 Millionen US-Dollar.
Beim Verhandeln bewies Niki zeit seines Lebens ungewöhnliches Geschick. Als er während seiner schöpferischen Formel 1-Pause im September in einen F1-McLaren in Donington testete und ihn Teamchef Ron Dennis zu einem Comeback überreden wollte, verlangte der Österreicher eine Fahrergage von damals exorbitanten 3 Millionen US-Dollar. Dennis winkte ab. Er meinte, man wisse ja nicht, ob der Ex-Weltmeister noch motiviert und schnell genug sei. Niki entgegnete… «Zahl‘ mir 1 Dollar für mein Fahrkönnen und den Rest für meinen Bekanntheitsgrad.» Die McLaren-Sponsoren drängten auf Lauda, Dennis willigte widerwillig ein.
Rücktritt vom Rücktritt
Lauda war am 1. August 1976 auf dem Nürburgring nur knapp dem Feuertod entkommen. 43 Tage später saß er in Monza wieder im Rennwagen, beim Saisonfinale beim Regenrennen in Fuji/Japan, kletterte er aus dem Wagen und stieg aus. Es war ihm wegen der tiefen Pfützen zu gefährlich. Diese Aufgabe verlangte viel Mut.
1979 beim Frühstück beim WM-Lauf in Watkins Glen hatte Niki plötzlich die Nase voll von der Formel 1. «Ich bin plötzlich draufgekommen, dass mir das Rennfahren keine Freude mehr macht, dass mich andere Dinge im Leben mehr interessieren, als mit dem Rennauto im Kreis herumzufahren.»
Lapidar ergänzte der Formel-1-Star: «Ob ich als Weltmeister oder als Hausmeister aufhöre, ist mir egal». Niki Lauda verschwand aus der Formel 1. Zumindest vorübergehend.
Niki Lauda hat nicht nur auf der Rennstrecke Mut bewiesen, seine vollmundigen Sprüche waren bei den Fans und Berichterstattern begehrt, sie waren unterhaltsam, manche bleiben unvergesslich.
«Ich verdiene mein Geld mit dem Gasfuß und nicht mit meinem Gesicht», stellte er trocken fest, als beim Comeback im Monza 1976 sein verunstaltetes Gesicht angesprochen wurde. Dann folgte der makabre Nachsatz: «Mir fehlt jetzt ein Ohrwaschl, aber das ist beim Telefonieren recht praktisch.»
Als in Österreich darüber diskutiert wurde, ob man auf dem Salzburgring einen Formel-1-GP durchführen könne, antwortete Lauda, der ca. 12 km entfernt in Hof nahe dem Fuschlsee wohnte: «Da müsste man so gewaltige Erdbewegungen durchführen, dass ich wegen akuter Erdrutschgefahr aus meinen Haus in Hof ausziehen müsste.»
Niki Lauda gründete schon während seiner ersten Formel-1-Karriere die Lauda Air I, der Hub war in Salzburg, er flog mit Maschinen von überschaubarer Größe nach Frankfurt, Paris, Brüssel, London und zu anderen Destinationen. Er machte meine damals 27-jährige Schwester Astrid zur ersten Lauda-Air-Geschäftsführerin, diese Berufung ist längst der Verjährung anheim gefallen, man darf es heute verraten.
Der Formel-1-Champion kämpfte mit aller Energie gegen kurzsichtige Manager der staatlichen AUA (Austrian Airlines) und wusste, er muss seinen Hub nach Wien übersiedeln, wenn er international groß ins Luftfahrt-Geschäft einsteigen will.
Lauda wurde beim damaligen SPÖ-Bundeskanzler Fred Sinowatz vorstellig. Der Kanzler meinte beiläufig, er könne seiner staatlichen AUA keinen Konkurrenzbetrieb vor die Nase setzen – und verweigerte Niki die Fluglizenz. Aber er ergänzte: «Herr Lauda, gewinnen sie noch einen WM-Titel. Dann reden wir weiter.»
Niki Lauda erfüllte diesen Auftrag des Bundeskanzlers, gewann den dritten Weltmeistertitel – und Sinowatz hielt brav Wort. So entstand die Lauda Air II. Sie wurde später an die Lufthansa verkauft, Lauda startete die Fly-Niki, verkaufte sie an Air Berlin und wollte sie nach deren Untergang wieder zurückkaufen. Es kam zu einer Bieterschlacht gegen Vueling und zur Gründung der LaudaMotion. Der dreifache Formel-1-Weltmeister wollte diese Airline unbedingt noch einmal als rot-weiß-rotes Wahrzeichen installieren – mit 69 Jahren. «Er hat um die LaudaMotion gekämpft wie ein Löwe», berichten die Weggefährten. Auch wenn ihm gute Freunde wie Attila Dogudan (DO&CO) dringend davon abrieten.
In der Luftfahrt erlitt Lauda etliche Rückschläge, so stürzte eine Lauda-Air-Boeing in Thailand am 26. Mai 1991 nach dem Start in Bangkok ab, weil bei einem Triebwerk automatisch die Schubumkehr aktiviert wurde. 223 Menschen starben. Es handelte sich um das schwerste Unglück der österreichischen Luftfahrtsgeschichte.
Motten in der Geldbörse
Niki Lauda war ein Pointenschleuderer, schlagfertig, humorvoll, der Egoismus war ihm angeboren, die extreme Sparsamkeit zelebrierte er mit Inbrunst. «Wenn du deine Geldbörse öffnest, kommen die Motten raus», ätzten seine Kumpel aus der Anfangszeit, zum Beispiel Bertl Wimmer und seine beiden Privatpiloten Helmut Kaar und Manfred «Sammy» Samhaber.
Eine willkommene Geldquelle wurde bald die jährliche Niki-Lauda-Show in Wien, die sich über acht oder neun Tage erstreckte und mehr als 100.000 Besucher anlockte. Eines Tages war ich dort auf Besuch. Von Niki Lauda fehlte tagelang jede Spur, denn er war kurzfristig von Goodyear zu Testfahrten nach Brasilien aufgeboten worden. Ich besuchte Show-Manager Gerd Hofmann in seinem Büro – und marschierte durch ein Zimmer mit einem riesigen Tisch. Dort saßen fünf bis sechs Mitarbeiter – und unterschrieben brav Niki-Lauda-Poster, die dann mit «Original-Autogrammen» verteilt wurden.
Als der südafrikanische Formel-1-Nobody Tony Trimmer auf der Lauda-Show auftauchte und erkannt wurde, setzte ihn Hofmann kurzerhand an die Front und überredete ihn zu einer Autogrammstunde. Ein Spaßvogel stellte ein Schild mit der Aufschrift «Tony Trimmer Show» neben ihn.
Niki Lauda hat die Formel 1 erlebt, als arme Teams wie jenes von Ensign-Chef Mo Nunn für die zwei Fahrer Johnny Cecotto und Roberto Guerrero nur einen gemeinsamen Ersatzmotor hatten. Er war dabei, als tödliche Unfälle an der Tagesordnung waren, er erlebte, wie die Budgets die 500-Mio-Euro-Grenze sprengten und 1000 Mitarbeiter bei den Spitzenteams zum guten Ton gehörten.
Willy Dungl und der Benz im Schaufenster
Die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen. Aber die Erinnerungen an manche Ereignisse der früheren Jahre bringen mich zum Schmunzeln. 1982 saß ich zum Beispiel neben Niki beim Rio-GP auf dem Rasenstreifen fünf Meter neben seinem Boliden im Gras – und wir unterhielten uns über alles Unanständige, nur nicht über den Motorsport. Drei Minuten vor dem Start. Heute undenkbar.
Unterhaltsam war auch die Zeit mit Fitness-Guru Willy Dungl, der dem nicht übertrieben sportbegeisterten Niki Lauda das «Körndlfressen» beibrachte (oder beibringen wollte) und der ihn auch hin und wieder für ein paar hundert Meter zum Joggen scheuchte.
Der kauzige Dungl stammte aus dem tiefsten Waldviertel, seine Gesellschaft war für Niki in erster Linie unterhaltsam. Und sobald sich Willy umdrehte, vergaß der Rennfahrer und Luftfahrt-Unternehmer recht rasch die strengen biologischen Diätvorschriften.
Der sparsame Lauda besorgte sich schon damals bei allen Grand Prix ein kostenloses VIP-Fahrzeug von Mercedes, das ersparte ihm den Leihwagen. In Kyalami schickte er Dungl leichtsinnigerweise einmal zum Lebensmitteleinkaufen – mit einem S-Klasse-Benz mit Automatic, für den bodenständigen Kleinwagen-Liebhaber Dungl eine ungewöhnliche Konstellation. Und vielleicht hätte man dem guten Willy sagen müssen: Beim Aussteigen unbedingt den Automatic-Hebel auf «P» stellen!
Als Eigenbrötler Dungl in diesem Feinkostenladen an der Kassa stand, rollte der S-Klasse Benz langsam bergab auf der abschüssigen Fahrbahn vom Parkplatz ins Schaufenster. Der Schaden war immens, die Blamage für Niki noch schlimmer. Die Schimpftirade war in ganz Johannesburg zu hören. Autos galten für Niki als Heiligtümer, jeder Kratzer verursachte bei ihm persönliche Schmerzen.
Dungl verstand die helle Aufregung um diese demolierte Blechkiste nicht im Geringsten, er blieb die Ruhe in Person. Als Lauda am nächsten Tag den Kyalami-GP gewann, fühlte sich der gute Willy grossteils für diesen Erfolg verantwortlich, «Niki, du hast nur gewonnen, weil du nach meinem Missgeschick so aggressiv warst», lautete die sachkundige Diagnose des Fitness-Papstes.
Niki, Ruhe in Frieden.
Und ich weiß, es ist in deinem Sinne und ich spreche dir aus dem Herzen, wenn ich vorschlage: Wir sollten nicht so lange um dich weinen, wie wir mit dir gelacht haben.