Florian König (RTL): Methadon für Formel-1-Junkies
Florian König
Florian König arbeitet seit 1996 bei RTL. Der studierte Sportpublizistiker moderiert Formel-1-Rennen und Boxen, seine Leidenschaft für den Sport kommt beim Publikum so gut an wie seine fundiert-gelassene Art. In einer normalen Welt würde der 52jährige Tübinger inzwischen nach Shanghai gereist sein, wo für 19. April einst der Grosse Preis von China geplant war. Stattdessen befindet sich die Welt in Corona-Schockstarre, und der WM-Lauf auf dem Shanghai International Circuit wird lediglich virtuell ausgetragen.
Florian, wo siehst du in der Coronakrise derzeit die dringlichsten Fragen?
Als dringlichste Fragen sehe ich: Was ist das richtige Maß zwischen Sicherheit und Freiheit? Wie müssen wir die gesundheitlichen Interessen gewichten und auf der anderen Seite der Waage auch Gedanken über die Wirtschaft zur Geltung kommen lassen? Das ist sehr schwierig für die Verantwortlichen in allen Ländern und ich glaube, dass über den richtigen Weg noch eine ganze Weile gerungen werden muss. Dies sollte nicht konfrontativ oder gar im Streit geschehen, sondern in konstruktiver Art und Weise.
Es ist sehr schwierig abzuschätzen, wie wir mit möglichst wenig Erkrankten und Todesopfern, aber auch möglichst wenig wirtschaftlichen Folgen die Zeit überstehen, bis ein Wirkstoff gegen diesen Virus gefunden ist und ein Medikament für eine Impfung zur Verfügung steht.
Gut die Hälfte der Weltbevölkerung ist wegen der Corona-Pandemie von Ausgangsperren betroffen. Wie hat sich dein ganz persönlicher Alltag verändert?
Normalerweise reise ich mit der Formel 1 ja viel und weltweit. Momentan befinde ich mich in Köln und verlasse das Haus nur zum Einkaufen, zum Spazierengehen mit dem Hund oder zum Sporttreiben. Das ist natürlich etwas ganz Anderes als mein übliches Leben. Normalerweise wäre ich jetzt bereits in Australien gewesen und in Bahrain, ich wäre nach Vietnam gereist und wäre nun nach China weitergezogen. Für jemanden, der seit mehr als zwanzig Jahren mit der Formel reist, ist das ein deutlicher Einschnitt.
Auch in Deutschland wurde der Ruf nach Lockerungen des Lockdowns immer lauter. Wo liegt ein vernünftiger Kompromiss zwischen Lockerungen der Maßnahmen und dem Schutz der Bevölkerung vor einer zweiten Infektionswelle?
Weitere Lockerung müssen kommen, weil die Menschen es nicht über eine längere Zeit ohne Weiteres durchhalten, sich hauptsächlich zuhause aufzuhalten. Wir müssen Verhaltensmaßregeln in der Öffentlichkeit so handhaben, dass die Ansteckungsgefahr durch eine Lockerung nicht deutlich nach oben geht – so dass unser Gesundheitssystem weiter in der Lage bleibt, mit den Erkrankungen klar zu kommen. Das ist ein schwieriges Verfahren, und eine fortlaufende Folge von Lockerungen und neuen Verschärfungen will der Bevölkerung niemand zumuten.
Eine Lockerung muss auch deshalb in kleinen Schritten erfolgen, weil nur so sichergestellt werden kann, dass die Menschen sich weiter so diszipliniert verhalten wie bisher. Eine zweite Infektionswelle muss unbedingt verhindert werden, und daher konnte keiner erwarten, dass alles sofort wieder aufmacht. Dafür ist die Situation noch zu unklar. Und dafür haben die meisten Menschen sicherlich Verständnis.
Wenn du dir das Vorgehen von Bund und Ländern ansiehst und mit dem Ausland vergleichst: Was wurde richtig gemacht, was wurde unterschätzt?
Deutschland hat sich ganz gut gehalten. Sicher hätte man noch früher reagieren können, vor allem was die Materialbeschaffung angeht, also Masken, Schutzbekleidung und dergleichen. Dies ist bekanntlich ein weltweites Problem. Ich lebe in Nordrhein-Westfalen, in einem von Corona hart betroffenen Bundesland. Hier befindet sich auch der Kreis Heinsberg, wo nach einer Karnevalsfeier sehr viele Menschen infiziert waren und es noch immer sind. Dennoch bin ich der Ansicht, die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen macht das alles sehr gut und hat auch bei den Massnahmen einen guten Mittelweg gefunden, Nicht zu hart und nicht zu lasch. Da wird mit viel Augenmass gearbeitet. Ich gehe davon aus, dass dies bei den angestrebten weiteren Lockerungen ab 4. Mai auch so sein wird.
Viele Menschen wollen alles über die Pandemie wissen, andere haben ihren Informationsfluss inzwischen bewusst dosiert. Wie machst du das?
Ich habe meinen Informationsfluss inzwischen tatsächlich etwas dosiert, weil es mir ja nicht anders geht als vielen Menschen, die sich gefrustet fühlen von den ganzen Hiobsbotschafen. Ich informiere mich, ich kann auch alle Zahlen vergleichen und meine eigenen Schlüsse daraus ziehen, aber die Meinungen selbst der Experten gehen auseinander. Ich bleibe am Thema dran, aber nachdem ich mich am Anfang sehr intensiv informiert habe, reicht es mir heute, wenn ich die Zeitung lese oder am Abend die Nachrichten schaue.
Welches ist für dich selber der schwerverdaulichste Aspekt der Corona-Krise?
Meine Machtlosigkeit. Auch hier glaube ich, dass es vielen Menschen so geht wie mir. Ich bin beruflich fast lahmgelegt. Die Formel 1 findet nicht statt, es gibt keine Länderspiele und keine europäischen Wettbewerbe. Ich als Sportreporter kann diese Situation nicht ändern, und das ist für mich schwierig.
Derzeit führt die Formel 1 virtuelle Rennen durch, das nächste ist am 19. April mit dem simulierten Großen Preis von China. Auch RTL zeigt diese Läufe als Live-Stream. Hand aufs Herz: Wie fit warst du eigentlich vorher beim Thema Sim-Racing?
Virtuelle Rennen finde ich prima. Das tut mir auch persönlich gut, quasi als Methadon-Programm für Formel-1-Junkies. Ich war und bin kein Experte für Sim-Racing, habe jetzt aber begonnen, mich mehr damit zu befassen. Ich finde es schon bemerkenswert, wie gut diese Computersimulationen funktionieren, wie echt man da in ein Renngeschehen eintauchen kann. Ich freue mich auf den nächsten virtuellen Grand Prix, den wir am Sonntag ab 19.00 Uhr als Livestream auf rtl.de, ntv.de und sport.de zeigen.
Wie fühlte es sich an, eine Computer-Simulation zu kommentieren?
Ich hatte erwartet, dass sich das seltsam anfühlen würde, so etwas zu kommentieren. Aber da diese virtuellen Autos von aktiven oder ehemaligen Formel-1-Fahrern gesteuert werden, ging das dann doch ganz einfach. Ich war voll im Renngeschehen drin, ließ mich mitreißen. Ich hörte von vielen Usern, dass ihnen das ebenfalls so ergangen ist und dass sie es schön fanden, wieder mal ein Rennen mit uns am Mikrofon zu erleben, auch wenn es virtuell ist. Die Rückmeldungen waren so positiv, dass wir das vorerst weiter machen wollen.
Das nächste virtuelle Formel-1-Rennen vom 19. April (Grand Prix von China in Shanghai) wird auf dem YouTube-Kanal der Formel 1 übertragen, dazu auf Twitch, Weibo und Facebook. Darüber hinaus als Livestream auf rtl.de, sport.de, ntv.de sowie auf ORF Sport+ und tvthek.ORF.at