Michael Andretti: Volle Kraft Richtung Formel 1
Die bisherige Bilanz des prominentesten Vertreters der zweiten Generation der Andretti-Dynastie: Ein Indycar-Titel (1991) und mit 42 Siegen in der Zeit, als die wichtigste Monoposto-Serie Amerikas noch CART hiess, damit Rekordhalter. Vier IndyCar-Titel kamen als Eigner und Chef von Andretti Autosport dazu, plus fünf Siege im Indy 500 als «Owner».
Und jetzt feiert Michael Andretti einen Titel im absoluten Neuland, der wohl in den USA keine Randnotiz wert sein wird: Sein britischer Pilot Jake Dennis – jawohl, der Ex-DTM-Kollege von Ferdinand Habsburg bei Aston Martin St. Gallen und Simulatorfahrer von Red Bull Racing – wurde in London für Avalanche Andretti Weltmeister der Formel E. Mit einem Antrieb von Porsche als Kunde der Stuttgarter im ersten Jahr der Kooperation.
Daneben hat der 60-Jährige, dessen Formel-1-Fahrerkarriere 1993 im McLaren vorzeitig und relativ erfolglos endete, noch ein Auge auf die Extreme E, die australischen Supercars, die IMSA und natürlich die IndyCar-Serie, um die wichtigsten Projekte zu nennen. Das wichtigste aber fehlt auch noch auf seiner Homepage: Denn Andretti goes F1.
Wie er da überhaupt einen Überblick bewahrt? «Ich werde ständig von unseren Projektleitern auf den neuesten Stand gebracht. Jedes Projekt operiert selbständig. Ich bin dort, wo ich dabei sein will und gebraucht werde. Kein Programm nimmt einem anderen etwas weg. Mit jedem Projekt erschliessen wir auch neue Quellen», sagt er im Interview mit SPEEDWEEK.com in London, wo er Sonntagabend gemeinsam mit seinem Geschäftsführer Jean-Francois Thormann eine WM-Party für Dennis, Lotterer, Teamchef Roger Griffiths und alle anderen Mitglieder schmiss.
Wie steht es um das von den aktuellen zehn Teams argwöhnisch beäugte, meist abgelehnte (Neid?) Formel-1-Projekt? Zuerst einmal betont Michael: «Beim Bau des neuen Hauptquartiers in Fishers, Indiana, ist alles im Plan. Wir hoffen, Ende 2024 von unserer alten Basis dorthin übersiedeln zu können. Das Investment ist richtig gross (kolportiert werden 200 Millionen Dollar, Anm.). Wir wollen dort nicht nur die nordamerikanischen Projekte ansiedeln, sondern auch unser Formel-1-Team. Unser erstes Auto wird in Europa gebaut werden, aber danach in Indiana. Wir werden das erste in den USA gebaute Formel-1-Auto haben.»
Dass es demnächst das «Ja» der FIA zum elften Team für 2025 geben wird, davon ist der Sohn von Legende Mario Andretti (Weltmeister 1978) überzeugt: «Da bin ich optimistisch. Ich hoffe, dass die FIA in den nächsten Wochen dazu Klarheit schafft. Wir sind jedenfalls mit Vollgas am Vorbereiten. Derzeit haben wir 25 Mitarbeiter, es werden ständig mehr.»
Gleiches gilt für den Projektpartner aus dem GM-Imperium: «Auch Cadillac arbeitet mit Hochdruck, die Langstreckeneinsätze sind davon nicht betroffen und völlig unabhängig zum Formel-1-Programm. Die hängen sich da wirklich rein», bestätigt Michael.
Das Update zu den anderen Aktivitäten formuliert er so: «In der Formel E waren wir schon vor einigen Jahren zusammen mit BMW nahe am Titel dran, der uns im letzten Rennen entglitten ist. Wir gingen also mit dem nötigen Selbstbewusstsein in diese Saison. Porsche hat einen tollen Job mit dem Antriebsstrang gemacht, wir konnten damit das Maximum herausholen. Ich bin so gesehen nicht überrascht. Ich weiss gar nicht mehr, wer zuerst auf den anderen zugekommen ist, ich denke, es war ein gegenseitiges Anbahnen. Als wir merkten, dass Porsche uns gern als Kunden hätte, war es einfach Ja zu sagen. Wir haben ein sehr gutes Verhältnis. Eifersucht wegen Dennis‘ Titel? Ich glaube nicht. Die Porsche-Jungs meinten vor der Saison, so lang ein Porsche-Fahrer gewinnt, ist das okay.»
Für das frei werdende Cockpit von André Lotterer gibt es einige Anwärter, die Gespräche laufen. Bei den IndyCars «hoffen wir, dass wir die Saison ohne Fehler zu Ende bringen. Es gibt keinen Grund, warum wir nicht noch Rennen gewinnen sollen», sagt Michael Andretti.
Und zu den an der Formel-1-Gerüchtebörse immer wieder gehandelten Jungstars Alex Palou (Ganassi) und Colton Herta (Andretti) meint Michael anerkennend: «Ich habe nicht den geringsten Zweifel, dass Alex oder Colton reif für die Formel 1 sind. Die sind hoch veranlagt. Ich würde beide sofort in ein Formel-1-Auto setzen. Die können da sicher mithalten. Lando (Norris) war ja einmal Coltons Teamkollege und die beiden fuhren auf dem gleichen Niveau. Wenn du dir jetzt Lando in der Formel 1 anschaust, weisst du, was Colton auch könnte.»
Im IndyCar-Kader (aktuell neben Herta Kyle Kirkwood, Romain Grosjean, Devlin DeFrancesco und Marco Andretti) «werden wir Änderungen vornehmen. Das IMSA-Projekt mit Wayne Taylor werden wir 2024 auf ein zweites Auto aufstocken. Aber der Fokus liegt auf dem F1-Projekt», erzählt der Teambesitzer.