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Tod von Jules Bianchi: Formel 1 für immer verändert

Kolumne von Mathias Brunner
Jules Bianchi

Jules Bianchi

Vor neun Jahren verstarb Jules Bianchi. Das Schicksal des französischen Formel-1-Piloten, der sich beim Japan-GP 2014 schwere Kopfverletzungen zugezogen hatte, beschleunigte die Einführung des Kopfschutzes Halo.

Der Südfranzose Jules Bianchi an diesem 17. Juli vor genau neun Jahren, am 17. Juli 2015, an den Folgen seines schweren Unfalls von Suzuka 2014. Die Rennwelt trauerte damals um den ersten Toten nach einem GP-Wochenende seit Ayrton Senna 1994. Die Wahrheit ist: Wir hatten zwanzig Jahre lang nur Glück gehabt.


Seit dem grauenvollen Unfall von Jules Bianchi am 5. Oktober 2014 beim Grossen Preis von Japan in Suzuka befand sich die Familie in einem scheinbar endlosen Albtraum. Noch in der Woche vor dem Tod seines Sohnes meldete sich der Vater des Rennfahrers, Philippe Bianchi, zu Wort. So wie es der tapfere Franzose immer wieder getan hatte, es war seine Art, sich einen Teil seines Kummers von der Seele zu reden – bewundernswert.


Dieser Fels von einem Mann gab offen zu, dass sein Optimismus bröckelt: «Wenn er mit einer schweren Behinderung aufwachen würde, dann wäre das bestimmt etwas, das Jules nicht gewollt hatte. Wir hatten uns über solche Möglichkeiten unterhalten. Er sagte uns – wenn ihm ein Unfall zustossen sollte wie Michael Schumacher, wenn er nicht mehr fahren könnte, dann wäre das für ihn kaum zu ertragen, denn das war sein Leben.»

Dann war dieses Leben erloschen, und in der ganzen Betroffenheit der Rennwelt, die in solchen Momenten eng zusammenrückt, wenn Erfolge und Geld und Macht wenigstens für kurze Zeit keine Leitthemen sind, in dieser schweren Stunde fühlte ich auch eine gewisse Erleichterung, dass die Familie nun abschliessen kann, dass «dieser nicht enden wollende Horror», wie es Philippe Bianchi nannte, zu Ende war.

Für viele kam der Unfall von Jules Bianchi im Oktober 2014 wie ein Hammerschlag. Eine neue Generation von Fans und Berichterstattern war seit dem schwarzen Wochenende von Imola 1994 herangewachsen, als wir Roland Ratzenberger und Ayrton Senna verloren; eine Generation, die den Tod als Fahrerlager-Gast nicht kannte; eine Generation, die im Frühling 1994 nicht fassungslos vor dem Fernseher sass, geschweige denn wie einige meiner Arbeitskollegen und ich vor Ort erlebten.

Oft habe ich selbst Fachleute sagen gehört: «Ach, in der Formel 1 kann doch nichts mehr passieren.» Eine trügerische, kurzsichtige, dumme Aussage. Denn es braucht nur verschiedene Faktoren, die aufeinandertreffen, um wieder einen Formel-1-Toten beklagen zu müssen. Jules Bianchis Unfall in Japan war ein solcher Unfall.

Der perfekte Sturm

Wenn verschiedene Einflüsse zu einem unsagbar machtvollen Wirbelsturm zusammenfinden, dann sprechen die Meteorologen – was ich immer etwas seltsam finde – vom perfekten Sturm, da Perfektion eigentlich für etwas Positives stehen sollte. Der Unfall von Jules Bianchi war motorsportlich der perfekte Sturm.

Seit Jahren hatten die Rennfahrer betont, wie unwohl sie sich fühlen, wenn sie an einer Unfallstelle vorbeifahren, wo Rettungsfahrzeuge auf oder neben der Strecke im Einsatz stehen, so wie bei Bianchis Unfall am Wagen von Adrian Sutil. Aber erst nach dem Unfall von Jules wurde das so genannte virtuelle Safety-Car eingeführt, wenn das Rennen neutralisiert ist und die Piloten in konstant niedrigem Tempo fahren müssen.

Die Organisatoren und der damalige Formel-1-Promoter Bernie Ecclestone wussten, dass ein Taifun schlechtes Wetter in die Region Suzuka bringen würde. Aber der vernünftige Vorschlag, das Rennen vorzuziehen, um Regen und einbrechender Dunkelheit zu entgehen, wurde aus wirtschaftlichen Gründen verworfen. Man fürchtete, es würden nicht alle Fans rechtzeitig zur Strecke kommen, dazu gab es Sachzwänge mit gebuchten Satellitenzeiten.

Die Wetterverhältnisse änderten sich im Japan-GP mehrfach, und ausgerechnet als die meisten Piloten mit abgefahrenen Intermediates-Reifen unterwegs waren, begann es wieder stärker zu regnen.

Kein Fahrer will sich vorwerfen lassen, freiwillig Sekunden hergeschenkt zu haben – zahlreiche Piloten fuhren an der Unfallstelle Sutils viel zu schnell durch, auch Jules Bianchi.

Die Rennleitung verzichtete nach dem Unfall von Sauber-Fahrer Adrian Sutil auf den Einsatz des Safety-Car.

Bianchi geriet mit seinem Wagen, genauer mit dem rechten Hinterrad auf eine Pfütze, er korrigierte instinktiv, das führte dazu, dass der Wagen die Piste in einem ungewöhnlichen Winkel verliess. Es kann nur unfassbares Pech genannt werden, wie sein Wagen dann den tonnenschweren Rettungswagen traf.

Nur ein oder zwei dieser Faktoren weniger, und der Franzose wäre vielleicht noch unter uns.

Jules Bianchi, der Mensch, der Racer

In der Planung von Ferrari war Jules Bianchi für den Platz neben Sebastian Vettel 2016 bestimmt: Bianchi sollte nach der Lehrzeit bei Marussia 2014 in diesem Jahr in einem Sauber-Ferrari sitzen, dort also in einem Mittelfeld-Team zusätzliche Erfahrung sammeln, um dann 2016, spätestens 2017 im Werks-Ferrari zu sitzen.

Was für ein Mensch war der 25-Jährige aus Nizza?

Wohlerzogen, lebenslustig, eher introvertiert, oft mit einem Lächeln auf dem Gesicht, unterschätzt. Ein Mann von erdverbundener Erziehung und gutem Charakter, trotz des Wissens um die eigenen Fähigkeiten nie blasiert.

Ein typischer Vertreter der neuen Generation, top-fit im Umgang mit sozialen Netzwerken wie Twitter und Instagram oder Facebook, an seiner Seite meist die bildschöne Korsin Camille Marchetti. Wenn Bianchi bei Tests oder Rennen ohne Freundin um die Welt tingelte, dann war er auch mal alleine in einem Restaurant anzutreffen, in seine Gedanken vertieft.

Ich erlebte ihn als immer ansprechbar, seine Antworten fundiert, ohne in Stomlinien-Blabla zu verfallen. Bianchi scheute sich nicht, seine Meinung zu sagen, aber er tat dies, ohne verletzend zu werden. Bianchi hätte in seiner unaufdringlichen, offenen Art gut zu Sebastian Vettel gepasst.

Der Unfall des Franzosen führte direkt zur beschleunigten Einführung des Titankopfschutzes Halo. Viele Fans und Fahrer fanden den Bügel potthässlich, heute nehmen wir ihn nur dann noch wahr, wenn er Leben rettet.

Das ist das wertvollste Vermächtnis eines viel zu früh erloschenen Lebens.

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