Drama um Schumi: Erste Erkenntnisse über Skiunfall
Das Justizgebäude von Albertville
Das Justizgebäude (Palais de Justice) von Albertville: Zehn Tage nach dem schlimmen Skiunfall von Rennlegende Michael Schumacher (45) erläuterte Staatsanwalt Patrick Quincy erstmals Erkenntnisse aus dem Drama um den siebenfachen Formel-1-Weltmeister. Diese Ermittlungen wurden routinemässig aufgenommen und nicht etwa aufgrund der Berühmtheit des Unfallopfers. Im französischen Recht ist verankert, dass bei einem solchenr Sturz automatisch eine Untersuchung eingeleitet wird, selbst wenn (wie bei Michael Schumacher) kein Fremdverschulden vorliegt.
Im Zentrum der Ermittlungen standen Fragen wie: Was genau führte zum Sturz des 91fachen GP-Siegers? Wie schnell war der Deutsche unterwegs? Gibt es Hinweise auf Fehlfunktionen der Leihskier oder ihrer Bindungen? War das felsige Stück zwischen zwei Pisten genügend als gefährlich markiert?
Wichtige Hinweise erhofften sich Quincy und seine Mitarbeiter von der Auswertung der Helmkamera, die Michael Schumacher zum Zeitpunkt seines Unfalls trug und die eingeschaltet gewesen war.
Dabei sollte sich auch ein Widerspruch klären zwischen Aussagen von Schumachers Ärzten um Professor Stéphan Chabardès (dem leitenden Neuro-Chirurgen) und Professor Jean-François Payen (Leiter Anästhesie) sowie Schumi-Managerin Sabine Kehm. Die französischen Spezialisten hatten in ihren Pressekonferenzen in der Uniklinik von Grenoble aus den Verletzungen geschlossen, dass der Rennfahrer «mit hoher Geschwindigkeit unterwegs gewesen» sein müsse. Dem widersprach Sabine Kehm. Dem widersprach auch ein Augenzeuge aus Essen, der dem Nachrichtenmagazin «SPIEGEL» erklärt hatte, dass Schumi kaum schneller als 20 km/h gefahren sei, als er zu Fall kam.
Quincy liess auch durchblicken, dass auch bei geringer Geschwindigkeit ein Aufprall des Kopfes «mit hoher Bewegungsenergie» erfolgen kann. Der Helm sei nicht mehr in einem Stück gewesen, wurde gegenüber den Medien bestätigt.
Patrick Quincy bei der Pressekonferenz in Albertville: «Wir wollten über unsere bisherigen Erkenntnisse informieren. Wir wollen damit auch Gerüchten entgegnen, die um den Unfall von Michael Schumacher entstanden sind.»
«Wir haben Zeugen vernommen, den Unfall nachgestellt, die Bilder der Helmkamera ausgewertet, mit dem Skiverleiher gesprochen. Die Auswertung Bild für Bild steht noch aus. Wir haben keine weiteren bewegten Bilder zum Unfall erhalten, wie das im Nachrichtenmagazin «Spiegel» erwähnt worden war.»
«Wir haben das Glück, ein Team von sehr erfahrenen Ermittlern zu haben, die im Schnitt fünfzig Mal im Jahr solche Fälle behandeln.»
«Die Fakten sind: Am 29. Dezember um 11 Uhr kam es bei Michael Schumacher auf 2700 Metern Höhe zum Unfall, als Herr Schumacher einen Bereich zwischen einer blauen und roten Piste befuhr. Er führte einen Schwung durch, er ist offenkundig ein sehr guter Skiläufer. Rund sechs Meter von der markierten Piste entfernt kam er an einem Felsen zu Sturz und traf dreieinhalb Meter weiter auf einen zweiten Felsen, mit dem Kopf voran. Herr Schumacher blieb neun Meter von der markierten Piste entfernt liegen.»
«Der 2-Minuten-Film aus der Helmkamera bestätigt, was wir bereits wussten. Wir nutzen den Film, um die Situation nachzustellen. Wir können den Weg von Herrn Schumacher daher genau nachvollziehen.»
Stéphane Bozon, Kommandant der Gebirgsgendarmerie Savoyen und einer der leitenden Ermittler, schliesst die Skier als Unfallursache aus: «Die Skier waren in perfektem Zustand, quasi neu. Die Skier sind damit nicht die Ursache für den Unfall. Wir haben allerdings Spuren entdeckt, die beweisen, dass die Skier über einen Felsen geschliffen sind.»
Bozon spricht auch von «geringer Geschwindigkeit von Herrn Schumacher, selbst wenn wir das genaue Tempo erst noch ermitteln müssen. An der Unfallstelle ist das Gefälle eher gering.»
Wer ist Patrick Quincy?
Der 62 Jahre alte Jurist Quincy wurde im Kongo geboren und lebte 20 Jahre lang in Afrika. Der frühere Polizist bringt 28 Jahre Berufserfahrung als Staatsanwalt in diesen Fall (davon sechs auf der Insel Réunion). Er arbeitet seit September 2009 am «Tribunal de Grande Instance d’Albertville»). Fälle von weltweitem Interesse hatte er bislang nicht bearbeitet.
Bereits wittern französische Medien eine ungemütliche Situation für den Franzosen: Auf der einen Seite ist er der Wahrheitsfindung verpflichtet. Auf der anderen Seite jedoch lebt die Region vom Skitourismus. 60 Prozent der französischen Skipisten befinden sich im Gebiet um Albertville. Sollte die Untersuchung ergeben, dass die Betreiber des Skigebiets Méribel am Unfall Michael Schumachers mitschuldig sind (Stichwort ungenügende Kennzeichnung einer gefährlichen Stelle), so könnte das möglicherweise zu einer Verringerung der Einnahmen durch weniger Skifahrer führen. Aber bei der Pressekonferenz wurde mehrfach erklärt: Alle in Frankreich vorgeschriebenen Gesetze zur Kennzeichnung der Piste wurden eingehalten. Der Pistenrang war mit roten Pfosten gekennzeichnet.
Michael Schumacher wusste also als erfahrener Skiläufer, dass er sich auf einem nicht präparierten Hang befand.