Jean Todt: «Die Formel 1 muss aufwachen»
Jean Todt lässt sich nicht beirren
Nach zwei Rennen mit den neuen Motoren sind die Meinungen immer noch geteilt. Die einen finden den Sound der neuen Turbo-Aggregate «Scheiße», wie Red-Bull-Racing-Pilot Sebastian Vettel es am Wochenende recht unverblümt ausdrückte, die anderen freuen sich an viel leiseren Motorgeräuschen. Die Motoren sind aber nicht das Einzige, was sich in diesem Jahr geändert hat. Es wurde ein neues Benzinlimit eingeführt und auch ein neuer Strafenkatalog, der insbesondere Vettels Teamkollegen Daniel Ricciardo bereits hart traf.
FIA-Präsident Jean Todt verteidigt die Änderungen vehement und findet, dass es an der Zeit war, dass die Formel 1 mit der Zeit geht. «Die ganze Welt ist im Wandel, warum sollte da die Formel 1 außen vor bleiben? Schauen Sie sich an, wie Singapur vor 30 Jahren aussah. Das war eine Wüste. Und heute? Eine pulsierende Millionenstadt», sagte Todt gegenüber der Welt am Sonntag. «Die Formel 1 muss aufwachen: Umweltverschmutzung, Finanzkrise, schwindende Ressourcen – das sind Probleme, die sich nicht leugnen lassen. Wenn die Formel 1 die Königsklasse des Motorsports bleiben will, muss sie sich verändern. Diese Saison markiert den ersten Schritt auf einem langen Weg dorthin.»
Die Anfangsschwierigkeiten, die einige Teams mit den Neuerungen momentan noch hätten, würden sich legen, ist der 68-Jährige sicher. «Niemand kann eine Formel 1 wollen, in der die Hälfte der Fahrer bezahlen muss, um dabeizusein. Niemand. Die Formel 1 ist das Aushängeschild des Motorsports – also muss sie vorangehen. Natürlich gab es einige Schwierigkeiten beim Auftakt. Das finde ich normal», betont er. «Glauben Sie mir: Im Laufe der Saison wird sich das regeln. Qualität setzt sich immer durch – deswegen glaube ich nicht, dass die Teams, die in den vergangenen Jahren stark waren, plötzlich hinterherfahren werden. Trotzdem ist der Weltmeister so unvorhersehbar wie lange nicht mehr – das finde ich gut.»
Ein weiterer wichtiger Punkt ist für den Franzosen die Budgetobergrenze, die seiner Meinung nach dringend notwendig ist, um die Königsklasse vor dem finanziellen Ruin zu retten. Bisher sind zwar alle Vorstöße in diese Richtung im Sande verlaufen, Todt erklärt aber, dass alle Teams diese Obergrenze wollen. Alles, was noch fehle sei, dass es schriftlich fixiert werde. «Muss jedes Team für 19 Rennen zwischen 300 und 800 Mitarbeiter vor Ort haben? Natürlich nicht. Die Teams kommen zu mir und zu Bernie Ecclestone und flehen uns an, endlich die Budgetgrenze einzuführen», sagt der ehemalige Ferrari-Teamchef.
«Ich höre, dass Sauber Probleme hat und Williams auch. Lotus hat angeblich seinen Fahrer nicht bezahlt. So geht's nicht weiter», bestätigt Todt einen Zustand, der schon lange kein Geheimnis mehr ist. «Ich habe Angst, dass wir Teams verlieren. Viele schreien um Hilfe. Unser Job ist es, diese Hilfeschreie zu hören. Die Formel 1 liegt auf der Intensivstation. Bis Ende Juni muss eine Lösung für dieses Problem her, die Zeit drängt.»
Einige Neuerungen, wie zum Beispiel der Strafenkatalog sollen in diesem Jahr erst einmal ausprobiert werden, gesteht Todt. «Es ist einen Versuch wert. Wir haben keine Erfahrungswerte, was also sollte dagegensprechen. Wir schauen uns in dieser Saison an, ob es die Formel 1 voranbringt oder nicht. Wenn wir mit dem Ergebnis zufrieden sind, machen wir nächstes Jahr weiter. Wenn nicht, nicht», erklärt er. Das Ziel sei, Fahrer für Vergehen zu bestrafen, die sie begangen haben. «Es ist wie im echten Leben: Wer Fahrfehler macht, bekommt Strafpunkte. Wer zu viele Strafpunkte hat, verliert seinen Führerschein. Ich bin jederzeit offen für Gespräche: Fahrer, Teams, Medien – alle sind eingeladen, mit mir darüber zu diskutieren. Am Jahresende entscheiden wir, ob wir weitermachen.»