Von Richtern und Henkern in der Formel 1
Von wegen arrogant: Sergio Pérez
Nein, fair ist sie nicht, die Diskussion um Sergio Pérez' angebliche Charakterschwächen. Der junge Mexikaner, der sich mit seiner stürmischen Fahrweise gleichermassen Lob (von vielen Fans) und Kritik (von einigen Gegnern) eingehandelt hat, soll arrogant sein und sich nicht in die Mannschaft einfügen wollen, heisst es aus McLaren-Kreisen. Im Team aus Woking kam Pérez denn auch nie richtig an: Selbst sporadische Fahrerlager-Besucher erkannten, dass der feurige Südamerikaner bei den kühlen Briten kein neues Zuhause gefunden hatte. Deshalb zog er nach nur einem Jahr zu Force India weiter.
Schuld an diesem gescheiterten Integrationsversuch soll nun Pérez allein sein. Er verhalte sich nicht kooperativ und hochnäsig, lästerte der ehemalige Teamkoordinator Jo Ramirez jüngst, und verriet, dass sich Pérez jedes Mal verdrücke, wann immer er einen britischen Journalisten erblickt. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Das stimmt so nicht. Natürlich hat auch Pérez einige Journalisten lieber als andere – wie die meisten seiner Kollegen übrigens auch. Und wie bei allen sind diese Vorlieben relativ leicht erkennbar.
Reaktion auf böse Worte
So weigerte sich Pérez während seiner McLaren-Zeit etwa, dem ungeschriebenen Gesetz der britischen Teams folgend die englischen Berichterstatter immer als Erste mit Wortspenden zu füttern. Er weigerte sich auch von jedem Journalisten Kritik an seiner Fahrweise anzunehmen. Das reicht dann auch schon, um sich einen Ruf als arroganter Schnösel einzuhandeln.
Dass Pérez die Fragen einiger Kollegen jeweils einsilbig beantwortet, hat seinen Grund: Schliesslich wurde McLaren für seine Verpflichtung von vielen Schreiberlingen aus Grossbritannien scharf kritisiert. Angesichts der harschen Kritik, die auf ihn einprasselte, bevor er auch nur einen Kilometer im Renner aus Woking zurückgelegt hatte, ist es nachvollziehbar, dass der 24-Jährige aus Guadalajara keine grossen Sympathien für die Verfasser dieser Zeilen hegt.
Persönlich kann ich Pérez nur die besten Manieren attestieren. Er grüsst immer freundlich und hat sich einst sogar wortreich entschuldigt, weil er nach einem frustrierenden Qualifying nicht gleich zu sprechen war. So gute Manieren legen die wenigsten Formel-1-Fahrer an den Tag!
Charakter ja, aber bitte nicht zu viel davon
«Die Medien können einem Piloten helfen, sie können ihn aber auch zerstören», sagt Ramirez, und spricht damit eine traurige Wahrheit aus. Denn längst nicht jeder Berichterstatter weiss mit dieser Verantwortung umzugehen. Zu viele sehen sich lieber in der Doppelrolle des Richters und Henkers statt mit echter Neugierde die faszinierende Welt der Königsklasse zu erkunden. Dabei lassen sie auch noch jene Geduld und gute Kinderstube vermissen, die sie von den Formel-1-Piloten immer wieder einfordern.
Und als wäre das nicht schon schlimm genug, werden die Urteile im Schnellverfahren gefällt. Es reichen auch Kleinigkeiten, um in Ungnade zu fallen, wie etwa der schlurfende Gang durch die Hotellobby oder ein allzu unbekümmertes Gesicht vor dem Qualifying. Das ist lächerlich, auch weil es sich bei den meisten kritisierten Formel-1-Piloten um sehr junge Fahrer handelt, die nicht jedes Wort auf die Waagschale legen und sich oft ganz unbedarft den Medien stellen.
Und das ist es doch, was die Medien und Fans letztlich wollen: Unverfälschte Charakterköpfe mit Ecken und Kanten, die den Mut haben, sich ihre eigene Meinung zu bilden und diese auch laut aussprechen. Dass sie dabei nicht jedem gefallen können und wollen, sollte ihre Rennfahrer-Karrieren nicht negativ beeinflussen.