Motorhersteller im Zugzwang: Geht List der FIA auf?
Mercedes-Rennchef Toto Wolff und FIA-Präsident Jean Todt
Behalten die alten Formel-1-Füchse Marc Surer und Martin Brundle am Ende Recht? Die beiden früheren Grand-Prix-Piloten haben seit Wochen geargwöhnt – die Ankündigung zur Einführung eines Billig-Turbo, das ist nur eine List des FIA-Präsidenten Jean Todt und von Formel-1-Promoter Bernie Ecclestone, um letztlich jenes Ziel zu erreichen, das sie von Anfang an im Visier hatten. Nämlich, dass Mercedes, Renault, Ferrari und Honda ihre Antriebseinheiten günstiger hergeben müssen und dass alle Rennställe Zugang zu Motoren erhalten.
Dies mit Triebwerken, welche den Hybrid-Charakter bewahren, aber technisch weniger komplex und überdies lauter sein sollen.
Denkbar, dass diese neue Motorgeneration erst 2018 kommt, und zwar zusammen mit Formel-1-Rennern, die in Sachen Aerodynamik und Reifengrössen aggressiver daherkommt.
Eine Zweiklassengesellschaft in der Formel 1, also zwei verschiedene Triebwerkskonzepte, das fand Marc Surer von Anfang an seltsam. Der Basler sagte mir am Montag nach dem Mexiko-GP am Flughafen: «Es ist ganz schwierig, zwei verschiedene Motorkonzepte gleich stark zu gestalten, ohne allzu künstliche Eingriffe. Mir ist nicht klar, wie die FIA das zustande bringen will. Daher ist es für mich naheliegend, dass der Billig-Turbo nur ein Bluff ist, um die Autohersteller ein wenig gefügiger zu machen. Und um das gegenwärtige Reglement letztlich zu behalten.»
Ex-GP-Pilot Martin Brundle, heute in Diensten der britischen Sky: «Die ganze Motorensaga wird noch einige Monate laufen, aber in Wahrheit ist das doch nur ein politischer Spielball – wir haben ein Armdrücken um die Kontrolle in der Formel 1. Mercedes und Ferrari sind zu machtvoll geworden mit ihren beiden besten Triebwerken im GP-Sport. Ich würde Geld darauf wetten, dass der neue Motor nie kommt. Wir werden vielmehr erleben, dass es mit den Herstellern eine Einigung geben wird, dass sie ihre Antriebseinheiten zu einem niedrigeren Fixpreis abgeben und im übrigen auch mehr Rennställe auszurüsten bereit sind. Sie wären alle komplett verrückt, würden sie nicht zu diesem Konsens kommen.»
Auf den ersten Blick wirkt die Entscheidung der Formel-1-Kommission gestern Dienstag in Paris wie eine Niederlage für die Motorpläne von Todt und Ecclestone: ihr Billig-Turbo liegt auf Eis. Aber auf den zweiten Blick schaut das ganz anders aus.
Denn der schlaue Jean Todt hat (zweifellos in Absprache mit Bernie Ecclestone) den Ball geschickt auf die Seite der Motorhersteller gekickt – sie sollen bis 15. Januar konkrete Vorschläge einreichen, wie die Antriebseinheiten erschwinglich werden und wie sichergestellt werden kann, dass keine Rennställe ohne Motoren bleiben.
Somit hätte das Druckmittel Billig-Turbo seinen Sinn erfüllt. Denn letztlich wäre eine komplette Abkehr von der Energierückgewinnung eine Bankrotterklärung für die FIA gewesen: Jean Todt war einer der grossen Befürworter des Hybrid-Prinzips, weil er findet, dass die Formel 1 damit Serienrelevanz und Zeitgeist beweist.
Die beiden grundlegenden Fehler, die Todt im Rahmen seiner Medienrunde in Mexiko zugab: Er hatte es versäumt, einen Kostendeckel für die neuen V6-Turbos einzuführen. Und das Reglement so zu ändern, dass ein Motorhersteller eine Mindestanzahl von Rennställen ausrüsten muss.
Wie es scheint, ist bei den Sitzungen am Dienstag in Paris vor allem Mercedes in einer Art Vermittlerrolle aufgetreten. Niki Lauda, Aufsichtsrats-Chef des Weltmeister-Rennstalls, gab den Sitzungsteilnehmern nachhaltig zu bedenken, dass zwei verschiedene Motorkonzepte der Formel 1 schaden würden.
Teamchef Toto Wolff glaubte sowieso nie an zwei Motortypen: «Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass es in der Formel 1 kaum möglich sein wird, zwei verschiedene Motorkonzepte leistungsmässig auf das gleiche Niveau zu führen. In anderen Kategorien klappt es ja auch nicht. Allein schon der ganze Ärger im GT-Sport. Mir kommt es vor, als würden wir uns in einer verfahrenen Situation befinden und nach einer Lösung suchen, dabei aber die Augen davor verschliessen, was in anderen Rennserien passiert. Aber wie überall läuft es auf einen Kompromiss hinaus. Wir sind keineswegs der Ansicht, dass man den Stand der Dinge einfrieren sollte. Wir müssen im Sinne des Sports entscheiden. Das ist ja einer der Gründe, warum wir uns einverstanden erklärt haben, auch 2016 Entwicklungen während der Saison zu erlauben, eigentlich war das so im Reglement für diese Motoren gar nicht vorgesehen. Das wird eine Menge Geld kosten, aber es ist die richtige Entscheidung, damit Renault und Honda Boden gutmachen können.»
Der 43jährige Wiener sagt weiter: «Das Problem wird sein, die Interessen aller unter einen Hut zu bringen. Aber wir sind davon überzeugt, dass die Formel 1 eine wettbewerbsfähige Plattform sein soll, wir brauchen mehr Rennställe, die siegfähig sind, das macht das Ganze auch für uns selber attraktiver.»
Schon in Abu Dhabi wollen sich Vertreter von Ferrari, Renault, Honda und Mercedes an einen Tisch setzen, um erste Vorschläge zu erörtern.