Sergio Marchionne: «Räikkönen muss Ferrari verdienen»
Ferrari-Teamchef Maurizio Arrivabene und Firmenchef Sergio Marchionne: Die Erfolgstrauben hängen hoch
Acht Formel-1-Rennen sind vorbei, und die Tifosi fragen sich: Wie gut ist unsere Scuderia wirklich? Eine passende Antwort auf diese Frage haben wir selten zu sehen bekommen. Zunächst waren es Probleme mit der Standfestigkeit, ausserdem zu wenig Speed, welche das Ziel von Ferrari-Chef Sergio Marchionne verhinderten. Der Italiener hatte gefordert, dass Ferrari vom ersten Rennen in Australien an mit Mercedes auf Augenhöhe fahren müsse. Aber das ist nicht passiert.
Später hiess es: Probleme mit der Reifennutzung hätten das wahre Potenzial des Ferrari verschleiert. Das mag stimmen, aber letztlich wird der WM-Titel nicht aufgrund von Erklärungen vergeben, sondern jenem Fahrer oder Rennstall, der die meisten Punkte erobert hat. Und da sieht es nach mehr als einem Saisondrittel nicht ermutigend aus.
Sebastian Vettel ist WM-Dritter mit 96 Punkten (vor Kimi Räikkönen mit 81), WM-Leader Nico Rosberg hat schon 141 Zähler, Lewis Hamilton kommt auf 117.
Im Konstrukteurspokal ist Weltmeister Mercedes-Benz Ferrari enteilt, es steht 258:177, WM-Dritter ist derzeit Red Bull Racing mit 140 Punkten.
Und doch bleibt Ferrari-Präsident Sergio Marchionne bei seinen Durchhalteparolen, was soll er auch sonst sagen? Der Fiat-Sanierer meint im Gespräch mit meinem Kollegen Pino Allievi von der Gazzetta dello Sport: «Ich glaube weiter daran, dass wir diesen WM-Titel erobern können, es sind noch viele Rennen, da kann jede Menge passieren.»
Marchionne über Mercedes und Ferrari: «Das Erfolgsgeheimnis von Mercedes liegt in ihrer Fahrzeugstabilität. Der 2016er Ferrari ist gemessen an unserem Vorjahreswagen mit frischen Lösungsansätzen entstanden. Wir sind noch immer dabei, diesen Wagen zu bändigen. Wir sind noch immer dabei zu lernen, was dieses Fahrzeug genau braucht, um volle Leistung abzugeben. Es ist wirklich ein schwieriges Auto.»
Marchionne verneint, dass Ferrari ein Personalproblem habe, wie es der frühere Weltmeistermacher Flavio Briatore in den Raum gestellt hat. Briatore hatte gemeint, Ferrari komme nicht daran vorbei, ein Werk in England zu haben, weil die ganzen guten Leute eben in Grossbritannien tätig seien.
Marchionne meint: «Ein grosses Problem besteht darin – wie gebe ich den Technikern im zweiten Glied die Möglichkeit, auf ein Niveau zu wachsen, um irgendwann das erste Gleid zu bilden? Es fehlt uns nicht an Fachkräften. Wir müssen es schaffen, die nächste Generation an Technikern nachzuziehen. Wie wir das machen, ist unser Problem, das Talent ist vorhanden.»
«Als Teamchef Maurizio Arrivabene und ich anfingen, haben wir alle Mitarbeiter kennenzulernen versucht. Es ging auch darum herauszufinden, wo sich versteckte Talent befinden. Denen müssen wir es möglich machen, nach oben zu kommen. Gebt uns Zeit, es sind Veränderungen im Gange.»
Aber Zeit ist eben genau, was die Rennställe in der Formel 1 am wenigsten haben. Marchionne weiter: «Genau aus diesem Grund haben wir zum Beispiel Jock Clear geholt. Wir wollen unser Team auf den richtigen Posten ideal ergänzen. Aber wir müssen den bestehenden Fachkräften auch den Raum geben, sich zu entfalten. Darum geht es nicht nur bei Ferrari, sondern auch bei Fiat. Es geht darum, die Ressource Mensch richtig zu nutzen.»
Ferrari wird vorgeworfen, in gewisser Weise etwas altmodisch zu arbeiten. Wenn Mercedes den Hinterachsbereich des Silberpfeils vor dem Rennen gezielt aufheizt, mit massgeschneiderten Geräten und Ummantelungen, dann hat Ferrari in dieser Beziehung den Trend verschlafen, die Reifen im optimalen Druckfenster zu behalten. Aber Marchionne stellt sich vor seine Truppe: «Ich würde uns nicht als altertümlich bezeichnen, wir haben vielmehr eine Struktur, die nicht die modernsten Ansätze bei der Ressource Mensch berücksichtigt. Was wir aber haben: Eine tolle Firma, die wirtschaftlich überaus erfolgreich arbeitet. Mit herausragenden Ingenieuren, mit denen wir etwas riskieren dürfen.»
Die wichtigsten Bereiche, wo Ferrari zulegen muss, gemäss des Chefs: «Chassis und Aerodynamik. Aber die ganzen Geschichten, wonach wir da im Rückstand seien, weil eben die Briten punkto Chassis und Aerodynamik Vorreiter waren, das ist alles Kohl.»
In Sachen Druck und Erfolgsankündigungen meint Marchionne: «Ich habe von meinen Mitarbeitern nie etwas anderes verlangt als ich selber auch machen könnte. Ich glaube, ich habe ein wenig Erfahrung damit, Organisationen auf die Beine zu stellen, die funktionieren.»
Zur Fahrerfrage 2017 meint der Italiener: «Alles hängt von Kimi Räikkönen selber ab. Ob er bei uns bleibt, ist abhängig davon, wie er fährt. Er muss zeigen, dass er sein Cockpit bei Ferrari verdient.»