Sauber-Rettung: Schweizer Leitung, Geld aus Schweden
Der Sauber-Rennstall – seit 1993 Schweizer Aushängeschild in der Formel 1 – wird dem Grand-Prix-Sport erhalten bleiben. Die Schweizer Investment-Gesellschaft Longbow Finance S.A. hat 100 Prozent der Sauber Holding AG übernommen. Damit ist das Formel-1-Unternehmen gerettet.
Das Team bestätigt: «Die Sauber-Gruppe freut sich, eine Änderung der Besitzverhältnisse bekanntgeben zu können. Nachdem eine Übernahmevereinbarung mit den jetzigen Anteilseignern unterzeichnet wurde, hat Longbow Finance S.A. die Sauber Holding AG, als Holdinggesellschaft der Unternehmen der Sauber Gruppe, vollständig erworben. Der neue Eigentümer tritt dieses Engagement mit der klaren Absicht an, die Sauber-Gruppe zu stabilisieren und eine Basis für eine wettbewerbsfähige und erfolgreiche Zukunft zu schaffen. Der neue Besitzer ist ein Garant für die Stärkung der Marke Sauber in der Formel 1 und für das Wachstum in der technischen Entwicklung des ganzen Unternehmens. Es wird keine Änderung seitens des Firmen-, noch des Teamnamens geben. Peter Sauber wird von allen Funktionen zurücktreten. Als Nachfolger tritt Pascal Picci als neuer Verwaltungsratspräsident der Sauber-Gruppe an. Monisha Kaltenborn wird Mitglied des Verwaltungsrates bleiben und das Unternehmen weiterhin in ihren Funktionen als CEO und Teamchefin führen.»
Pascal Picci, Präsident & CEO, Longbow Finance S.A.: «Als Schweizer Unternehmen sind wir sehr erfreut, die Zukunft einer Schweizer Firma in einer hoch spezialisierten und innovativen Industrie zu sichern.»
Monisha Kaltenborn, CEO und Teamchefin: «Wir sind sehr glücklich, dass wir eine Einigung mit Longbow Finance S.A. erzielen konnten, die die Zukunft von Sauber in der Königsklasse des Motorsports sichert. Wir sind sehr zuversichtlich, dass Longbow Finance S.A. der perfekte Partner ist, um das Team in der Formel 1 wieder konkurrenzfähig und erfolgreich zu machen. Gleichzeitig erlaubt die neue Struktur auch, dass wir unser Drittkundengeschäft weiter ausbauen und in neue Bereiche vorstossen können. Diese Lösung ist in bestem Interesse für alle Mitarbeitenden, für die Partner des Teams, für unsere Lieferanten, für den Standort Hinwil und für den Schweizer Motorsport. Wir sind Longbow Finance S.A. sehr dankbar, dass sie an die Kompetenzen, die Fähigkeiten und die Effizienz der Sauber Gruppe glauben und uns diese Chance geben. Wir freuen uns auf eine spannende Zukunft.»
Peter Sauber, Präsident des Verwaltungsrates, Sauber Holding AG: «Monisha Kaltenborn und ich konnten gestern einen Vertrag unterzeichnen, der die Zukunft des Formel 1 Teams und der Sauber Gruppe sichert. Ich bin sehr glücklich, dass sich meine mutige Investition, die vor sechs Jahren mit dem Rückkauf der Firma das Ziel hatte, den Standort Hinwil und den Formel-1-Startplatz zu erhalten, schlussendlich als richtig erwiesen hat.»
Die Frage ist nun: wer steht hinter Longbow?
Die Aktiengesellschaft Longbow Finance S.A. mit Sitz in Lutry (im Kanton Waadt, Westschweiz) wird gemäss Schweizer Handelsregister vom früheren Bankier Raymond J. Bär (57) als Verwaltungsrats-Präsident geführt, operativer Leiter ist der Italiener Pascal Picci (57). Das Unternehmen ist sein zwanzig Jahren in der Sparte Finanzinvestment tätig.
Weder Sauber noch Longbow äussern sich zu Gerüchten, wonach Investoren aus Schweden sowie möglicherweise aus Arabien hinter dem Teamkauf stehe. Es ist jedoch seit Wochen davon die Rede, dass der Verpackungskonzern Tetra Laval der schwedischen Familie Rausing (bekannt durch die Getränkekartons namens Tetra Pak) bei Sauber einsteigen wollte.
Die Söhne von Tetra Pak-Erfinder Ruben Rausing haben das Verpackungsunternehmen ihres Vaters zu einem Weltkonzern ausgebaut, der 2014 10,9 Milliarden Euro umsetzte. Mit Sauber haben die Erben von Ruben Rausing aber nichts zu tun: Gad Rausing starb im Jahre 2000, Hans Rausing ist schon 94 Jahre alt, da hat ein Mann andere Prioritäten als die Formel 1. Aus Schweden ist zu hören – nicht die Familie Rausing steht für Tetra Pak hinter Longbow und Sauber, sondern CEO Dennis Jönsson. Jönsson gilt als grosser Rennfan.
Sollten wirklich schwedische Kronen hinter der Sauber-Rettung durch Longbow stehen, dann dürfte der junge Marcus Ericsson seinen Platz bei Sauber für 2017 auf sicher haben.
Endlich wieder ein potenter Partner
Potente Sponsoren waren bei Sauber in den letzten Jahren Mangelware – so wie bei anderen Formel-1-Teams auch. Der malaysische Konzern Petronas wurde von Mercedes abgeworben. Sauber fuhr 2010 mit dem Logo des «Sauber Club One» auf der Motorverkleidung, einem Konzept der Agentur Publicis: Wer anonymes Mitglied in diesem exklusiven Zirkel wurde, erhielt die Vorteile eines Sponsors – vorwiegend zur Kontaktpflege auf den Rennplätzen mit wirtschaftlich Gleichgesinnten.
Die seit dem Jahr 2000 für Sauber tätige gelernte Anwältin Monisha Kaltenborn wurde zur Geschäftsleiterin ernannt, im Mai 2012 wurden ihr ein Drittel der Anteile am Rennstall übertragen, im Sinne der Kontinuität. Am 11. Oktober 2012 übernahm sie offiziell von Peter Sauber den Posten des Teamchefs.
2011 schien es wirtschaftlich aufwärts zu gehen: dank der Verbindung zur reichsten Familie der Welt. Der Mexikaner Carlos Slim Helú (heute 76 Jahre alt), Herr des Telmex-Imperiums (Telekommunikation) ist mit einem Vermögen von mehr als 80 Milliarden Dollar einer der reichsten Menschen der Welt. Helús Sohn Carlos Slim Domit (48) untersteht das Rennfahrer-Förderungsprogramm von Telmex. Dank Telmex kam Sergio Pérez für zwei Jahre zu Sauber. Telmex hatte gewiss auch nichts gegen die Verpflichtung von Esteban Gutiérrez für 2013.
Ein Reinfall war auch die 2013 angekündigte Kooperation mit einer Reihe von russischen Partnern (Investment Corporation International Fund, State Fund of Development of Nortwest Russian Federation sowie National Istitute of Aviation Technologies). Mit deren Hilfe sollte die langfristige Zukunft des einzigen Formel-1-Rennstalls mit Sitz in der Schweiz gesichert werden. Als Gegenzug sollte der junge Russe Sergej Sirotkin aufgebaut werden. Über die wahren Hintergründe zum Scheitern dieses Bündnisses wurde nie gesprochen.
Ins Leere liefen auch Verhandlungen mit dem steinreichen Lawrence Stroll. Der Kanadier wollte seinen Sprössling Lance mittelfristig in der Formel 1 unterbringen, der talentierte Junge wurde Mitglied der Ferrari-Fahrerakademie. Stroll wollte mehr, Ferrari wollte nicht, Stroll suchte neue Partner, Sauber wollte keine Anteile abgeben, daraufhin zogen Papa und Sohn Stroll zu Williams.
Formel-1-Preisgeld: Im gefährlichen Strudel
In der Formel 1 wird Erfolg belohnt und Misserfolg postwendend bestraft: Sauber schloss die Saison 2010 (das Jahr 1 nach BMW) auf Gesamtrang 8 im Markenpokal ab, 2011 steigerten sich die Schweizer auf Platz 7, 2012 dann auf den sechsten Rang (Mercedes als Fünfte wären sogar in Reichweite gewesen).
Gemäss des Preisgeld-Schemas von Formel-1-Promoter Bernie Ecclestone besteht ein Platz besser oder schlechter aus mindestens zehn Millionen Dollar mehr oder weniger. Es folgten die WM-Platzierungen 7 (2013), 10 (2014, erstmals überhaupt eine Saison ohne Punkte) und 8 (2015).
Gleichzeitig musste Sauber für die neuen Turbo-Motoren ab 2014 rund 15 Mio Dollar im Jahr zahlen, die V8-Sauger kosteten pro Saison rund 9 Millionen. Nicht nur Sauber geriet wegen der sündhaft teuren Antriebseinheiten in Finanznöte: Das ging auch Force India und Lotus so. Caterham hatte zu diesem Zeitpunkt bereits aufgegeben, aus Marussia wurde gewissermassen fünf vor zwölf Manor. Lotus wäre Ende 2015 in die Zahlungsunfähigkeit gerutscht – hätte Renault das Team nicht zurückgekauft.
Kalte Schulter aus der Schweiz
Seit Jahren fragen sich nicht nur Schweizer Fans: Wieso zeigen weltweit tätige Schweizer Grossunternehmen dem Sauber-Rennstall mit wenigen Ausnahmen die kalte Schulter? Die Antwort lautet brutal: Weil sie das Sponsoring bei einem Rennstall nicht brauchen.
Das jahrelange Engagement der Credit Suisse ging auf die Freundschaft zwischen Peter Sauber zum Banker Oswald Grübel zurück. Als Grübel von der CS zur UBS wechselte, versuchte er, den Vorstand von einem erneuten Formel-1-Abenteuer zu bewegen – in Form eines UBS-Sauber. Der Vorstand fand die Idee der Formel 1 prachtvoll, stieg jedoch in Form von Bandenwerbung ein. Hintergrund: Dank Bandenwerbung sind die Logos der Grossbank viel länger im Bild zu sehen als mit dem eigenen Rennwagen.
Genau dies ist auch der Grund, wieso es keinen Sauber in Rolex-Farben gibt (Uhrenpartner von Sauber ist seit anfangs 2016 Edox). Das Wirtschafts-Schwergewicht Nestlé (der grösste Nahrungsmittel-Unternehmer der Welt) war nie an der Formel 1 interessiert.