Hesketh Racing: Querdenker erschüttern GP-Oberschicht
Das ist eines jener Bücher, bei welchen sich der Fan auf den ersten Blick denkt: «Klasse, darauf habe ich schon lange gewartet!» Ein Buch über Hesketh Racing, ein Buch über eine Truppe von Querdenkern, welche die GP-Oberschicht vom ersten Tag an tüchtig das pomadige Haar zerzausten, eine Mannschaft von Leuten, die scheinbar mit Geld um sich warfen, angeführt von einem blutjungen Lord, im Auto ein Haudegen mit Ruf von Kaltverformung zahlreicher Rennautos und zum Tieferlegen noch zahlreicherer Damen, der Firmensitz ein edles Anwesen, Team-Mitglieder, die sichtlich mit Spass an der Arbeit waren und unübersehbar lachten – gute Güte, wo soll das alles noch enden?
Nein, Hesketh ging den etablierten Rennställen so tüchtig auf den Wecker, mit frischen Ansätzen wie später Benetton oder Red Bull Racing. Hier waren Männer (und Frauen) am Werk, die scheinbar völlig unbekümmert ans Werk gingen, aber hinter der Fassade aus Hubschrauber, Yachten und Gästebereichen, in welchen der edle Saft aus der Champagne floss, steckten Männer mit einem diamantharten Willen zum Erfolg. Das Establishment brauchte eine Weile, um das zu erkennen.
Hesketh ist längst zum Kult geworden, und nun haben wir dazu das passende Buch: «Superbears, The Story of Hesketh Racing», die erste Ausgabe war in zwei Monaten vergriffen.
Kein Wunder.
Der Leser verfolgt den rasanten Aufstieg des «grössten kleinen Renn-Teams der Welt», wie sich Hesketh selbstironisch nannte, dazu hat Autor James Page Zugang zu davor noch nie veröffentlichten Bildern und Dokumenten erhalten, auch aus dem persönlichen Archiv von Lord Hesketh. Page hat sich ausgiebig mit Hesketh unterhalten, ebenso mit dessen Wegbegleitern Bubbles Horsley, Beaky Sims oder Nigel Stroud.
Die Formel 1 war in den frühen 70er Jahren an einer Weggabel angekommen. Bernie Ecclestone versuchte, aus der bunt zusammengewürfelten Truppe einen einheitlichen Zirkus zu machen, der Sport wurde professioneller, aber zum Glück war noch viel Raum für Individualität.
Die Rennwagen wurden zu den schnellsten Werbetafeln der Welt, die Rennstallbesitzer versuchten, die rasant steigenden Kosten mit dem Geld von Sponsoren auszugleichen.
Ein patriotischer Adeliger, 22 Jahre alt, wollte ein gewisses Gleichgewicht wiederherstellen. So gut wie keine Sponsoren. Stattdessen ein weisses Auto, privat finanziert. Im Rennwagen jener James Hunt, dem die Medien nach einigen Ausflügen in die Botanik den wenig schmeichelhaften Titel «Hunt, the Shunt» (Hunt, der Unfall) verliehen hatten.
Hesketh und Hunt fanden früh zusammen, waren einander sofort sympathisch, murksten gemeinsam in der Formel 3 herum, es folgte ein kurzer Abstecher in die Formel 2, aber zu diesem Zeitpunkt kam die Einsicht: Wenn schon Geld verbrauchen, wieso dann nicht gleich auf der ganz grossen Bühne?
Und so trat Hesketh nach einem Aufstieg im Zeitraffer tatsächlich bereits in der Formel 1 auf, eroberte im zweiten WM-Lauf Punkte und hätte am Ende des Jahres um ein Haar den Grossen Preis der USA gewonnen.
Alexander Hesketh schaffte es, eine Schar herausragender Einzelkämpfer zu einer Mannschaft zu formen: Angefangen mit seinem Freund Bubbles Horsley, über Designer Harvey Postlethwaite, Ingenieur Nigel Stroud, Chefmechaniker Dave «Beaky» Sims, am Lenkrad der Frauenversteher James Hunt, vor dem Rennen nervös wie ein Rennpferd, da zog sich der Brite schon mal in eine stille Ecke zurück, um sich seines Mageninhalts zu entleeren.
Die etablierten Rennställe verstanden hinten und vorne nicht, wie es Hesketh nach so kurzer Zeit in ihren elitären Kreis schaffen konnte, wieso diese Kerle einen glamouröseren Auftritt hinlegte als sie, wieso diese Truppe ständig so verdammt gute Laune hatte und warum diese lästigen Kerle auch noch erstklassige Racer waren.
Aber Kaviar und Austern mit Champagner, ein Rolls-Royce im Fahrerlager und einfliegende VIP im Hubschrauber mitten ins Fahrerlager, das alles verbarg, wie ernst es dieser Truppe mit dem Formel-1-Sport war, zunächst mit Hunt in einem gekauften March, der bald erheblich modifiziert wurde (der March, nicht der Hunt).
Für die Saison 1974 baute das Team sein eigenes Auto und dies – shocking! – nicht etwa in einer richtigen Rennwagenfabrik, sondern im umgebauten Stallgebäude von Lord Heskeths Anwesen in Easton Neston.
Der Schock sass noch tiefer, als Hunt die International Trophy gewann (ein nicht zur WM zählendes Formel-1-Rennen), einige Male schrammte Hunt 1974 an einem GP-Sieg vorbei. Die grösste Stunde der Emporkömmlinge schlug dann in den Niederlanden 1975, als James Hunt den Ferrari-Star Niki Lauda bezwang, klipp und klar.
Nur im Märchen geht das alles so wunderbar weiter, und sie lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende, und so weiter und so fort. Die Wahrheit holte Hesketh brutal ein: Die Finanzen schwanden, zuerst wollte der Lord keine Geldgeber, dann fand er keinen passenden, um das Auto konkurrenzfähig zu halten. Es begann ein langer Abstieg, Hunt hatte sich längst zu McLaren abgeseilt und wurde dort 1976 Weltmeister, das Team zerbröckelte.
Hesketh Racing hat dank seines einzigartigen Konzepts (mitsamt seines kultigen Teddybär-Logos) die Fantasie von Enthusiasten auf der ganzen Welt beflügelt und ist bis heute einer der einprägsamsten und charismatischsten Namen in der Geschichte der Formel 1.
James Page hat mit Porter Press dieser Mannschaft ein wunderbares Denkmal gesetzt. Endlich wird – mit jedem erdenklichen Zugang und in aller Offenheit der Beteiligten – die gesamte, bemerkenswerte Geschichte eines unvergleichlichen Teams erzählt, von den Anfängen in der Formel 3 und den glorreichen Siegen in Silverstone und Zandvoort bis hin zu den selten behandelten Jahren nach Hunt in der Formel 1 und sogar dem Hesketh-Motorrad (ja, das gab es auch noch).
Page lässt Hauptdarsteller ausführlich zu Worte kommen: angefangen bei Lord Hesketh, dazu Bubbles Horsley, Nigel Stroud, Dave Sims, Peter Gaydon, Rupert Keegan und Frank Dernie. Es schmerzt sehr, dass wir James Hunt (1993) und Harvey Postlethwaite (1999) viel zu früh verloren haben. Sie hätten gewiss dieses vor Anekdoten fast platzende Buch um zahlreiche Geschichten erweitert.
Porter Press, eine Garantie für herausragende Auto- und Motorsportbücher, hat mit Superbears einen Verkaufsrenner auf den Markt gebracht. Das zeigt auch – das Formel-1-Team Hesketh hat Spuren hinterlassen, die Menschen haben diese einmalige Truppe ins Herz geschlossen und nicht vergessen.
Unsere Einschätzung: Dieses mehrfach preisgekrönte Buch gehört in jede Buchsammlung von Formel-1-Fans, mit atemberaubenden Einblicken in eine wunderbare Rennsport-Epoche.
Das Wichtigste in Kürze
James Page: Superbears. The Story of Hesketh Racing
Aus dem Verlag Porter Press, England
ISBN: 978-1-913089-33-7 (Classic Edition)
Text in englischer Sprache
Format 31,5 x 27 cm
264 Seiten
Mehr als 280 Fotos
Für rund 110 Euro im Fachhandel oder direkt bei Porter Press
Erhältlich auch in verschiedenen Sonder-Ausgaben (Collector’s Edition, Team Edition), mehr dazu finden Sie hier