Sachsenring-GP: Dienst am Kunden – ein Fremdwort?
Unser Bericht über den starken Zuschauerrückgang beim Sachsenring-GP 2017 schlug – erwartungsgemäß – hohe Wellen.
Und wir durften wieder einmal ein reizvolles Phänomen beobachten. Vereinzelt werden nicht die Verursacher der Zuschauermisere kritisiert, sondern der Berichterstatter.
Wie bei den alten Griechen: Auch dort wurden die Überbringer der schlechten Nachrichten geköpft, nicht die Verursacher.
Frau Judith Pieper-Köhler aus dem Pressebüro der Sachsenring Rennstrecken Management GmbH brachte es ganz sachlich auf den Punkt: «Wiesinger hasst Ossies.»
Bumm. Da wird man sprachlos.
Was sollte ich, bitteschön, als in der Schweiz lebender Österreicher gegen Bewohner aus den neuen Bundesländern haben?
Für mich ist der deutsche WM-Lauf ein Saisonhöhepunkt, mir gefällt die Gegend, ich genieße die Fahrt über Hof bis Zwickau Ost und durch die charmanten Dörfer bis Oberlungwitz, ich habe seit 1998 in lauter wunderbaren Quartieren gewohnt, vom «Drei Schwanen» in Hohenstein-Ernstthal bis zum «Beierleins» in Callenberg, auch die Kupfermühle war empfehlenswert bis zur Schließung, oder das Bungalowdorf am Stausee Oberwald bei Callenberg.
Ehrlich gesagt: Mir fällt beim besten Willen überhaupt niemand ein, den ich hasse.
Warum auch? Ich hätte nicht den geringsten Grund dazu.
Im Gegensatz zu vielen Wessies gefällt mir der sächsische Dialekt sogar ausgesprochen gut. «Ginda» hört sich ja viel netter an als Günther. Stimmt’s, Fitti?
Wir setzen bei SPEEDWEEK auf zahlreiche wertvolle Mitarbeiter aus Sachsen, ich habe viele Rennfahrer, renommierte Techniker, Journalisten und Fotografen aus dem Osten kennen und schätzen gelernt, dazu Teamchefs wie Freudenberg und Holzhauer sowie neuerdings die Prüstel-Familie, aber es gab natürlich (wie in jeder Gegend) auch ein paar windschiefe Figuren wie den ehemaligen Teammanager des RTG und einen Autoverkäufer, deren Namen mir entfallen sind.
Die beiden gescheiterten MZ-Sanierer Korous und Wimmer waren ja nicht einmal Ossies, sie mussten trotzdem viel Kritik von mir einstecken.
Sachsenring-GP: Die Situation ist verfahren
Zeitweise wird bei der Diskussion um den Sachsenring am Thema vorbei geredet.
Die Situation auf dieser Rennstrecke ist einfach verfahren. Den Vertrag mit der Dorna macht der ADAC in München, das finanzielle Risiko trägt die SRM, sie bezahlt den ADAC Sachsen für die sportliche Ausrichtung und so weiter. Dann mischen der AMC und die P.R.O. Sachsenring GmbH mit, die Tribünen müssen jedes Jahr neu errichtet werden, manche Tribünen stehen auf Privatgrundstücken, dort kassiert die SRM nur 50 Prozent der Einnahmen.
Ein Riesendilemma, das sich die Sachsen selbst eingebrockt haben.
Die SRM-Manager hatten ja keine Pistole auf der Brust, als sie sich 2017 fünf weitere GP-Jahre der Dorna an die Brust warfen und eine betriebswirtschaftliche Gratwanderung in Kauf nahmen.
Die Dorna hat die Gebühren für die GP-Austragungsrechte auf 4 Millionen erhöht, weil die Teams immer mehr Geld fürs Überleben brauchen und deshalb mit rund 50 bis 60 Millionen im Jahr subventioniert werden müssen. Weil anderswo diese Beträge mühelos aufgebracht werden, ob mit oder ohne staatlicher Beteiligung, hat die SRM GmbH als Deutschland-GP-Promoter in den sauren Apfel gebissen – und einfach die Ticketpreise entsprechend erhöht.
Dieser Schuss ging gewaltig in den Ofen. Über drei Tage kamen in Hohenstein am Weekend 47.610 Zuschauer weniger als im Vorjahr. Am Renntag am Sonntag erschienen 15.870 Zuschauer weniger als im Vorjahr, insgesamt kamen an drei Tagen sogar 65.332 weniger als im Jahr 2011.
Damals kostete der Dorna-Deal noch überschaubare 1,7 Millionen, jetzt 4 Millionen.
Natürlich kann man jetzt über die Dorna wettern. Aber die Spanier haben ein wertvolles Produkt geschaffen, die Nachfrage ist hoch.
Wenn in Deutschland eines Tages kein MotoGP-Event finanziert werden kann, wird halt weiter viermal im Jahr in Spanien und zweimal in Italien gefahren, dazu in Thailand, Finnland, Indonesien und so weiter. Jerez, Le Mans, Mugello, Assen, Brünn, Spielberg und Misano sind ja für Fans aus unseren Breitengraden auch reizvolle Destinationen.
Die Formel 1 hat beim Verzicht auf den Deutschland-GP keine dauerhaften Schäden davon getragen.
Ja, und der Termin für den deutschen WM-Lauf wurde am 6. Dezember vom 16. auf den 2. Juli 2017 geändert, wegen des Formel-1-GP in Silverstone.
Klar, der Termin des britischen Fomel-1-Rennens kümmert so manchen MotoGP-Fan herzlich wenig.
Aber kein TV-Sender bezahlt heute Millionen für MotoGP-TV-Rechte, wenn gleichzeitig ein Formel-1-Rennen läuft, denn das zieht bei RTL immer noch 6 bis 10 Millionen Zuschauer an, die MotoGP bei Eurosport nur 500.000.
In den allermeisten Ländern weichen deshalb die MotoGP-Sender der Formel 1 aus, genau so wie sie Wimbledon aus dem Weg gehen, der Tour de France oder der Fußball-WM.
Ich will nicht lange darüber diskutieren, ob eine Terminänderung sechs Monate vor der Veranstaltung zumutbar ist oder nicht. Das muss jeder Fan selber entscheiden. Skirennen werden oft am selben Tag abgesagt, Fußballspiele und Konzerte mitunter auch.
Es muss jeder Fan selber beurteilen und entscheiden, ob er in Sachsen von einem Jahr zum andern 112 Euro für eine Stehplatzkarte (Samstag/Sonntag) zahlen will statt 80.- und für die preiswerteste Tribünenkate 137.- statt 109.- Der teuerste Tribünensitzplatz kostete beim MotoGP-Rennen am Sonntag übrigens 179 Euro.
Der Kunde ist König. Wir haben es mit mündigen Bürgern zu tun; sie entscheiden selbst, ob sie lieber um 112 Euro einen Stehplatz in Sachsen oder einen Sitzplatz in der «Strubben» in Assen kaufen.
Wenn das Produkt Sachsenring-GP in diesem Jahr so viel weniger Zuspruch fand, dann werden sich die Verantwortlichen etwas einfallen lassen müssen.
Man kann es sich freilich auch leicht machen und die Kritiker als Ossie-Hasser betiteln.
Ob diese Strategie hilft, um das riesige Defizit nachhaltig zu verringern, wird sich zeigen.
Aber die SRM hat es in fünf Jahren nicht geschafft, den Ankerberg-Betreibern einen Obolus abzuringen, der Campingplatz ist ein Riesengeschäft, aber der GP-Promoter sieht davon keinen Cent.
Und wenn sich jemand über die saftig gestiegenen Ankerberg-Preise wundert, waschen die SRM-Mtarbeiter ihre Hände in Unschuld: «Der Ankerberg läuft autark und gehört nicht zur Veranstaltung.»
So sieht es die SRM. Aber der zahlende Kunde macht die Gesamtrechnung und wirft alles in einen Topf. Das ist ein gutes Recht.
Offenbar fahren die SRM-Damen nicht nur den kritischen Berichterstattern gern über den Mund, sondern auch den zahlenden Kunden, wenn diese zum Beispiel auf der SPEEDWEEK-Facebook-Seite die Parkplatzsituation bemängeln.
So ein herablassendes Abkanzeln versteht man bei der SRM wohl als Dienst am Kunden.
Offenbar brennen bei der SRM manchmal recht rasch die Sicherungen durch. Es wird heute sogar von SRM-Postings mit dem gestreckten Mittelfinger als freundliche Botschaft an SPEEDWEEK.com berichtet. Nach ersten Beschwerden werden diese irrlichternden, emotionalen Hass-Postings von der SRM halt wieder gelöscht.
Was ist das für ein Niveau, Herr Bürgermeister Streubel?
Sie werden doch in Ihrem näheren Umfeld keine ehrenwerten Mitarbeiterinnen dulden, die Österreicher hassen?
Oder ist gar das Grundrecht der Pressefreiheit und Meinungsfreiheit 28 Jahre nach der Wiedervereinigung bei der SRM unter Herrn Streubel noch keine Selbstverständlichkeit?
Merkwürdig: Wenn man auch nur vorsichtig eine andere Möglichkeit erörtert und den Nürburgring als deutschen GP-Schauplatz ins Spiel bringt, ist man bei der SRM wohl gleich ein Landesverräter.
Wir sind nach den Zuschauerpleiten in Hockenheim 1992 und Nürburging 1997 alle mit viel Begeisterung zum neuen GP-Schauplatz nach Sachsen aufgebrochen.
In Baden-Württemberg und in der Eifel hat mich damals keine kratzbürstige Pressechefin als Wessie-Hasser tituliert.
Es wäre wirklich interessant zu beobachten, wie sich das MotoGP-Produkt, das 1997 in einem fragwürdigen Zustand war und heute mit Rossi, Márquez und Co. und sechs Herstellern rockt, heute in der Eifel verkaufen würde.
Deutschland ist ja wiedervereinigt worden, so viel ich weiß.
Also sollte es doch zumindest gestattet sein, einmal laut darüber nachzudenken, ob nach 20 Jahren wieder einmal ein Grand Prix im Westen stattfinden könnte.
Vielleicht täte dem Sachsenring eine Nachdenkpause ganz gut.
Vielleicht könnte man ja abwechseln, ein Jahr Nürburgring, ein Jahr Sachsenring. Dann könnten ein paar hitzige Köpfe bei der SRM zwischendurch einmal ein Jahr lang abkühlen.