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Katar-GP: Umleitungen, Protz und viele offene Fragen

Kolumne von Günther Wiesinger
Wer ein paar Tage in einer arabischen Metropole wie Doha verbringt, versteht die Welt nicht mehr. Erzählungen aus dem Mittleren Osten, wo Umweltschutz klein und Protz groß geschrieben wird.

Der Katar-GP 2019 wird uns vielleicht in erster Linie wegen des Protests von Honda, Suzuki, KTM und Aprilia gegen den Hinterradflügel in Erinnerung bleiben. Viele Teammitglieder sprachen aber jeden Tag über die Hunderte Baustellen, die sich täglich bei der Fahrt vom Hotel in Doha zur Rennstrecke Losail International Circuit in den Weg stellten. Wer sich auf Google verließ, fuhr womöglich eine Stunde im Kreis, weil Google gar nicht so schnell schauen kann, wie in Doha und Umgebung wieder eine achtspurige neue Autobahn eröffnet, ein Tunnel gesperrt oder eine Zufahrtsstraße blockiert wird.

Es war unterhaltsam. Am Donnerstag fand ich den Weg zur Strecke aus dem Gedächtnis in ca. 24 Minuten. Tags darauf irrte ich 3 km vom Hotel entfernt dreimal im Kreis, weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass plötzlich kein Weg mehr auf die sechsspurige Autobahn führen sollte, die ich tags zuvor frequentiert hatte.

Ich traf im Laufe meiner Suche eine ortskundige junge Dame aus Doha, die selbst planlos herumirrte. Sie schlug vor, ich solle ihr folgen. Aber sie bog irgendwann falsch ab und kam nie wie geplant zum Golf Club, von dem die Straße schnurschnacks zur GP-Piste und zum Lusail Sports Centre samt Shooting Ranch führt, einem Riesenkomplex, in dem vor ein paar Jahren die Handball-WM stattgefunden hat.

Schließlich fragte ich zwei nette Polizisten, die in einem Riesen-SUV des Weges kamen, nach dem Weg zum Losail Circuit. Sie waren äußerst hilfsbereit und gaben mir zuerst einmal Geleitschutz bis Lusail City, das ist eine menschenleere neue Satellitenstadt, die bei der Fußball-WM bis zu 250.000 Menschen beherbergen soll.
Ich machte den Freunden klar, dass ich zur GP-Piste wolle. Mit dem Begriff «Motor Cycle Grand Prix» konnten sie nichts anfangen.

Dann dämmerte es dem Chauffeur: «Rallye?» Ich bejahte, also gaben sie mir Geleitschutz zu jener Autobahn, bei der ich vorher dreimal im Kreis gefahren war. Den Polizisten erging es ähnlich, sie drehten drei Ehrenrunden, dann fuhr ich in ihrem Schlepptau ein Stück gegen die Fahrtrichtung, und am guten Ende entdeckten wir ein rares Schild mit der Aufschrift «DIVERTED TRAFFIC».

So eines hatte ich auch schon vereinzelt zu Gesicht bekommen, aber bei der nächsten Abzweigung war keine Umleitung gekennzeichnet, bei den nächsten vier Kreuzungen auch nicht.

Doch die beiden Polizisten fanden zwischendurch eine schmale Abkürzung zum heiß ersehnten Hotspot Golf Club, ab dort fanden sich regelmäßig Schilder «DIVERTED TRAFFIC», dazu sogar neu aufgestellte, mobile Tafeln mit der Bezeichnung «CIRCUIT». Die durfte man aber nicht immer ernst meinen, denn manchmal lag die gewünschte Richtung 180 Grad gegensätzlich, oder zumindest 90 Grad.

Dafür hatten die Katari offenbar die CIRCUIT-Schilder in so großer Anzahl hergestellt, dass sie auch dann auf der Autobahn in kurzen Abständen begeistert platziert wurden, wenn 5 km weit gar keine Abzweigungsmöglichkeit bestand.

Am Abend nutzte ich die höchst empfehlenswerte Navi-APP «WAZE», die in Doha und allen Vororten extrem ortskundig war, mit jeder Umleitung per Du war, jede mobile Baustelle kapierte und bei der Hinfahrt zu Mittag eine komplett andere Route empfahl als beim Heimfahren in der Nacht.

Selbst Dorna-Chef Carmelo Ezpelete verriet: «Samstagmittag habe ich mich nach drei Tagen erstmals nicht mehr verirrt.»

Katar steckt voller Widersprüche

Das Land Katar selbst steckt voller Widersprüche. Und solange dort ein halber Tank für ein Mittelklasseauto 51 Riyal kostet (ca. 10 Euro), eine Packung köstlicher Datteln am Flughafen aber 105 Riyal (ca. 20 Euro), solange werden wir in Doha weiter die höchste vorstellbare Dichte an spritsaufenden V8-SUV vorfinden. Und wir müssen uns nicht wundern, wenn die Einheimischen selbst bei 24 Grad vor den Einkaufszentren die Motoren ihrer Vehikel wegen der Air-Condition laufen lassen. Notfalls stundenlang.

Für manche Bewohner gilt das Emirat Katar am Persischen Golf als Schlaraffenland. Denn das Gesundheitswesen ist kostenlos, es gilt Steuerfreiheit, der Erdgasreichtum sorgt für ein extrem hohes Pro-Kopf-Einkommen, der Handelsüberschuß betrug 2018 nicht weniger als 52 Milliarden US-Dollar, der Treibstoff kostet nur 40 Cent pro Liter. Und in der Theorie erlebt Katar nur 22 Regentage im Jahr – null davon im Oktober.

In den letzten Jahren klagten die Teams bei den Katar-WM-Meetings (MotoGP und Superbike) oft über das jämmerliche Wetter. Es sei das Ergebnis jahrzehntelanger Umweltverschmutzung im Mittleren Osten, wo Begriffe wie Umweltschutz und Energiesparen gar nicht existieren, wird erzählt.

Ich kam 2005 zum ersten Mal in Doha, damals lebten 400.000 Menschen im Land, jetzt sind es 2,6 Millionen. Der Zuwachs ist auf lauter ausländische Arbeitskräfte zurückzuführen.

Die Idee der Herrscher: Wenn Erdgas und Erdöl versiegen, werden wir vom Tourismus leben – ein ähnliches Konzept wird in Dubai und in den anderen Emiraten vorgelebt.

Unbeschreiblich, was in Katar in den letzten 15 Jahren in die Infrastruktur investiert wurde, in achtspurige Prachtstraßen, in Eisenbahnlinien, in unzählige Luxushotels vom Ritz Carlton übers Hyatt bis zum Steigenberger, Marriott und Intercontinental, in den neuen Hamad International Airport, in modernste Sportstätten, denn es fand und findet dort bis zur Fußball-WM 2022 jedes Jahr eine Weltmeisterschaft statt, von der Handball- bis zur Rad-WM, demnächst ein PGA-Golf-Turnier.

Aber wir kennen auch die Schattenseiten von Katar. Von sklavenartigen Zuständen bei den Bauarbeitern hören wir nicht nur im Zusammenhang mit dem Bau der Stadien für die Fußball-WM.

Selbst die ausländischen Fußballspitzenspieler müssen ihre Pässe abgeben, sie können den Club nur wechseln, wenn die Obrigkeiten es erlauben, es geht zu wie beim Sklavenhandel, es trifft auch Schweizer, Belgier und Franzosen.

Geld spielt in Katar offenbar keine Rolle. Die Metropole Doha hat sich Richtung Rennstrecke Losail International Circuit ausgedehnt, die Piste wird bald am Stadtrand liegen, die neue Satellitenstadt Lusail City mit 250.000 Einwohnern wurde schon in die Nähe gepfercht, auch die künstlich ins Meer geschüttelte Luxuswohngegend «The Pearl» ist nur 20 Minuten weg. Die alte vierspurige Autobahn zur Rennstrecke lag wohl inzwischen zu nahe am Meer. Also wurde sie vor einem Jahr dem Boden gleichgemacht und durch eine neue achtspurige Autobahn 2 km weiter im Landesinneren ersetzt. 

Die Ufer-Prominade ist überlastet

Nirgendwo sonst auf der Welt sieht man seit zehn Jahren so viele Baukräne pro Quadratkilometer wie in Doha.

Die herrliche Corniche-Promenade am Meer, immerhin meist achtspurig, ist längst überlastet und meist hoffnungslos verstopft. Dort sieht man am Regierungspalast auch die Nationalgarde am Zaun entlang reiten, natürlich auf Kamelen.

Das Autofahren in Doha ist ein Abenteuer. In erster Linie deshalb, weil offenbar in Katar jeder ohne Führerschein einen Pkw lenken kann, es gilt das Recht des Stärkeren, in den Kreisverkehren kennt niemand das Vorrangsystem, man agiert nach Gutdünken, rote Ampeln werden nicht ernst genommen.

Dafür sieht man täglich zirka 500 Schilder mit der Aufschrift «Deviation», das steht für Umleitung. Die Verkehrsführung ändert sich wegen der massiven Bauarbeiten von Minute zu Minute.

Manchmal geht die Übersicht verloren, dann sieht man plötzlich ein Hinweisschild für einen Radweg irgendwo im staubigen Nirwana neben der Autobahn. Einen wirklichen Radweg habe ich in 15 Jahren in Doha noch nicht gesehen.

Wegen der Hitze wird bei Nacht und Flutlicht Golf gespielt, es wird ein Nacht-GP gefahren, die Energieverschwendung wird ignoriert, im benachbarten Wüstenstaat Dubai wird sogar Indoor-Ski gefahren.

Die achtspurige Autobahn von Doha City zum neuen Flughafen ist so taghell erleuchtet, dass man beim Leihwagen mit gutem Gewissen das Licht ausschalten könnte.

Dafür haben sie beim pompösen neuen Flughafen kurzerhand auf eigene Mietwagenparkplätze vergessen. Also wird jeder Kunde von Hertz, Avis oder Sixt persönlich von einem aufmerksamen Mitarbeiter ins Parkdeck «Eastern Car Park Ground Level» geleitet, dort steht irgendwo auf dem Platz A319 mein Ford Focus, der Begleiter bezahlt mein Parkticket – und wünscht mir gute Fahrt. Auch eine Beschäftigungstherapie. Dann spaziert mein Freund wieder 700 Meter zurück ins ca. zwei Quadratmeter große Hertz-Office, das mitten auf einem Gang steht. Auf die Büros für die Leihwagenfirmen wurde nämlich auch vergessen.

Und hier sollen im November und Dezember 2022 bis zu 48 Länder die Fußball-WM bestreiten und sich Millionen Zuschauer zurechtfinden. Was wird man beim Bau der Stadien alles vergessen?

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