Hervé Poncharal (KTM): «Moto2 war ein Mysterium»
Der französische Red Bull-KTM-Tech3-Teambesitzer Hervé Poncharal erlebte 2019 seine erste Saison mit KTM. In der Moto2-Klasse war Tech3 seit 2010 mit dem Eigenbau Tech3-Mistral 610 angetreten. 2010 feierte es sogar einen Sieg – in Catalunya durch den Japaner Yuki Takahashi. In der Marken-WM landete Tech3 2015 und 2016 auf dem dritten Platz.
Doch die Saison 2019 mit KTM und den Rookies Marco Bezzecchi und Philipp Öttl verlief enttäuschend. Teamchef Poncharal sah sich das Unheil während der Rennen manchmal gar nicht mehr in seiner Box an. Er trank lieber einen Kaffee in der Red Bull Energy Station – und starrte ungläubig auf den TV-Monitor.
Am Jahresende hatte Bezzecchi, 2018 noch dreifache Moto3-GP-Sieger und WM-Dritter, als WM-23. in 19 Rennen nur 17 Punkte gesammelt. Öttl brachte keinen einzigen Punkt zustande, er fuhr nur viermal in der ganzen Saison in die Top-20. Zweimal als 19., je einmal als 18. und 20.
«Die Moto2-Saison im Jahr 2019 stellt vielleicht eines der größten Mysterien im Motorradrennsport der letzten Jahre dar», meint Poncharal. «Denn seit sich KTM im vergangenen August beim Österreich-GP zum Rückzug als Chassis-Hersteller per Saisonende entschieden hat, haben wir keine neuen Entwicklungsteile mehr bekommen. Das gilt nicht nur für das Tech3-Team, das war auch im Ajo-Team mit Brad Binder und Jorge Martin so. Keiner hat mehr etwas gemacht. Aber plötzlich ist Brad pausenlos aufs Podest gefahren, er hat in der zweiten Saisonhälfte fünf Siege gefeiert, er hat den Titel gegen Alex Márquez nur um drei Punkte verspielt. Man kann also sagen: Mit drei Punkten mehr wäre er Weltmeister geworden. Dabei hat sich seit August nichts mehr geändert. Motorrad und Fahrer blieben gleich.»
Wie lässt sich diese zweite Saisonhälfte von Brad Binder erklären? «Er war im Juni noch WM-Zwölfter», wundert sich Poncharal. «Das Motorrad wurde damals als ‘unfahrbar‘ bezeichnet. Es gab nachher ab Jerez die Version V3, die V5, die V6 und V7. Aber diese letzte Chassis-Version haben Binder und Martin abgelehnt, sie wurde nur in Brünn eingesetzt. Beide Fahrer sind nachher zum Chassis V6 zurückgekehrt. Gleichzeitig ist Lecuona als Privatfahrer die ganze Saison mit dem V3-Modell gefahren. Er hat sich nie beschwert. Er hat acht Top-Ten-Ergebnisse erzielt, er fuhr in Buriram auf Platz 3, in Sachsen ist er mit Aussicht auf einen Podestplatz in der letzten Kurve gestürzt. Die WM hat er als Zwölfter abgeschlossen.»
Bezzecchi brauchte lange, bis er mit der KTM RC12 einigermaßen zurechtkam. Im ausfallsreichen WM-Lauf in Assen schaffte er Platz 10, aber bei den Rennen zurvor kam er teilweise über die Ränge 26, 22 und 23 nicht hinaus.
Poncharal: «Unsere Fahrer sind am Ende der Meisterschaft schneller gewesen. Bezzecchi hätte in Australien aufs Podest fahren können, aber er schied nach einer Kollision mit Lecuona aus. Und plötzlich hatte er am Motorrad nichts mehr auszusetzen. Zu Beginn der Saison schimpfte er, es sei unmöglich, mit diesem Bike zu fahren.»
Übrigens: Bezzecchi und Öttl waren auf der Version V5 unterwegs, die ungefähr ab Assen ins Spiel kam. Die KTM V6 stand nur Binder und Martin zur Verfügung.
Vom punktelosen Philipp Öttl hatte sich Poncharal viel mehr erwartet. Immerhin hat der Bayer 2018 den Moto3-WM-Lauf in Jerez in starker Manier gewonnen.
«Philipp hat sich bei den Wintertests schwer getan, und er hat sich dann nie erholt und nie verbessert. Ja, klar, er hat sich gesteigert, aber das gelang der Konkurrenz auch, deshalb hat sich an den Platzierungen und Rückständen nichts geändert», seufzt Poncharal. «Aber ich will Philipp nichts Schlechtes nachsagen. Er hat sich bemüht, er hat sein Bestes gegeben. Er ist ein netter Kerl. Aber das zählt im Rennsport wenig. Du willst einen Fahrer haben, der die gewünschten Ergebnisse abliefert. Aber ich bin überzeugt: Was Öttl in der Moto2 gelernt hat, wird sich bei ihm 2020 in der Supersport-WM als hilfreich erweisen.»