Tom Lüthi (34): «Denke auch jetzt nicht ans Aufhören»
Tom Lüthi hat noch große Ziele
Tom Lüthi hat die Moto2-WM seit 2010 auf den Rängen 4, 5, 4, 6, 4, 5, 2 (2016) und 2 (2017) sowie 3 (2019) beendet, dazwischen hat er sich 2018 einen punktelosen Ausflug bei Marc VDS in die MotoGP-WM mit einer Honda RC213V geleistet. In diesem Jahr wollte er endlich zum ersten WM-Titel in der Mittelgewichtsklasse stürmen. Doch mit 34 Jahren musste er jetzt zusehen, wie der Motorsport zum Stillstand gekommen ist.
Tom Lüthi fährt das zweite Jahr beim deutschen Liqui Moly IntactGP-Team; er hat dort 2019 den Texas-GP gewonnen, vier zweite und drei dritte Ränge errungen. Den Titelkampf gegen Alex Márquez verlor der 34-jährige Eidgenosse, beim Finale schnappte ihm Brad Binder sogar noch den zweiten WM-Rang weg.
Jetzt bleibt Tom Lüthi nichts anderes übrig, als auf die Eindämmung der Covid-19-Pandemie und auf ein Notprogramm für die WM-Saison im Herbst zu hoffen.
Der Kalex-Pilot und 17-fache GP-Sieger ist sich bewusst, dass die Grenzschließungen, Ausgangsbeschränkungen, Reiseverbote und Abstandregeln noch eine ganze Weile aufrecht bleiben werden und dass ohne Impfstoff keine Großveranstaltungen wie ein Motorrad-GP erlaubt sein werden.
Deshalb stellt sich die Frage, wie Dutzende japanische Ingenieure in absehbarer Zeit von Japan nach Europa kommen sollen, noch dazu in schwer betroffenen Länder wie Italien, Frankreich und Spanien. Auch Moto2-Kollegen wie der Malaysier Syahrin oder andere Asiaten wie Chantra, WM-Leader Nagashima und der WM-Vierte Joe Roberts (USA) können ja nicht diskriminiert und vom Rest der WM ausgeschlossen werden.
«Diese Probleme sind mir alle bewusst. Aber ich muss mich trotzdem fithalten. Ich darf mental nicht in ein Loch fallen. Aber die Planung ist absolut schwer», räumt Lüthi im Interview mit SPEEDWEEK.com ein. «Diese Pandemie ist eine sehr krasse Angelegenheit. Ich nehme das gar nicht auf die leichte Schulter. Ich bin mir der Probleme bewusst. Aber ich kann vorläufig wie alle anderen nicht abschätzen, wie und wann es weitergeht.»
Tom Lüthi hat 2002 mit 15 Jahren auf dem Sachsenring in der 125-ccm-Weltmeisterswchaft debütiert. Seither hat er viele Zwischenfälle, Rückschläge und Katastrophen miterlebt, von schweren Verletzungen bis zum Tsunami, zum Vulkanausbruch auf Island und der Atomkatastrophe in Fukushima. Aber eine so dramatische Situation wie die Pandemie hat er natürlich nie mitgemacht.
Kam dem 34-jährigen Haudegen mit bisher 287 GP-Einsätzen deshalb in den letzten Wochen nie der Gedanke, den Krempel hinzuschmeißen und den Titelkampf den Teenagern und Youngstern in der Moto2 zu überlassen?
Lüthi stellt klar: «Ich habe immer noch hohe Ziele und bin überzeugt, dass ich sie erreichen kann. Egal, wann es weitergeht. Ich bin noch fit, ich bin in Form und mental gut vorbereitet. Unser ganzes Paket für die Moto2-WM steht bereit. Klar, wir haben vorübergehend auf ‘Pause’ gedrückt. Logisch. Aber ans Aufhören denke ich überhaupt nicht. Ich habe eher das Gefühl: Ich habe im GP-Sport noch eine Aufgabe zu erledigen. Ich habe die nötige Power und weiß, was ich mit ihr machen kann…»
Tom Lüthi spricht das zwar nicht gern direkt an. Aber wie seine «hohen Ziele» aussehen, ist klar. Er will endlich Moto2-Weltmeister werden. «Auch wenn das Katar-GP-Wochenende mit dem zehnten Platz überhaupt nicht nach unseren Vorstellungen verlaufen und dann der Lockdown gekommen ist. Trotzdem ist es wichtig für uns alle, dass wir den Humor bewahren und die Lebensfreude. Das gilt nicht nur für uns Sportler, sondern für alle Menschen. Denn irgendwann wird dieser Schreck vorbei sein. Jeder muss versuchen, jetzt schlau zu sein und mit gesundem Menschenverstand zu leben. Man muss das Leben trotzdem so gut wie möglich genießen. Das ist wichtig.»
Lüthi hat 2005 auf einer privaten Honda die 125er-WM gewonnen. Seit 2007 rennt Tom vergeblich dem Titel in der Mittelgewichtsklasse hinterher. Nach 15 Jahren wird es langsam wieder Zeit, dass die Schweiz einen GP-Weltmeister feiern kann.
(Er lacht). «Ja, das ist so. Da hast du recht, da kann ich nicht widersprechen… Bisher haben wir es nie zusammengenbracht. Deshalb wird das Gefühl immer stärker, dass die Aufgabe noch nicht erledigt ist. Es fühlt sich wirklich so an. Deshalb warte ich gespannt, wann es weitergeht. Ich bin überzeugt, dass ich dieses Ziel noch verwirklichen kann.»