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Jürgen Lingg: «Deutscher Nachwuchs macht uns Sorgen»

Von Günther Wiesinger
Japan-GP 2014: Jürgen Lingg mit Sandro Cortese

Japan-GP 2014: Jürgen Lingg mit Sandro Cortese

In Deutschland fehlt der GP-Nachwuchs. Jürgen Lingg, Crew-Chief von Sandro Cortese und Teilhaber des Dynavolt Intact-GP-Teams, macht sich Gedanken.

Sandro Cortese und die drei Dynavolt-Intact-GP-Teamteilhaber Jürgen Lingg (Technical Director), Stefan Keckeisen (Intact) und Wolfgang Kuhn (Kuhn Bau AG) sind am Wochenende aus China zurückgekehrt, wo sie Hauptsponsor Leonard Chen (Dynavolt-Batterien) besucht haben.

Jetzt wird im Teamhauptquartier in Memmingen das Material für die ersten IRTA-Tests im Februar vorbereitet.

Das Allgäuer Moto2-Team hat es sich zur Aufgabe gemacht, auch nach deutschen Talenten Ausschau zu halten, deshalb wird Matthias Meggle von Intact unterstützt, der 2014 im ADAC-Junior-Cup Platz 3 belegte und jetzt beim Freudenberg-Team die Standard-Moto3-IDM bestreitet.

Aber Jürgen Lingg kommt beim Thema Nachwuchs ins Grübeln, weil seit zwei Jahren kein deutscher Fahrer in der Moto3-WM gepunktet hat: Toni Finsterbusch und Florian Alt gingen bei Kiefer Racing 2013 leer aus, im Vorjahr Luca Grünwald.

«Das deutsche Nachwuchsproblem macht uns Sorgen», sagt Lingg. «Ich mache mir meine Gedanken, SPEEDWEEK.com hat in letzter Zeit viel darüber geschrieben. Ich habe das aufmerksam verfolgt und auch mit Adi Stadler von HRC darüber gesprochen. Ich kann nicht richtig einschätzen, ob es einfach zu wenig Fahrer gibt oder ob sie nicht so verrückt und ehrgeizig sind wie wir damals... Vielleicht gibt es heute zu viele andere Freizeitmöglichkeiten. Ich werde die Szene in diesem Jahr genauer beobachten und sicher einmal zu einem IDM-Rennen gehen, damit ich mir ein Bild machen kann. Mit Michael Freudenberg habe ich schon darüber geschwätzt. Er sagt, der einzige von den Jungen, der etwas werden könnte, ist Jonas Geitner. Das Hauptproblem ist, dass es zu wenig Talente gibt.»

«Die ganzen Förderungen hin und her, aber wir haben früher auch keine Kohle gehabt und sind trotzdem irgendwie Rennen gefahren», gibt Lingg zu bedenken. «Heute will niemand mehr auf irgendwas verzichten.»

Ein Blick auf den Red Bull Rookies-Cup macht die deutsche Nachwuchsproblematik besonders deutlich: Der Deutsche Aris Michail hat dort 2013 und 2014 keine grosse Rolle gespielt, vor sechs Jahren mischten dort noch Reiterberger, Kartheininger, Schönberger und Glöckner mit, 2012 stritten dort noch Florian Alt und Philipp Öttl um den Gesamtsieg.

Für 2015 wurde kein Deutscher mehr für das 24 Fahrer starke Rookies-Feld selektioniert – zu langsam oder zu gross gewachsen.

In der IDM wird Jürgen Lingg erleben, dass jene Nachwuchsklassen keine Rolle mehr spielen, die in der Vergangenheit viele Talente hervorgebracht haben. Die 125er-Zweitakt-Klasse ist gestorben, die Moto3-IDM war 2013 eine Farce und wurde jetzt wiederbelebt. Und der ADAC-Junior-Cup hat auf KTM RC390-Maschinen umgestellt. Diese Einzylinder-Viertakter haben zu wenig Rennmaschinencharakter, bemängeln die Experten.

Von der neuen 250-ccm-Stock-Viertakt-Europameisterschaft hat Jürgen Lingg bis zum gestrigen Bericht auf SPEEDWEEK.com nichts gehört, bei anderen deutschen Teambesitzern wird es ähnlich sein.

Also muss sich FIM Europe-Präsident Dr. Wolfgang Srb die Frage gefallen lassen, ob sein Verband ein Kommunikationsproblem habe.

Und wenn sich diese angebliche Kontinental-Meisterschaft zur Gänze in Ungarn, Tschechien, in der Slowakei und Kroatien abspielt, muss bei der Kalenderplanung auch irgendetwas gründlich schief gelaufen sein.

Dazu haben die Italiener offenbar einen Informationsvorsprung. Franco Moro hat bereits ein 36 PS starkes Motorrad für 10.000 Euro präsentiert, es wurde grossteils aus spanischen Sherco-Teilen zusammengesetzt.

Intact-Team sucht deutsche Talente

Das Dynavolt Intact-GP-Team würde 2016 gern einen zweiten GP-Fahrer und am liebsten ein deutsches Talent aufbauen.

«Wenn wir einen Fahrer mit Perspektiven sehen, aus dem international etwas werden könnte, dann könnten wir überlegen, ob wir ihn in die IDM oder nach Spanien schicken. Ich bin der Meinung, dass wir da etwas machen sollten und auch machen könnten. Das könnte auch über ein Joint Venture mit einem bestehenden nationalen Team organisiert werden», sagt Lingg. «Man müsste da zweigleisig fahren und das nationale Team komplett vom GP-Team trennen. Aber zuerst muss ein Fahrer gefunden werden, der förderungswürdig ist.»

Lingg plädiert auch dafür, den Talenten mehr Zeit zu geben. «Ich kann zum Beispiel Luca Grünwald nicht wahnsinnig gut einschätzen. Aber ich denke, er ist besser als das, was er 2014 in der WM gezeigt hat. Da stellt sich zum Beispiel die Frage, ob ein GP-Jahr ausreicht... Bei manchen Fahrern dauert es eben ein bisschen länger, bis der Knoten aufgeht. Grünwald hat in der IDM immer gute Ergebnisse herausgefahren. Er hat in der WM nicht viel Zeit gekriegt, sich zu bewähren. Das nächste Problem ist: Fahrer wie Reiterberger, Kartheininger und Grünwald driften dann ab in irgendeine IDM-Klasse, sie kommen nie mehr zurück in den GP-Sport, in die Moto3 oder Moto2. Deshalb muss danach getrachtet werden, dass die Talente in der Moto3-IDM eine echte Chance kriegen. Der Aufstieg in die GP-Klassen funktioniert nur über die Moto3.»

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