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Harry Everts: Sein Leben mit Kinderlähmung

Kolumne von Thoralf Abgarjan
Harry Everts kam mit Kinderlähmung zur Welt

Harry Everts kam mit Kinderlähmung zur Welt

Im Interview der Woche berichtet der vierfache Motocross-Weltmeister Harry Everts, wie er die heimtückische Virusinfektion Polio besiegte und wie er die Fehde zwischen Falta und Moissejew in Wohlen 1974 erlebte.

Nachdem Harry Everts im Jahre 1975 zum ersten Mal Weltmeister in der 250-ccm-Klasse geworden war, zeichnete sich schon der Anfang vom Ende des Werks-Engagements des österreichischen Herstellers Puch ab. Wie Everts schon im ersten Teil des 'Interviews der Woche' berichtete, erhielt er für die WM 1976 die 'Harry Everts Replica', die nur eine Kopie des 1975er Werksmotorrads war.

Dieses Motorrad mischte 1975 die Motocross-Welt mit ihrem neuartigen Konzept des Doppelvergasers auf. 1976 reichte es damit noch zum 5. Platz in der 250er Klasse. 1977 wurde Everts von Bultaco als Werksfahrer engagiert; er wurde WM-Vierter und 1978 WM-Sechster. «Die japanischen Motorräder sind auf der Geraden an mir vorbeigegangen. Ich konnte machen, was ich wollte, ich hatte keine Chance. Ich wollte zu Suzuki wechseln.»

Mit der Technik war der Belgier in seiner Zeit bei Bultaco nicht mehr zufrieden. Die japanischen Marken, allen voran Suzuki, übernahmen das Zepter. «Es war damals mein Traum, bei einem japanischen Hersteller unterzukommen. Ich bin in der 250er-Klasse Weltmeister gewesen und Suzuki hat mir ein Angebot für die 125er-Klasse unterbreitet. Ich war klein und leicht und brachte die besten Voraussetzungen für die 125er mit. Als ich dann dreimal Weltmeister wurde, wollte ich nicht mehr in dieser Klasse bleiben.»

Eric Geboers war der neue Stern am Motocross-Himmel. 1981 hatte er Everts bereits mehrere Laufsiege abnehmen können und auch das Saisonfinale in Mongay (Spanien) gewonnen. «Ich wusste, dass die jungen Fahrer wie Eric Geboers nachrücken und war nicht mehr motiviert. Ich wollte die Klasse wechseln. Dann habe ich von Suzuki einen besser dotierten Vertrag bekommen. Ich sollte noch ein Jahr in der 125er WM fahren und dazu ein Jahr, in dem ich mir die Klasse aussuchen konnte.»

1982 wurde dann tatsächlich das Jahr von Eric Geboers. «Ich bin WM-Vierter geworden», erinnert sich Harry Everts. «Danach bin ich 1983 in die 500er-Klasse gewechselt. Ich hatte keinerlei Probleme mit der Umstellung. Aber mein Problem mit der 500er war: Das Fahrwerk taugte nichts.»

Anfang der Saison 1983 hatte Everts so große Probleme, dass er ein Ultimatum stellte. «Ich rief den Manager an und sagte: Entweder bekomme ich ein anderes Federbein, oder ich höre auf. Zwei Wochen später habe ich mit dem neuen Federbein meinen ersten 500er Grand-Prix gewonnen.»

Die Gegner von Harry: Hakan Carlqvist und André Malherbe. Am Ende des Jahres entschied sich Suzuki zum überraschenden Rückzug aus der WM. «Ich war 33 Jahre alt. «Das war für mich ganz schlecht. Ich kam bei Husqvarna unter. Aber ein schwerer Unfall beendete meine Karriere.»

Everts' größter Triumph fand aber nicht auf der Strecke statt. Es war sein Sieg über eine heimtückische Virusinfektion. Harry Everts wurde mit Polio (Kinderlähmung) geboren. «Ich war 6 Jahre alt, als ich zum ersten Mal auf eigenen Füßen stand und Laufen lernte. Im linken Fuß hatte ich keine Muskeln. Mein Fuß war komplett um 90 Grad verdreht.»

Wer Harry Everts schon im Fahrerlager begegnet ist, der weiß, dass der Belgier schon immer etwas hinkte. «Die meisten Leute denken, das kommt vom Motocross. Aber das stimmt nicht. Es kommt von Polio. Ich habe auch oft in einem Lauf mit dem linken Fuß geschaltet und im zweiten Lauf mit dem rechten Fuß. Die Mechaniker haben dann in der Pause zwischen den Läufen das Motorrad umgebaut.»

Harry Everts gewann 1974 das geschichtsträchtige Saisonfinale in Wohlen (Schweiz), bei dem es zum Showdown und anschließendem Eklat zwischen Jaroslav Falta und Gennadij Moissejew kam. «Die Russen brachten einen anderen Fahrer aus der 500er Weltmeisterschaft mit nach Wohlen, der Falta behindern sollte und auch behindert hat», erinnert sich Everts. «Ich habe das natürlich nicht gesehen, weil ich selber gefahren bin und das Rennen gewonnen habe. Aber alle Leute haben nach dem Rennen davon erzählt, wie unfair Falta von den Russen vom Motorrad geholt wurde.»

Doch es nutzte nichts: Falta kam mit der CZ zwar zu Sturz, doch er kämpfte sich wieder nach vorn und war nach Punkten Weltmeister.

Doch die sowjetische Föderation trat nach und legte nach dem Rennen Protest wegen eines angeblichen Frühstarts von Falta ein.

Harry Everts war dabei. Für ihn war das eine Farce. «Im Falle eines Frühstarts hätte das Rennen mit der roten Flagge beendet werden müssen. Aber die Rennleitung hat nicht reagiert und das Rennen laufen lassen. Also kann es keinen Frühstart gegeben haben.»

Für den Belgier steht fest: Der wahre 250-ccm-Weltmeister 1974 war Jaroslav Falta!

Auch gegen Harry Everts wurde in der 125er-WM in Österreich nach einem Motorwechsel einmal Protest eingelegt, weil das Motorrad zu leicht gewesen sein sollte. «Der Reservemotor war aus einer Magnesiumlegierung gegossen und war leichter als das Alugehäuse. Der Motor war aber schwarz gespritzt, so dass das von außen nicht erkennbar war. Ich habe das nicht gewusst, aber das Motorrad wurde gewogen und war wirklich zu leicht. Man hat mir damals die Punkte vom zweiten Lauf weggenommen.»

Die Motorräder waren damals übrigens sehr viel leichter als heute. Everts: «Sylvain [Geboers] hat mir erzählt: Die leichteste Suzuki wog gerade einmal 60 kg! Das waren die japanischen Maschinen. Die Motorräder aus Europa wogen über 100 kg. Es kam zum Protest und zur Festlegung von Gewichtslimits auf 96 kg.»

Auch wenn Harry Everts ein Mann aus Eisen ist: Der erneute Ausstieg von Suzuki aus der Motocross-WM im Jahre 2017 war auch für ihn ein Schock, der tief sitzt. «So ist das Leben. Wir müssen es nehmen, wie es kommt. Ich habe bis heute Probleme, normal zu gehen. Mein linkes Bein ist 3 cm kürzer und ich muss es jeden Tag verbinden. Dann hatten wir auch noch das Drama mit Stefans Malaria-Infektion. Er hat jetzt auch solche starken Schmerzen. Wenn er zu den Rennen fährt, dann geht es. Dort kann er die Schmerzen etwas vergessen.»

Und so schließt sich der Kreis: Die Krise durch das Coronavirus heute, das Poliovirus vor 70 Jahren und die Malariainfektion von Stefan, die ihm täglich Probleme bereiten. Viruserkrankungen können sehr heimtückisch sein. Verschobene Rennen sind wahrlich das kleinere Problem.

Das Interview mit Harry Everts in voller Länge:

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